Klimagipfel in Polen: Kattowitz setzt auf Kultur statt Kohle

Die polnische Stadt, in der der Klimagipfel stattfindet, wandelt sich rasant. Festivals machen die Stadt bei jungen Leuten beliebt.

Radrennen vor dem Bahnhof von Kattowitz

Gar nicht so schlecht hier: Radrennen vor der Spodek von Kattowitz Foto: dpa

KATTOWITZ taz | Um zu verstehen, welches Potenzial im polnischen Kattowitz (Katowice) steckt, sollte man nach Nickischschacht (Nikiszowiec) fahren. Die Bergarbeitersiedlung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist mittlerweile saniert, die roten Ziegelfassaden glänzen in der Sonne, vor den Cafés schieben Männer Kinderwagen vor sich her und zeigen, dass es im oberschlesischen Revier ein Leben nach der Kohle gibt. Nickischschacht, heute ein Stadtteil von Kattowitz, hat den Sprung in die Zukunft geschafft.

„Schon in den fünfziger Jahren ließen sich hier Künstler nieder, sie sollten Nickischschacht zu einem schlesischen Montmartre machen“, sagt Beata Przybylska, die bei der Vierteljahreszeitschrift Fabryka Silesia arbeitet. „Heute befindet sich dort in einer ehemaligen Grube die Kunstgalerie Szyb Wilson, auf Deutsch Wilsonschacht.“

Przybylkas Zeitschrift hat ihren Sitz beim Schlesischen Theater. „Hier ist das Zentrum der Stadt“, sagt sie, auch wenn der Marktplatz wegen seiner modernen Bauten bei Weitem nicht so malerisch wirkt wie in Krakau oder Breslau. „Doch auch Nickischschacht ist wichtig, wenn man Kattowitz verstehen will“, betont Przybylska. „Die Stadt entwickelt sich enorm, Nickischschacht ist ein Beispiel dafür.“

300.000 Einwohner zählt die Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Schlesien, in der diese und nächste Woche der UN-Klimagipfel COP24 stattfindet. In der Agglomeration der größten Industrieregion Polens leben über zwei Millionen Menschen.

Plakat wirbt für Rammstein-Konzert

Wie im Ruhrgebiet gehen die Städte fließend ineinander über, vom Marktplatz in Kattowitz fahren die Straßenbahnen nicht nur nach Nickischschacht, sondern auch nach Beuthen (Bytom). Ein Großplakat wirbt für ein Rammstein-Konzert im Stadion von Königshütte (Chorzów). Stadtzentren, Gruben, Bergarbeitersiedlungen, das ist der Rhythmus des polnischen Kohlereviers.

Der Großraum Kattowitz ist räumlich ein Archipel und historisch ein Palimpsest, bei dem sich eine Schicht auf die andere gelegt hat. Die Mietskasernen erinnern an die Zeit, in der aus dem Dorf Kattowitz eine Bergarbeitermetropole wurde; die modernen Bauten der Vorkriegszeit sind Zeugen der zwanziger Jahre, als sich das zu Polen gekommene Katowice eine Architekturschlacht mit den bei Deutschland verbliebenen Städten Beuthen, Gleiwitz und Hindenburg lieferte. So unübersichtlich der urbane Flickenteppich ist, so krass sind auch die Gegensätze. „In Beuthen, wo ich lebe“, sagt Beata Przybylska, „sieht es viel ärmlicher aus, bis dahin sind die Investoren noch nicht gekommen.“

Aleksander Krajewski, Architekt

„Hier gibt es noch jede Menge zu bauen und umzugestalten“

Das wäre vielleicht anders gewesen, wenn 2016 nicht Breslau, sondern Kattowitz Europas Kulturhauptstadt geworden wäre. Bis in die letzte Runde der polnischen Bewerberstädte hat es Schlesiens Metropole mit dem Slogan „Stadt der Gärten“ gebracht. „Es wäre eine riesige Chance gewesen“, glaubt Matylda Sałajewska, eine Künstlerin, die in ganz Europa ausstellt, aber in Kattowitz, wo sie studiert hat, geblieben ist. „Wenn ich im Ausland bin“, räumt sie ein, „fragen mich alle nach Warschau oder Krakau. Kattowitz dagegen kennt kaum einer.“ Ganz anders sei es in Polen. „Kattowitz gilt bei uns wegen all der Festivals und der günstigen Lebenskosten als junge Stadt. Selbst aus Krakau kommen sie hierher.“

Die 1983 geborene Sałajewska steht für das andere, das nicht mehr graue, sondern bunte Kattowitz, für eine junge, kreative Szene, die sich einmischt. Für den Klimagipfel hat sie auf dem Marktplatz einen 200 Quadratmeter großen Pavillon aus Holz installiert, in dem über Klimawandel und grüne Wirtschaft diskutiert wird. Denn Kattowitz setzt auf Alternativen zur Kohle. Kein Wunder, hängt über der Kohleregion doch von November bis März eine oft beißende Dunstglocke. Aber auch der soziale Zusammenhalt ist ein Thema. Aus dem Slogan „Stadt der Gärten“ ist inzwischen ein Programm geworden. „Das gibt uns die Möglichkeit mit den Bewohnern benachteiligter Quartiere zu überlegen, wie man die Höfe oder den öffentlichen Raum gestalten kann“, sagt Sałajewska.

Zum Treffen ins Buchhandlungskaffee Miejscownik hat Sałajewska Aleksander Krajewski mitgebracht. Der junge Architekt ist zugleich Gründer der Stiftung „Napraw sobie miasto“, auf Deutsch „Mach deine Stadt besser“. „Partizipation ist heute selbstverständlich“, sagt Krajewski. „Auch in der Architektur wollen wir nicht für die Menschen bauen, sondern mit ihnen.“

Kattowitz ein überaus lebenswerter Ort

Für Krajewski ist Kattowitz ein überaus lebenswerter Ort. Das war nicht immer so. „Vor zehn Jahren hat jeder nach dem Studium die Stadt verlassen“, erzählt er. „Die kommen zwar jetzt nicht zurück. Aber wer heute sein Studium abschließt, bleibt meistens.“ Inzwischen haben sich internationale Firmen niedergelassen, es gibt gute Jobs. Man kann in Kattowitz auch ohne Kohle Kohle machen.

„Meine Freunde im Ausland fragen mich immer, warum ich in Kattowitz bleibe. Ich sage dann, dass überall im Grunde alles fertig ist, aber hier gibt es noch jede Menge zu bauen und umzugestalten.“ Ein Beispiel dafür: 2012 hat sich Kattowitz einen spektakulären neuen Bahnhof geleistet, der mit seinen Betonstützen und dem auskragenden Vordach den Vorgängerbau von 1972 integriert hat. Tradition und Aufbruch, das ist seitdem das Kattowitzer Erfolgsrezept.

Vielleicht stimmt es ja, dass man Kattowitz am besten mit Essen vergleichen kann. Auch im Ruhrgebiet war die Skepsis groß, als die Ersten von einem Leben nach der Kohle sprachen. Heute ist Essen eine Stadt der Kultur, und die Zeche Zollverein steht für den Wandel: Kultur statt Kohle. Auch Kattowitz hat ein solches Symbol. Es ist das Schlesische Museum, das 2016 eröffnet hat und sich im ehemaligen Bergwerk „Katowice“ befindet. Die Ausstellungsräume sind unterirdisch, man taucht ins Museum ab, wie einst die Kumpel unter Tage fuhren. Unten dann erfährt man viel über die Geschichte der Stadt, die ersten Gruben, die schlesische Identität, in der die nationalen Zugehörigkeiten kaum eine Rolle spielten, selbst die Sprachen gingen fließend ineinander über. Bis heute heißen die Häuser der Kumpel „familoki“.

Zusammen mit dem Neubau des Nationalen Symphonieorchesters, dem neuen Kongresszentrum und dem „Spodek“, einer Arena aus der Zeit des Kommunismus, bildet das Schlesische Museum die „Achse der Kultur“, die sich anschickt, ein zweites Zentrum der Stadt zu werden. Auch der Klimagipfel findet hier statt.

Aber nicht jedes ehemalige Bergwerk ist wie Phönix aus der Asche gestiegen, weiß Aleksander Krajewski. „Viele ehemalige Gruben verfallen, und wenn sie revitalisiert werden sollen, fällt den Investoren meist nichts anderes ein als eine neue Shoppingmall.“ Der Verfall ist auch vom Schlesischen Museum deutlich zu sehen. Gleich hinter der ehemaligen Grube Katowice befindet sich die Bergarbeitersiedlung Bogucice auf einem kleinen Hügel. Hier ist das Leben nach der Kohle nicht bunt wie in Nickischschacht, sondern arm und grau geblieben.

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