Böhmermann-Weihnachten im ZDF: Die neuen „Hoppenstedts“

„Single Bells“: Das ZDF zeigt mit „Böhmermanns perfekte Weihnachten“ den Heiligen Abend im untergehenden Spätkapitalismus.

Schauspieler unterm Weihnachtsbaum

Subtil sieht anders aus: „Böhmermanns perfekte Weihnachten“ im ZDF Foto: Ben Knabe

Der Impuls ist verständlich: Es kann ja nicht jedes Jahr „Weihnachten bei Hoppenstedts“ sein, mit Dickie und dem Atomkraftwerk und „Zicke, zacke, Hühnerkacke“ und „Es macht Puff und die Kühe fallen um und die kleinen Häuser und Bäume, da ist dann immer ein großes Hallo und viel Spaß“ und „Hach, ist das gemütlich“ und „Früher war mehr Lametta“ und ganz viel Konsumkritik und – je länger man drüber nachdenkt, kann es natürlich doch jedes Jahr „Weihnachten bei Hoppenstedts“ sein.

Aber muss es ja nicht – und so haben Jan Böhmermann und seine Bildundtonfabrik ein weiteres, kurzes, gesellschaftskritisches, moderneres Panoptikum unseres Heiligen Abends geschaffen: „Böhmermanns perfekte Weihnachten.“

Es ist der klassische Antagonismus: Die Kamera fliegt über eine ganz gewöhnliche Straße, spärlich beleuchtet, und der Erzähler Böhmermann spricht aus dem Off von Ruhe, Besinnlichkeit und Frieden und unten juckelt ein Paketlieferwagen die Straße entlang und Menschen brüllen „Wichser, du!“ und „Leck mich doch!“.

Der Paketbote ist der Türöffner zu Hausnummer 24: Die alte Merkel-muss-weg-Frau Herold im Hochparterre, Bettina Rüstlinger ihr gegenüber (Single, Dalai Lama und Ai Weiwei an der Wand, Sinnsuche in Eckart-von-Hirschhausen-Büchern), darüber Familie Rencke und Ulthusen (sie schwanger und genervt, er erfolgloser Start-up-Gründer, wandert gern, Tochter mit eigenem YouTube-Channel), auf dem selben Stockwerk Familie Topcu (kein Weihnachten, dafür aber sogar die Schuhlöffel in Reih und Glied), noch eine Treppe höher Marcel Pothoven (Online-Gamer, Online-Pokerspieler und Online-Wichser) und Orth („Wer das ist, hab ich keine Ahnung, wohnt erst seit Oktober hier, glaube ich“, sagt der Erzähler), und unterm Dach Gunnesch/Falkenstein und zu viele LED-Lichterketten, zu viel Plastik, zu viel Media Markt, zu viele Energy Drinks, der ewige Kampf mit der Technik, „Connect the system, Crystal!“ – und das an Heiligabend!

Verzweifelte „Single Bells“

Zurück ins Hochparterre: In Bettina Rüstlingers (Valerie Niehaus) Wohnung steht der puristischste Weihnachtsbaum aller Zeiten: lila Kugeln an einem Metallgerippe. Hier feiern vier Alleinstehende zusammen. „Freunde, das ist wie Familie, die man sich selber aussuchen kann.“ Sie hat sogar ein Programm für den Abend entworfen und ausgedruckt. Titel: „Single Bells.“ Alles wirkt so verzweifelt.

„Böhmermanns perfekte Weihnachten“, 14. Dezember, 23.15 Uhr, ZDF, und ab 20.15 Uhr in der ZDF-Mediathek

Wie beispielsweise der von Ralf Kabelka gespielte Proll Sven die Bettina immer wieder betatscht, wie die von Sophie Passmann gespielte Sarah immer wieder an ihrem am Band um ihren Körper baumelnden Handy spielt. Überhaupt haben Menschen, die ihr Handy an einer Kette um den Hals tragen, ihr Leben nicht im Griff. Und Menschen, die für eine Vier-Personen-Weihnachtsfeier ein Programm ausdrucken, haben sonst nicht genug zu tun im Leben. Egal. „Wir rocken das!“, ruft Sarah trotzig. Wir. Rocken. Das. Frohe Weihnachten.

Und so zieht es sich von Raum zu Raum: Überall lösen die kleinen und großen Gesten, Mimiken, Dialoge, Geräte, Fotos und so weiter Assoziationsketten aus. Wenn Tochter Lea (Juliette Madeleine Jozwiak) in ihrem YouTube-Video erzählt, dass Weihnachten für sie was ganz Besonderes sei, „voll megaschön“, weil „Family mal unter sich“ und so. Und wenn Jette Ulthusen (Jasmin Schwiers) meint, zu Weihnachten mal richtig tolle selbstgebrühte Bockwürste machen zu müssen und die Nachbarin Traudel Herold (Ilse Strambowski) – eingeladen, damit sie nicht alleine feiert – davon in den Kartoffelsalat kotzen muss. Und Lea mit jeder Faser ihres Körpers ausstrahlt, wie beschissen sie Weihnachten findet, weil Family unter sich und so.

Die kotzende Frau Herold filmt sie dann aber doch, für ein bisschen Online-Aufmerksamkeit lässt sich das Fest ja dann doch ganz gut gebrauchen. Hashtag Nazikotze.

Das einzige Problem: In 30 Minuten lassen sich vier Handlungsstränge in fünf Wohnungen, dazu der Paketbote im Flur, kaum zu Ende erzählen. Viele Anspielungen müssen mit dem Vorschlaghammer ins Bewusstsein gerammt werden. Wir haben schließlich keine Zeit. Subtil ist anders. Aber das waren und sind die „Hoppenstedts“ ja auch nicht.

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