Kolumne Immer bereit: Alle verstrahlt

Wieso hat der Mensch keine Ohrenlider? Die könnten einem einiges ersparen. Zum Beispiel absurde Gespräche von Öko-Eltern im Bioladen

Vorsicht mit dem Strahlensalat! Kann zu Komplikationen im Sichtfeld führen Foto: dpa

Bioladen. Beikostöl ist alle. Das klingt nach einer exotischen Pflanze, ist aber nur sehr mildes Rapsöl, das man in den Baby­brei kippt. In die Beikost. Deswegen Beikostöl. Es ist kurz vor Ladenschluss, das Kind greint und ich hab auch Hunger.

Zum Glück ist nur eine Familie im Laden und die scheint gerade fertig mit dem Einkaufen zu sein. Ich krieg ja immer einen Anfall, wenn die Leute sich nicht entblöden, in aller Öffentlichkeit Pädagogik zu machen und ihren anderthalbjährigen Jens-Caspar-Wolfgang die Einkäufe tätigen lassen, obwohl der noch nicht mal richtig sprechen kann und eigentlich lieber schlafen möchte.

„Jetzt werden wir alle verstrahlt“, sagt die Familienmutter gerade. Sie trägt das Kleinere der beiden Kinder auf dem Arm. Es ist ungefähr ein Jahr alt. Der Vater nickt glücklich. Er hält den Dreijährigen an der Hand. Am liebsten möchte ich gleich rückwärts wieder raus. Aber das Öl ist wirklich alle, und der Bioladen ist der letzte auf dem Nachhauseweg.

Wieso hat der Mensch keine Ohrenlider?!, denke ich, sage „Tachchen“ und schiebe unseren Schrottkinderwagen mit dem niedlichsten Kind der Welt in den Laden. Acht Monate, sechs Zähne, acht Kilo, siebzig Zentimeter Zucker von der Ferse bis zum Scheitel. Und dann noch vier Zentimeter Haare oben drauf. Darauf ist der Kindsvater besonders stolz.

Lecker, Nuklearsalat!

„Ich beeil mich ganz dolle“, sage ich sowohl zu mir als auch zu meinem Kind und haste durch den Laden.

„Riesengroße Funkmasten haben sie bei uns auf dem Nachbardach installiert“, erzählt die Frau, „die verstrahlen jetzt hier die ganze Gegend.“ „Aber dafür hat man guten Handyempfang“, sagt der Vater sarkastisch. Alle nicken, glücklich über ihr Einvernehmen gegen die Beklopptheit der Welt.

„Hier, mein Schatz. Du kannst schon mal die Verpackung aufnagen!“

Der Verkäufer setzt noch eins drauf: „Ganz toll sind ja auch Leute, die sich für viel Geld ein strahlungsfreies Babybett bauen lassen, wo kein Metall verarbeitet ist und nichts, was leitet, und dann benutzen sie ihr Handy als Wecker.“ Wieder einvernehmliches Lachen.

Strahlungsfreie Babybetten, denke ich, in der DDR haben wir damals nach Tschernobyl drei Wochen lang ausschließlich Salat gegessen, den hatte es vorher bei uns nie gegeben. Den hatten uns immer die Westler wegjefressen, aber die wollten den nun plötzlich nicht mehr, weil er angeblich verstrahlt war. Weicherer! Und? Hat et uns jeschadet?! Siehste! Gleich würden sie amerikanische Studien zitieren.

Plötzlicher Kindstod durch W-LAN

„Es gibt ja jetzt auch eine neue Studie“, schaltet sich die neue Aushilfskraft ein.

Na bitte!, Denke ich. Geht doch.

„Ich hab neulich von so einer amerikanischen Studie gelesen“, fährt die Aushilfskraft fort, „wonach der plötzliche Kindstod bei Säuglingen ja auch häufiger auftritt, wenn der Router im Kinderzimmer steht.“

Häh? Denke ich still. „Aha“, sage ich laut. Alle gucken mich an.

„Na ja“, sagt die Mutter vorsichtig, „vielleicht sollte man nicht über plötzlichen Kindstod reden, wenn ein Säugling im Raum ist, der noch kein Jahr alt ist.“

Alle gucken betroffen auf mein Kind. Mein Kind guckt interessiert zurück. Ich bezahle das Öl, lege es zum Kind in den Kinderwagen und sage: „Hier, mein Schatz. Du kannst schon mal die Verpackung auf­nagen.“

Und während ich die Tür nach draußen aufstemme, sage ich: „Wir gehen jetzt schnell nach Hause, da kriegst du deinen Uran-angereicherten Abendbrei, und nachher darfst du noch ein bisschen mit den Aluhütchen spielen.“

„Hai!“, sagt das Baby. Wir verlassen glücklich den Laden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.