Kinoempfehlung für Berlin: Die Verdichtung des Wahnsinns

Der Filmrauschpalast zeigt in einer kleinen Werkschau auch Jaques Tatis „Playtime“. Eine der großartigsten Inszenierungen moderner Zeiten.

Die Vorstadt ist eiskalt möbliert in Tatis „Playtime“ Foto: Studio Canal

1.200 Quadratmeter Plexiglas, 50.000 Kubikmeter Beton, Fassaden auf Schienen und sechs Monate Aufbau: damit erschuf der französische Regisseur Jacques Tati 1967 „La Défense“ – eine größenwahnsinnige und eiskalte Vorstadt der Moderne am Rande von Paris. Mit Flughafen, Messehalle und Bürotürmen: „Tativille“, die Kulisse für seinen Film „Playtime“.

In den ersten Szenen sieht man eine weibliche Reisegruppe, die Frauen sind hoch erfreut, weil alles so aussieht wie zu Hause: „Wie auf dem Ku’damm, nicht wahr?“, flötet eine von ihnen. Es ist ein städtebauliches Nirgendwo und Überall, in dem Autos und Menschen wirken wie Relikte alter Zeiten.

In den Gebäuden rauscht es permanent, die Haustechnik summt, ein Hausmeister, der noch im 19. Jahrhundert geboren sein könnte, drückt Knöpfe, es ertönt ein Pfeifen. In diesen Klangteppich eingewebt sind dem Gebrabbel der Pas­sant*innen kaum einzelne Worte zu entnehmen. Sagte die Frau „Eiffelturm“? Eben spiegelte er sich in einer Glastür zur Messehalle, wo sich die Frauen Mülleimer im Stile eines griechischen Säulenstumpfes vorführen lassen.

Auch Monsieur Hulot kreuzt auf, wird an einem Stand verwechselt und beschimpft, bevor man ihm Geräusch-frei eine der innovativen „Golden Silence“-Türen, die hier angepriesen werden, vor der Nase zuknallt. Was Monsieur Hulot, eine Figur, die der französische Filmemacher ­Jacques Tati für eine Reihe von Filmen entwickelte, die der Filmrauschpalast an den Feiertagen zeigt, in gewohnt freundlicher Art und mit erstaunter Mine erduldet.

Feiertagskino – Filme von Jacques Tati auf 35 mm: „Die Ferien des Monsieur Hulot“: 23. 12. um 15 Uhr und am 25. 12. um 18 Uhr; „Mon Oncle“: 23. 12. um 17 Uhr und am 25. 12. um 20 Uhr; „Playtime“: 23. 12. um 20 Uhr und am 24.12. um 18 Uhr

Filmrauschpalast, Lehrter Straße 35, 23.–26. 12., www.filmrausch.de

Doch während Hulot in „Mon Oncle“ und „Die Ferien des Monsieur Hulot“ noch Haupt-Protagonist ist, berührt er in „Playtime“ – Tatis großartigstem Film – nur noch zaghaft die opulenten Wimmelbilder (Tati drehte auf 70 Millimeter), die oft mit mehreren parallelen Handlungen gefüllt sind. Zahlreiche Doppelgänger Hulots tauchen auf und verschwinden wieder im Getümmel der Straßen.

„Playtime“ ist eine Kritik an den modernen Zeiten. Sie wurde vom Publikum nicht verstanden (der unfassbar teure Film floppte und feierte erst 20 Jahre nach Tatis Tod 2002 ein furioses Comeback in den französischen Kinos). Diese Kritik ist unglaublich komisch in ihrer Detail­versessenheit für die Architektur, in der sich Tati, übrigens ein gelernter Bilderrahmenbauer, als Kenner des Metiers erweist.

Eine Rolltreppenfahrt hinab in den offenen Grundriss eines Bürogebäudes nimmt nicht nur heutige 3D-Modelle für Architekturpräsentationen vorweg, sondern auch den Grundriss für eine fluide Arbeitswelt, für die sich die Gesellschaft damals gerade einzurichten begann.

Alle Menschen scheinen desorientiert, verwirrt und depersonalisiert. Man kennt sich oder doch nicht, man ist in Paris, aber das, was man über Paris weiß, spiegelt sich nur in den Fassaden, findet sich auf Plakaten, wird als Ausflug beworben. Auf großen stilisierten Landkarten hingegen verbinden Linien die wichtigsten Destinationen der Welt.

Am Abend sitzen die Menschen in ihren Wohnzimmern wie Auslagen in Schaufenstern und auf Designer-Sesseln, die mit einem Grunzen beim Niedersetzen einsacken und mit einem „Poff“ wieder aufploppen. Man glotzt hinaus und wird von den vorbei flanierenden Menschen angeglotzt.

Tati beschreibt nicht weniger als die Zerstörung der europäischen Stadt durch ihre Touristifizierung und Degradierung zur Ware. Und damit die Anfänge dessen, was wir gerade zu Ende bringen. Städte wie Lissabon oder London sind längst zu Attrappen verkommen, in deren Zentren sich nur noch eine reiche mobile Klasse eine Wohnung oder Restaurantbesuche leisten kann.

Dieser Tage entlädt sich gerade auch in Paris die Wut darüber, was dieser Gesellschaftsentwurf an sozialer Spaltung angerichtet hat. Die Ränder dieser Städte gleichen denen aller modernen Metropolen mit ihren wiedererkennbaren Infrastrukturen.

Eine grandiose Verdichtung des Wahnsinns ist die Szene der desaströse Eröffnung eines Restaurants, während der noch die letzten Installationen in der Küche angespackst werden und den Kellnern die Fake-Granit-Platten an den Füßen kleben ­bleiben.

Derweil ist im eleganten Speisesaal niemand mit irgend etwas zufrieden. Alles Sprechen der Gäste, Kellner und des Restaurantmanagers wird zu einer Wolke von Knacklauten, aus der wiederholt das Wort „Architekt“ spröde hinaus­purzelt, wie die Bauteile aus ihren Verankerungen. Die Gäste tanzen und trinken, der Abend gerät zu einer kleinen Revolte, ein Hauch von 14. Juli liegt in der Luft, die Elektrik beginnt zu brennen, die Deckenverkleidung löst sich. Selbst Hulot macht sich locker.

Im Morgengrauen kräht ein Hahn. „Zu dieser Stunde ist Paris am schönsten“ sagt ein Bauarbeiter und schaut einer schönen Frau hinterher. Sinnlos reihen sich Transporter, Feuerwehrautos, Bootsanhänger und Betonmischer im Kreisel ein. Auf den Bussen sind Ziele verzeichnet wie Hôtel de Ville oder Champs-Élysées. Oder eben der Flughafen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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