Kritik an Wissenschaftskommunikation: Neue Wege gesucht

Kommunikationsexperten der Hoschuleinrichtungen und Forschungsinstitute sind unzufrieden. Sie erreichen oftmals ihr Publikum nicht.

Nikolaus Kopernikus als Bronzedenkmal

Nikolaus Kopernikus mit dem Modell einer heliozentrischen Welt: Wissenschaftliche Erkenntnisse brauchen oftmals Zeit um sich durchzusetzen Foto: imago/BE&W

BERLIN taz | Der Wissenschaftsjournalismus als Teil des Mediensystems befindet sich seit Jahren in der Krise. Bei der Wissenschaftskommunikation, die zum Wissenschaftssystem der Hochschulen und Forschungsorganisationen gehört, nehmen die Krisensymptome nun ebenfalls zu. Anlass genug, über gemeinsame Schritte aus der Misere der öffentlichen Vermittlung und kritischen Begleitung von Wissenschaft nachzudenken. Der Königsweg könnte zur Zivilgesellschaft führen.

Bei den Kommunikationsverantwortlichen in den öffentlich finanzierten Wissenschaftsinstitutionen, den einstigen „Pressestellen“ mit heute stark erweitertem Aufgabenfeld, wächst vernehmbar der Frust. Auf dem „Forum Wissenschaftskommunikation“ Anfang November in Bonn, dem Leitevent der Forschungs-PR, verschaffte er sich Luft auf satirische Weise. In Form einer gespielten Gerichtsverhandlung wurden die PR-Stellen angeklagt, mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit wenig zu bewirken und dadurch Steuermittel zu verschwenden.

„So viel Kritik und Selbstkritik an der Wissenschaftskommunikation“ habe er bisher nicht erlebt, urteilte Reiner Korbmann, einstiger Chefredakteur von Bild der Wissenschaft, einem Flaggschiff des Wissenschaftsjournalismus.

Das Problembewusstsein wächst auf beiden Seiten, den Journalisten wie den Kommunikatoren. Auch die Bereitschaft zu neuen Lösungsversuchen. So gibt es unter den Journalisten eine – kleine – Bewegung, die jenseits der konventionellen Presse mit immer weniger Wissenschaftsseiten eigene inter­netgestützte Medien­produkte aufbaut, die häufig auch solidarisch betrieben und finanziert werden. Die Wissenschaftskommunikatoren ihrerseits versuchen neue Zielgruppen zu erreichen, wie bildungsferne Schichten.

Die Crux: Die bisherigen Lösungsansätze sind allesamt auf die professionelle Wissenschaft und ihre Kommunikation konzentriert, beides Nischen in der Gesellschaft und in den Medien. Um breitenwirksamer zu werden, muss diese Pfadabhängigkeit aber durchbrochen werden. Alte Handlungsmuster sind zu überwinden, um zu neuen Kooperationen und Vermittlungsformaten zu gelangen.

Die Wiederentdeckung vergessener Vorschläge

Dabei muss nicht in jedem Fall das Rad neu erfunden werden. Die Wiederentdeckung vergessener Lösungsvorschläge ist ebenfalls ein innovativer Akt. Ein Beispiel sind die Empfehlungen, die von der Expertengruppe „Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien“ (WÖM) der deutschen Wissenschaftsakademien 2017 vorgelegt wurden. Zwei davon wären für die Unterstützung eines unabhängigen Wissenschaftsjournalismus in Deutschland von zentraler Bedeutung. So wurde, in Reaktion auf die Verbreitung von Fake News über die sozialen Medien wie Facebook und Twitter, der „Aufbau einer redaktionell unabhängigen bundesweiten Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform“ vorgeschlagen, „deren Inhalte für ein breites Publikum verständlich sind“.

In Anlehnung an die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten sollte die Redaktion der Internet-Plattform „staats- und wissenschaftsorganisationsfern institutionalisiert unter einem Herausgebergremium arbeiten können“. Mit der Prüfung der Machbarkeit sollte vom Gesetzgeber (Bundestag oder Landesparlamente) eine Expertenkommission beauftragt werden. So weit ist es nie gekommen. Ebenfalls in der Versenkung verschwand die Anregung, den „Wissenschaftsjournalismus nach dem Modell der Forschungsförderung zu unterstützen“. Die Gelder dafür könnten „aus Mitteln der Rundfunkbeiträge“ kommen und über „staatsunabhängige Stiftungen“ für Wissenschaftsjournalismus vergeben werden. Auch diese Idee wurde von niemandem aufgegriffen.

Alte Modelle waren die „Wissenschafts­läden“, die heute nur noch ein Schatten­dasein führen

Wenn Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus schwächeln oder gar bedroht sind, könnte ein neuer Ansatz darin bestehen, dass sich beide synergetisch verbünden. Vor allem freie Wissenschaftsjournalisten sind zunehmend dazu gezwungen, zu Aufträgen aus der Wissenschafts-PR zu greifen, um finanziell überleben zu können. Das verringert den Anteil kritischer Berichterstattung. Ein „Rettungsring“ wäre, wenn etwa das breite Angebot der Hochschulzeitungen und Wissenschaftsmagazine, finanziert aus Steuergeldern, einen Teil ihres Platzes und Honorarbudgets an externe Wissenschaftsjournalisten vergibt. In Australien gibt es diese Kombination von Journalismus und Hochschulkommunikation bereits seit Längerem.

Noch interessanter wäre – neben der Angebotsseite, die Wissenschaft an die Bevölkerung vermittelt – die Entwicklung der Nachfrageseite, bei der der gesellschaftliche Bedarf an wissenschaftlichen Lösungen wie auch die Mitwirkungskompetenz der Zivilgesellschaft im Mittelpunkt stehen. Alte Modelle waren die „Wissenschaftsläden“ (Science Shops), die in Deutschland heute nur ein Schattendasein führen. Ein neuer Trend der Bürgerbeteiligung an der Wissenschaft sind „Citizen Science“-Projekte, die zwar in der Forschungskooperation funktionieren, aber medial wenig Ausstrahlung haben. Die Kommunikationsagenda, die vor drei Jahren ein „Grünbuch“ der deutschen Bürgerforschung aufstellte, ist bislang ohne Umsetzung.

Die dritte Mission

Ein neuer Hebel, um die Kombination aus Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation zu unterstützen, ist die Orientierung der Hochschulwelt auf die sogenannte Dritte Mission. Darunter wird nach den beiden ersten Missionen Lehre und Forschung als weitere Aufgabe der Transfer des wissenschaftlichen Wissens in die Wirtschaft und die Gesellschaft verstanden.

Ein großes Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem ­Titel „Innovative Hochschule“ stellt dafür in den nächsten zehn Jahren 550 Millionen Euro bereit. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) will mit ihren neun Millionen Euro, die sie im Wettbewerb des BMBF und der Bundesländer gewann, in ihrem Konzept „Campus to world“ in den kommenden fünf Jahren eine „Innovation-Mall“ für ihre Forschungs- und Transferaktivitäten aufbauen.

Die Innovation-Mall stehe „gleichermaßen für einen physischen wie virtuellen Ort des Netzwerkens und Austauschs, der den Transfer aus der Hochschule hinaus wie in sie hinein ermöglicht“, beschreibt die Bonner Fachhochschule das Projekt. In Südhessen ist an der Hochschule Darmstadt das mit 10 Millionen Euro ausgestattete Projekt „S:NE Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung“ auf Ökothemen ausgerichtet. Die ersten inhaltlichen Schwerpunkte sind nachhaltige Städte und Siedlungen sowie nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen. Themen, die in Zeiten des Klimawandels nach mehr Publizität und öffentlichen Diskurs benötigen.

Unabhängige Umweltinstitute

Auch eine andere Forschungsvorhut könnte wissenschaftliche Leistung, journalistische Verbreitung und gesellschaftliches Engagement in neuer Weise zusammenbringen: die unabhängigen Umwelt­institute, die sich der „sozialökologischen Forschung“ zugehörig fühlen. Da sie historisch aus einer gesellschaftlichen Bewegung entstammen – den Umwelt-Bürgerinitiativen und dem Anti-AKW-Protest –, hätte eine stärker gesellschaftsgerichtete Wissenschaftskommunikation ihre Logik.

So lud das auf Transformationsforschung spezialisierte Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie im Herbst erstmals einen „Journalist-in-Residence“ ein [den Autor dieses Textes, Anm. d. Red.], um die Entwicklung des „transformativen Journalismus“ zu stärken. ­Weitere Kooperationschancen ergeben sich über die Transitions-Town-Bewegung, die „Zukunftsstädte“, das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement oder eine Neubelebung der „Forschungswende“, die eine andere Forschungspolitik aus Sicht der Umweltverbände artikulierte.

Digitale Plattformen, neue Finanzierungen und erweiterte Kooperationen in die Zivilgesellschaft hinein – das können die Bestandteile für eine neue gemeinsame Entwicklung von Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation sein. Und mit ihr ein neues Narrativ für die Wissenschaft.

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