Konservativer und Spaniens Geschichte: „Wir haben nicht kolonisiert“

PP-Chef Pablo Casado spricht über die „Heldentaten der Hispanität“. Kolonialgeschichte, wie sie an Schulen gelehrt wird, ist ihm zu negativ.

Ein Gemälde zeigt den Seefahrer Christoph Kolumbus und seine Schiffsbesatzung bei der Landung in San Salvador auf den Bahamas

Die „Entdeckung Amerikas“? Eine wichtiges Verdienst Spaniens – findet Pablo Casado Foto: ap

Der Vorsitzende der konservativen Partido Popular (PP) Pablo Casado redet gerne von der Größe seines Landes. Spanien habe 1492 mit der „Entdeckung Amerikas“ durch Christoph Kolumbus neben dem Römischen Reich den wichtigsten Beitrag zur Menschheitsgeschichte geleistet. „Welch anderes Land kann von sich behaupten, eine neue Welt entdeckt zu haben?“, fragt der 37-Jährige, der im Juli per Urwahl an die Parteispitze gewählt wurde, nachdem der bisherige Parteichef Mariano Rajoy per Misstrauensvotum die Regierung verlor und danach den PP-Vorsitz hinschmiss.

„Die Hispanität feiert den wichtigsten Meilenstein der Menschheit. Nie zuvor hat sie es geschafft, Kultur, Geschichte und Religion an so viele Stellen gleichzeitig zu bringen“, fügte er vor Tausenden Zuhörern bei einem Meeting am Nationalfeiertag in Südspanien hinzu. Er lobte das „tausendjährige Volk und die jahrhundertealte Nation“, die stolz sein dürfe „auf das, was diese Fahne bedeutet“. Denn „wir Spanier haben nicht kolonialisiert, was wir gemacht haben, war ein größeres Spanien“.

„Ganz ehrlich, ich bin erstarrt, als ich das las“, erklärt der Autor und pensionierte Theologieprofessor José María Castillo, der sich an der Universität von Granada mit der Eroberung Lateinamerikas und der Rolle der Kirche beschäftigte. „Das ist keine Übertreibung, sondern völliger Schwachsinn“, fügt er hinzu. Casados vermeintliche „Heldentat der Hispanität“ sei nichts weiter als „die Invasion fremder Besitztümer und der anschließende Diebstahl erstaunlicher Reichtümer“.

Das Online-Magazin ctxt, das von ehemaligen Journalisten der größten spanischen Tageszeitung El País herausgegeben wird, geht noch einen Schritt weiter. „Der Diskurs von Casado ist nicht der des spanischen Imperialismus des 15. und 16. Jahrhunderts, an einem melancholischen Tag, sondern der des 21. Jahrhunderts. Was für Amerika gilt, gilt auch für das Spanien von heute, voller Indianer. (…) Dieses Spanien, das mithilfe von Schlägen vereinheitlicht“, heißt es in einem Leitartikel. Die Anspielung ist klar, es geht um die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens.

Kiritk an Inhalten des Schulunterrichts

Denn Casados Interesse für die Kolonialgeschichte Spaniens ist sein Beitrag zu einem erbitterten Wettbewerb darum, wer denn nun der beste Patriot im Lande ist. Erstmals in der Geschichte der nunmehr 40 Jahre währenden Demokratie hat die PP auf der politischen Rechten Konkurrenz. Die rechtsliberalen Ciudadanos („Bürger“) und die rechtsradikale Vox könnten – so die Umfragen – den Konservativen knapp die Hälfte ihrer Wähler streitig machen. Die Fahne, die Einheit der Nation in Zeiten der Herausforderung durch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, ist bei diesem Streit um die Hegemonie auf der Rechten eines der wichtigsten Themen. Mit der Entdeckung Amerikas und der Größe Spaniens hat Casado seinen Diskurs gefunden, um Geschichte und Aktualität der Nation zusammenzuführen.

Aus seinen eigenen Reihen erhält er dabei breite Unterstützung. „Das Wichtigste, was wir in der Geschichte gemacht haben, ist Amerika“, erklärt der ehemalige spanische Regierungschef und Mentor Casados, José María Aznar. „Ist das vielleicht nicht richtig? Haben wir etwa kein größeres Land geschaffen? Was für ein spanischer Journalismus ist das denn?“, empört sich die PP-Sprecherin in der Region Madrid, Isabel Díaz Ayuso, angesichts der Kritik an ihrem Parteichef.

Die Konservativen stützen sich bei ihrer Sicht der Dinge auf Autoren und Wissenschaftler wie den Professor für Philosophie und Mitarbeiter konservativer Stiftungen Pedro Insua. Er beschäftigt sich mit einer ganz besonderen Verschwörung. Die spanischen Kinder würden nur die „Schwarze Legende“ Spaniens lernen. Anstatt von Heldentaten bei der Entdeckung Amerikas sei an den Schulen vom Völkermord an den Ureinwohnern, der Judenvertreibung und der Ausweisung der Muslime Ende des 15 Jahrhunderts und der Inquisition die Rede. „Wir vermitteln den neuen Generationen ein völlig negatives und zudem falsches Bild von Spanien“, erklärt er gerne.

Die „Schwarze Legende“ Spaniens ist für Insua das Werk der Feinde seines Landes. Und derer gibt es viele, von Frankreich über die spanische Linke und die Nationalisten in Katalonien und dem Baskenland bis hin zu den Ureinwohnern Amerikas, auf deren Druck immer wieder Statuen des Seefahrers und Entdeckers Christoph Kolumbus abmontiert werden, wie zum Beispiel in Buenos Aires oder vor wenigen Wochen in Los Angeles. Die Begründung: Mit der Ankunft von Kolumbus habe der Genozid an den indigenen Völkern begonnen.

Eine neue, gefährliche Runde

Für Insua ist dies ein Beweis mehr für die „Schwarze Legende“. Er leugnet den Völkermord an Amerikas Ureinwohnern. „Die indigene Walze ist über die Geschichte hinweggerollt“, und habe alle anderen Interpretationen unter sich begraben, beschwert er sich.

Für PP-Chef Casado geht die Verschwörung gegen die spanische Nation und die spanische Fahne dieser Tage in eine neue, gefährliche Runde. Die regierenden Sozialisten, die beim Misstrauensvotum im Juni auch auf die Stimmen der Katalanen und Basken im Parlament setzen konnten, würden „die Zukunft verpfänden, indem sie sich mit den Befürwortern der katalanischen Unabhängigkeit, mit den Verbündeten der ETA und mit dem Populismus zusammentun“, wettert er. Für Casado ist seine PP „jetzt die einzige Partei, die garantiert, dass die spanische Nation wie vor fünf Jahrhunderten vereint bleibt, pluralistisch, vielfältig, dezentralisiert, klar strukturiert und mit Zusammenhalt“.

Ein Blick ins Zeitungsarchiv zeigt, dass Casados Spanienverständnis so neu nicht ist. „Es ist die Hispanität der imperialen Nostalgie, die die Inquisitoren unserer Zeit angerufen haben und oft anrufen. In ihrem Namen sind die Kräfte des Wandels verurteilt und bestraft worden (…) und in ihrem Namen ist das Blut der Rechtschaffenen geflossen. Es gibt immer noch diejenigen, die sich nach den Heerscharen der Eroberung sehnen, die Spanien und Amerika eine einzige Religion, eine einzige Kultur, eine einzige Sprache und eine einzige Wahrheit aufzwangen“, schrieb kein Geringerer als der vor drei Jahren verstorbene uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano bereits 1991, als hätte er auf Casado und die Seinen antworten müssen.

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