Schlammschlacht trotz Gerichtsurteil

Die Auseinandersetzungen um Pina Bauschs Erbe am berühmtesten deutschen Tanztheater eskalieren

Der Triumph währte am Donnerstag nur kurz: Das Arbeitsgericht in Wuppertal hatte entschieden, dass die fristlose Kündigung der Intendantin des bekanntesten deutschen Tanztheaters nicht rechtskräftig ist. Intendantin Adolphe Binder hatte gegen ihre vom Beirat des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch beschlossene Entlassung geklagt. Mit dem Urteil schien ein seit Sommer sich hinziehender Intrigenfall zwischen Theater, Stadt und Land zwar nicht geklärt, aber wieder in faktenkräftige Bahnen gelenkt. Nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung wurde aber klar, dass die Schlammschlacht weitergeht. In einer Pressemitteilung ließ das „Tanztheater“ mitteilen, dass es in Berufung gehe. Ein Anruf bei Stadtkämmerer Johannes Slawig (CDU) bestätigt, dass auch die Stadt ihrerseits das Berufungsverfahren einleiten will.

Wer aber ist aktuell „das Tanztheater“? Das Ensemble hat sich bislang nicht negativ zu Binder geäußert. Nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe, von denen die Tänzer*innen während einer Gastspielreise nach Paris aus der Presse erfuhren, hatten sie sich in einem offenen Brief hinter die Intendantin gestellt.

Auf wiederholte Nachfrage bei der Pressesprecherin, wer denn nun das Tanztheater Wuppertal repräsentiert, fällt, wenig überraschend, der Name des amtierenden Geschäftsführers Dirk Hesse. Sein Vertrag läuft aber Ende des Jahres aus, seit 21. 11. nimmt er, laut Stadtkämmerer Slawig, überstundenbedingten Urlaub. Für Interviews steht er nicht zur Verfügung. Außerdem gebe es, laut Slawig, fünf weitere Personen auf zweiter Leitungsebene des Tanztheaters, die in Zukunft nicht mehr mit Adolphe Binder zusammenarbeiten wollen. Namen werden nicht genannt.

Das Ministerium in Nordrhein-Westfalen, neben der Stadt Fördergeber der Kompanie, scheint diese Haltung zu flankieren. Bettina Milz, Referatsleiterin Theater und Tanz im Landesministerium für Kultur und Wissenschaft, begleitete die am Freitag stattfindende Pressekonferenz zum Spielplan für die aktuelle Saison, ohne auf den Gerichtsentschluss einzugehen. Dazu Hermann Lamberty, Pressesprecher des Ministeriums, auf Nachfrage: „Wir respektieren das Gerichtsurteil, werden es aber nicht weiter kommentieren.“ Auf der Konferenz vorgestellt wurde der Spielplan, der etwa 90 Prozent Positionen aus der Planung ­Adolphe Binders enthält, von der neuen Intendantin Bettina Wagner-Bergelt, die ihre Stelle offiziell zusammen mit dem neuen Geschäftsführer Roger Christmann im Januar 2019 antritt.

Adolphe Binder selbst blieb der Pressekonferenz fern, mutmaßlich weil Geschäftsführer Hesse am Morgen des Tages das Hausverbot, das der Intendantin schon seit der Kündigung galt, trotz des Gerichtsbeschlusses verlängerte und Binder rechtlich keine falschen Schritte tun will. Aus ähnlichem Grund hat sie sich seit ihrer Kündigung außer in einem offenen Brief, dem ihr Spielplanentwurf beilag, nicht öffentlich geäußert. Interviews scheinen ihr vertraglich ohne Zustimmung der Geschäftsführung nicht erlaubt. „Das Fehlen eines umsetzbaren Spielplans“ war neben dem „zerrütteten Verhältnis“ auf Leitungsebene der Hauptgrund für die fristlose Kündigung.

Mehr Transparenz, die Einbeziehung der Tänzer*innen und eine Verschiebung der mutmaßlich auf ein anderes Gerichtsurteil hin terminierten Pressekonferenz wären an dieser Stelle sicher guter Stil gewesen. An der Stilfrage allerdings könnte sich entscheiden, wofür das Tanztheater Wuppertal in Zukunft stehen wird: für das Erbe Pina Bauschs oder eine in Intrigen verstrickte Kulturpolitik. Astrid Kaminski