Klassenkampf fürs Klassenzimmer

Der Comic „Rote Fahne – Schwarzer Markt“ soll, so lautete der Auftrag an die Zeichner, den November-Aufstand von 1918 und seine Folgen lebendig werden lassen. Das Problem: Die Kunst ist am Ende nur Mittel zum Zweck

Von Jan-Paul Koopmann
Comics Isabel Kreitz
und Robert Brack

Klar, auch die allergrößten Tragödien lassen sich ganz klein erzählen. Auf gerade mal 50 Comicseiten berichten Isabel Kreitz und Robert Brack in „Rote Fahnen – Schwarzer Markt“ von Nachspiel und Untergang der Novemberrevolution vor 100 Jahren in Hamburg. Und wahrscheinlich ist die kleine Form heute auch die richtige. Das gewaltige Epos ist ja längst geschrieben, Alfred Döblin sei Dank. Nur dass sich damals tragischerweise kein Mensch dafür interessiert hat, während man heuer kaum über die Straße gehen kann, ohne dass einem irgendwer von der Revolution was zu erzählen versucht.

Den übergroßen Aufschlag haben Isabel Kreitz und Robert Brack inhaltlich dann auch gar nicht unternommen. Und das wäre auch nicht die Arbeit gewesen, die ihre Auftraggeber vom Museum für Hamburgische Geschichte und der Landeszentrale für politische Bildung im Sinn hatten. So wirft das Buch, das fast noch ein Heft ist, ganz bescheiden ein paar Schlaglichter ins Milieu und lässt seine Figuren recht allgemein für die vertrackten sozialen Verhältnisse stehen.

Als der Comic anfängt, ist der Aufstand schon vorbei. Mit dem Gewehr noch über der Schulter kommt Revolutionär Bruno Hansen aus Kiel zurück nach Hamburg, wo sich seine Familie so einigermaßen durchschlägt. Klappen tut das vor allem deshalb, weil man sich mit Schwarzmarkthändler Theo arrangiert hat. Dass der als „Kriegsgewinnler“ nicht gerade Brunos bester Freund ist, versteht sich so selbstverständlich wie die Frage nach der Sympathie von Autor*innen und Leserschaft. Der Bruno hat es ja auch wirklich nicht leicht: Während er sich voller Elan dem Arbeiter- und Soldatenrat von Groß-Hamburg anschließt, sind die Nachbarn wenig begeistert, wie ausgerechnet die Familie des Vorzeigerevolutionärs ihre Gastwirtschaft mit Essen vom Schwarzmarkt am Laufen hält. Später, als dann Theos Gammelfleisch die Kundschaft erkranken lässt, spielt sich hier im Kleinen das ab, was heute als die Hamburger Sülze­unruhe bekannt ist: Ein Mob marschiert auf, Reichswehr und Freikorps greifen ein und die Räte sind schließlich erledigt.

Das ist durchgehend die Strategie des Comics: die gesellschaftlichen Probleme in die Familie tragen und sie dann vor historischer Kulisse auszubuchstabieren. Alles, was wichtig ist, passiert dann irgendwie auch hier in dieser Familie. Doch auch wenn der Bildungsauftrag hier und da durchschimmert und einige Dialoge doch etwas beladen sind mit Hintergrundinformationen, liest sich das Buch meist so flapsig, wie es mitunter wohl wirklich war. Ob der Genosse Soldat nicht auch bei der Volkswehr mitmachen will? Klar, „ich hab ja eh nix mehr zu tun“. Erzählt wird die Geschichte ausschließlich im Gespräch – Erklärtexte außerhalb der Sprechblasen gibt es nicht.

Das Grundproblem kommt trotzdem deutlich rüber. Der Comic zeigt die Armut der Menschen und benennt den Irrsinn des Krieges, den die Revolution beendet hat. Wovon die Geschichte hingegen sehr wenig erzählt, sind die Hoffnungen jener Menschen, die vielleicht doch noch etwas mehr wollten als nur ein Ende des Allerschlimmsten. Der Kommunismus in den Köpfen kommt nicht vor, stattdessen eben die Sachzwänge der gerade erkämpften Verwaltung – und dunkel dräuend bereits der aufziehende Faschismus.

„Rote Fahne – schwarzer Markt“ ist im Rahmen des Themenjahrs „Hamburg 1918/19 – Aufbruch in die Demokratie“ erschienen. Dass man neben dem umfangreichen Ausstellungsprogramm auch einen Comic in Auftrag gegeben hat, liegt ja nahe. Das Medium ist gerade angesagt und es ist ja auch wirklich wie gemacht dafür, komplexe Zusammenhänge entlang einzelner Personen in Bildern zu vermitteln. Diesen Anspruch haben Robert Bracks Geschichte und Isabel Kreitz’Zeichnungen voll erfüllt. Beide haben die historischen Ereignisse akribisch nachvollzogen und an Schauplätze verlegt, die selbst Ortsfremde auch heute noch wiedererkennen, ob jetzt draußen vor dem Hamburger Hauptbahnhof oder unten am Hafen.

Dass die Szenerie ein bisschen wirkt wie aus dem Reiseführer abgepaust, liegt an der irritierenden Aufgeräumtheit. Die Leute sind am Hungern, eben war noch Krieg, aber die Straßen sind gefegt. Klinisch sauber wirken auch die ansonsten recht hübsch vermassten Menschen. Ob in der Rangelei mit Freikorps und Reichswehr auf der Straße oder wie sie da in der überfüllten Wohnstube hocken – es reihen sich (individuell gezeichnete) Gesichter an (individuell gezeichnete) Gesichter.

Isabel Kreitz weiß, was sie tut, der Band atmet die Routine der mehrfach preisgekrönten Comic­zeichnerin. Und ob man diesen realistischen, detailreichen und bisweilen etwas sterilen Stil nun mag oder nicht: Es ist schon ein feiner Zug des Museums, da nicht irgendeinen Comic zu bestellen, weil die eben gerade hip sind, sondern einen in unverwechselbarer Handschrift. Einen, der eben auch als Auftragsarbeit künstlerisch noch etwas will. Ob er es auch einlöst, ist eine andere Frage.

Und da hat „Rote Fahnen – Schwarzer Markt“ bei aller Gründlichkeit vor allem in der Erzählung den fragwürdigen Charme einer Historiendoku im Vorabendprogramm. Weil eben so durchsichtig ist, was hier gelernt werden soll, weil die Figuren psychologisch oberflächlich bleiben und sich leider auch kaum entwickeln. Sie sind dann eben doch nur Stellvertreter ihrer Klasse oder – wenn man so will – ihrer jeweiligen Haltung zur Republik. Wobei: Einmal wird es aufregend, als die rote Volkswehr am Hafen aus Versehen ein Kind anschießt und man sich fragt, ob das nicht noch was macht mit dem Revolutionär am Krankenbett. Tut es nicht und nach ein, zwei Seiten übernimmt wieder die historische Funktion das Sagen und es geht weiter mit Verteilungsfragen und Legitimation von Gewalt. Wahrscheinlich ist es gut gemeint und ein Versuch, nicht zu reißerisch zu werden.

Es ist ein grundsätzliches Problem bei solchen Versuchen, „Geschichte lebendig werden“ zu lassen, dass am Ende die Kunst nur Mittel zum Zweck ist. Comic kann so viel mehr als nur Geschehen zu illustrieren und Erklärtexte mit Hilfe von Bildern kurzzuhalten. Und nur weil wer was lernen soll, müsste man sich ja nicht darauf beschränken, analytische Allgemeinplätze zu personalisieren.

Die Fakten sind klar: Der Kaiser ist weg, die Toten tot und der Bruch der deutschen Linken bis heute institutionalisiert. Hier steht staatstragend die Sozialdemokratie, dort streitet sich mal mehr und meist weniger produktiv die radikalere Linke. Dazwischen löst sich jede stringente Erzählung auf in Widersprüchen, Ambivalenzen und ideologischen Selbstvergewisserungen. Um es mal schwülstig zu sagen: Da tun sich Abgründe auf – bis heute – vom Klassenverrat, rechten (und übri­gens auch linken) Dolchstoßlegenden, zerrütteten Familien und vor allem den Elendsgestalten, die da mitten im Horror des nationalistischen Gemetzels noch den Traum einer besseren Welt entwickeln, die alles gewinnen und es sofort wieder verlieren. Das sind bewegende Geschichten zu erzählen und gefährliche Legenden zu dekonstruieren. Comic könnte beides, sogar gleichzeitig. Die Fakten müssen halt stimmen, klar, aber wer diese Revolution nur darum den Geschichtswissenschaften überlässt, der hat sie längst begraben.

Isabel Kreitz, Robert Brack: „Rote Fahne – Schwarzer Markt“; online unter http://hamburg-18-19.de/journal/2018/rote-fahne-schwarzer-markt und für 2,50 Euro im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung und im Shop des Museums für Hamburgische Geschichte