Europäischer Filmpreis: Wutfreie Zone

In Sevilla wurde der 31. Europäische Filmpreis verliehen. Großer Gewinner ist das polnische Liebesdrama „Cold War“.

Regisseur Pawel Pawlikowski und sein Team zeigen die Trophäen für "Cold War"

Regisseur Pawel Pawlikowski (2. v.r.) und sein Team mit den Trophäen für „Cold War“ Foto: dpa

„Europe is in a bad shape“, sagte Costa-Gavras, und er hat ja recht. Da kann die Europäische Film­akademie bei der 31. Verleihung ihrer Filmpreise am Samstag in Sevilla noch so oft und beschwörend mit den Flamencohufen klappern – und ihre Stärken betonen, von denen sie ja genug hat. Zum Beispiel den griechischen Regisseur und Drehbuchautor Costa-Gavras, der den Ehrenpreis des Filmboards verliehen bekam. Oder die mit dem Lebenswerk-Preis ausgezeichnete, angenehm authentische Schauspielerin Carmen Maura, die ihre tränenreiche Dankesrede auf Esperanto hielt – einem der Rührung geschuldeten Mix aus Französisch, Spanisch und Englisch: „I can speak Anglais, que?“

Mauras selbstgemachter Eurosprech versinnbildlicht zwar ein wenig das Wanken, Hauen und Stechen im Europa dieser Tage. Aber der hohen filmischen Qualität des diesjährigen europäischen Filmjahrgangs konnte auch die politische Uneinigkeit auf dem Kontinent nichts anhaben.

Der Jahrgang setzte sich zum großen Teil aus Filmen aus dem Wettbewerb oder der „Un certain regard“-Sektion des diesjährigen Cannes-Festivals zusammen. Dementsprechend ging er mit vielen Vorschusslorbeeren an den Start: Alle fünf Nominierten aus der Königskategorie „Europäischer Film“ stammen aus diesem Topf, Lukas Dhonts sensibles Coming-of-Transgender-Drama „Girl“; Paweł Pawlikowskis hochpolitische und ästhetische Liebesgeschichte im polnischen „Cold War“; Matteo Garrones eindrückliche Mann-und-Hund-Tragödie „Dogman“, Alice Rohrwachers magisch-realistisches Sklavenmärchen „Glücklich wie Lazarro“; und Ali Abbasis schlichtweg grandioser Film „Border“, den man mit jedem weiteren erklärenden Wort spoilern würde. Darum sei hier nur gesagt, dass man ihn unbedingt gucken muss, wenn er (angeblich im März) in Deutschland anläuft.

Auf Pawlikowskis liebevolle, in Schwarzweiß gehaltene Musikromanze, die im Februar auch ins Rennen um den Oscar für den „Besten Fremdsprachigen Film“ gehen wird, konnten sich anscheinend die meisten Mitglieder der Filmakademie einigen: „Cold War“ gewann den „Besten Film“, die „Beste Regie“, das „Beste Drehbuch“ und Hauptdarstellerin Joanna ­Kulig den Preis für die „Beste Schauspielerin“.

Preis eines vergangenen Europas

Pawlikowski, seine Crew und sein Cast haben es gewiss verdient. Auch wenn man sich bei Preisregen wie diesem immer fragt, ob sie tatsächlich nach reiflicher Überlegung und dem Anschauen sämtlicher Arbeiten durch die rund 3.500 AkademistInnen zustande kamen – oder ob man vielleicht seine einzige Stimme einfach dem Film gegeben hat, von dem man am meisten gehört hat. Aber das ist ein grundsätzliches und in dieser Form unlösbares Problem bei jener eigentlich höchst demokratischen Art der Preisfindung.

Dass der nachdenkliche polnische Regisseur in einem Interview kurz vorher jedoch selbst seine KonkurrentInnen Alice Rohrwacher (Jahrgang 1982), Ali Abbasi (Jahrgang 1981) und Lukas Dhont (Jahrgang 1991) als „die jungen KollegInnen“ bezeichnet hatte, bringt es ungewollt auf den Punkt: Der namenlose Preis huldigt – jedenfalls wenn man sich seine ProtagonistInnen und Inhalte anschaut – einem eventuell bald vergangenen Europa. Und damit auch einem Kino, das oft nach hinten schaut, das sich lang­samer anderen Sehgewohnheiten annähert, als es müsste, um ­gegen die Fast-Food-Konkurrenz anzu­stinken.

Woran das liegt, fasste der Laudator für den „Besten Film“, der britische Schauspieler Chiwetel Ejiofor, lakonisch zusammen: „European Films are not known for their happy endings.“ Denn an ein zukunftsträchtiges, positiv an einem Strang ziehendes Europa kann momentan wohl kaum jemand glauben. Darin schienen sich die Beteiligten auf der Bühne und davor einig – und thematisierten den traurigen Zustand dennoch selten in ihren Ansprachen.

Kaum thematisiert wurden die Entwicklungen um die #MeToo-Bewegung

Zwar wiesen die Vorsitzende des EFA-Boards, Agnieszka Holland, und der Vizevorsitzende Mike Downey in ihren Grußworten einmal mehr auf die beschissene Situation einiger Kollegen wie Oleg Sentsov oder Kirill Serebrennikov hin, die von der Regierung zensiert werden.

Richtig politisch wurde es nicht

Und nicht nur Ralph Fiennes, Träger des Ehrenpreises für „European Achievement in World Cinema“, bedauerte laut und deutlich den Brexit mit all seinen Voraussetzungen und Folgen. Aber viel politischer wurde es nicht. Weder war wie bei früheren Preisverleihungen die Wut der FilmemacherInnen zu spüren, die in ungerechten Verhältnissen feststecken, noch wurde die Relevanz von Sujets wie Gender Diversity oder die Entwicklungen rund um die #MeToo-Bewegung groß thematisiert. Ganz so, als ob Dhonts schöner Film über das Transgender-Mädchen genüge.

Die Versuche der Schauspielerin und Teilzeitmoderatorin Rossy de Palma, die Stimmung aufrechtzuerhalten, waren dennoch recht gelungen. Und immerhin gab es nirgends auch nur die Andeutung einer latent schleimigen Bemerkung über „wunderschöne Frauen“ zu hören, in der sich der Sexismus der Filmbranche so oft zeigte.

Stattdessen blinkten auf der Bühne regelmäßig die Fotos von der Darstellerin Eva Melander auf, die für ihre Leistung im Film „Border“ für die „Beste Hauptrolle“ nominiert war.

In einer unfassbaren Maske ist sie da vom normativen Schönheitsideal meilenweit entfernt – und dennoch so anrührend wie zauberhaft. Vor allem wenn sie die krumme Nase hochzieht und faucht. Mehr wird, wie gesagt, nicht verraten.

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