„Lame-Duck-Coup“ im US-Staat Wisconsin: Ein parlamentarischer Putsch

In Wisconsin wurden zahlreiche Landesgesetze geändert. Dadurch werden die Rechte des neuen demokratischen Gouverneurs beschränkt.

In einem Parlamentsgebäude sitzen Abgeordnete

„Wisconsin hat so etwas noch nie erlebt“ Foto: ap

NEW YORK taz | Nachdem sie an der Urne verloren haben, zementieren die RepublikanerInnen in Wisconsin ihre Macht mit einem parlamentarischen Putsch. Sie ändern die Gesetze, um die Befugnisse des neu gewählten demokratischen Gouverneurs zu beschneiden. Am Mittwoch stimmten sie dafür, der künftigen Exekutive des Bundesstaates jede Möglichkeit nehmen, zentrale Teiles ihres Programms umzusetzen, darunter Wahlrechtsreformen und ein Ende des gerichtlichen Vorgehens gegen die Gesundheitsreform.

Das Beispiel aus Wisconsin machte umgehend Schule. Nur wenige Stunden später schickten sich auch im benachbarten Michigan die RepublikanerInnen an, den Trick gegen die gewählte demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer zu probieren.

„Shame, Shame“, skandierten am Dienstag Abend DemonstrantInnen unter der Kuppel des Kapitols und auf den Besucherbänken des Senats von Wisconsin. Auf Transparenten war von „Wahlbetrug“ und „Aushöhlung der Demokratie“ die Rede. Sie wurden von Saaldienern geräumt. Anschliessend mauschelten die SenatorInnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter.

Die Abstimmung in der „Lame Duck Session“ – der Periode zwischen einer Wahl und dem Amtsantritt der Neugewählten im Januar – fand tief in der Nacht, um 4:30 Uhr statt. Ein paar Stunden später folgte am Mittwochvormittag auch das Unterhaus. Ebenfalls im Hauruckverfahren besetzten die RepublikanerInnen am Dienstag 82 Führungspositionen im Öffentlichen Dienst in Wisconsin mit ihren Leuten.

„Direkte Wählerunterdrückung“

„Wisconsin hat so etwas noch nie erlebt“, beklagte der gewählte demokratische Gouverneur Tony Evers, „machthungrige Politiker haben in aller Eile umfassende Veränderungen unserer Gesetze durchgesetzt, um ihre eigene Macht auszudehnen und den Willen der Wähler in Wisconsin, die am 6. November für Veränderung gestimmt haben, zu ignorieren“.

Gordon Hintz, Chef der Demokratischen Fraktion im Unterhaus von Wisconsin nannte die RepublikanerInnen „verärgerte Verlierer“. Aus Florida bezeichnete der knapp gescheiterte demokratische Gouverneurskandidat Andrew Gillum das Geschehen in Wisconsin als „direkte Wählerunterdrückung“.

In Wisconsin halten die RepublikanerInnen sowohl im Senat als auch im Unterhaus die Mehrheiten. Dabei wird es auch in Zukunft bleiben, obwohl die Demokratische Partei bei den Midterms deutlich mehr Stimmen als die RepublikanerInnen bekam. Verantwortlich dafür ist die Wahlkreisschiebung („Gerrymandering“), mit dem die RepublikanerInnen unter dem jetzt abgewählten Gouverneur den Zuschnitt der Wahlkreise so verändert haben, dass die DemokratInnen extrem große Mehrheiten erobern müssten, um zu gewinnen.

Die krassesten Folgen hatte diese Manipulation bei der Unterhaus-Wahl. Dabei bekamen die KandidatInnen der Demokratischen Partei 54 Prozent, 210.000 mehr Stimmen als die Gegenseite. Dennoch werden im künftigen Unterhaus 63 RepublikanerInnen und nur 36 DemokratInnen sitzen. Neu nach acht Jahren kompletter republikanischer Kontrolle in Wisconsin, ist bloß, dass ihnen künftig der demokratische Gouverneur und sein ebenfalls direkt gewählter Justizminister gegenüberstehen.

Verlagerung der Zuständigkeiten

Der Chef der republikanischen Senatsfraktion, Scott Fitzgerald, gab sich nicht einmal die Mühe, sein Vorgehen zu beschönigen. In Interviews nannte er Evers einen „Schoßhund der Lehrergewerkschaften“ und sagte: „Wir trauen ihm nicht“. Er fügte hinzu, „die Republikaner sind besorgt, dass Evers ein liberales Programm nach Wisconsin bringt“.

Als Kandidat hat Evers versprochen, dass er als Gouverneur den Bundesstaat aus der Sammelklage gegen Obamas Gesundheitsrefom zurückziehen werde. Unter anderem hatte er längere Öffnungszeiten der Wahllokale sowie die Abschaffung der von seinem Amtsvorgänger eingeführten Arbeitspflicht für EmpfängerInnen von Lebensmittelmarken angekündigt.

Doch die neuen Gesetze verlagern die Zuständigkeit für all diese Bereiche in die Legislative. Zusätzlich entzieht es dem Justizminister das Recht, den Bundesstaat vor Gericht zu vertreten. Stattdessen sollen das künftig private AnwältInnen tun, die von der Legislative angeheuert werden. Den Staatssekretär, der für die Ausrichtung von Wahlen zuständig ist, hatte der scheidende republikanische Gouverneur Walker schon zuvor entmachtet, als er dessen Personal dramatisch reduzierte und sein Büro in das Untergeschoss des Kapitols verlagerte.

DemokratInnen und verschiedene NGOs halten die Entscheidung für verfassungswidrig und wollen sie vor Gericht anfechten. Sie verweisen auf 2014, als schon einmal ein Gericht ein republikanisches Wahlgesetz in Wisconsin zu Fall gebracht hat, weil es – so das Gericht – den Zweck hatte, „die verlässlich demokratischen Stimmen von Milwaukees Afroamerikanern zu unterdrücken“.

Aber manche DemonstrantInnen, die Anfang dieser Woche wieder im Kapitol waren, erinnern sich bitter an die Proteste von 2011. Damals kamen an mehreren Tagen mehr als 100.000 Menschen in Madison zusammen, um gegen die Abschaffung von Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst zu protestieren. Es waren die größten Demonstrationen seit Menschengedenken in Wisconsin. Aber die RepublikanerInnen zogen ihr Vorhaben unbeirrt durch.

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