Troja-Museum in der Türkei: Der westlichste Vorposten Anatoliens

Das Gebäude wirkt neben der berühmten Ausgrabungsstätte wie ein Fremdkörper. Doch ist es das gelungenste Museum in der Türkei.

Das Museum: ein massiver, rostroter, quadratischer Monolith, mitten in der Landschaft

Auf den Etagen wird die Grabungsgeschichte des Areals nebenan von unten nach oben nachgestellt Foto: Troya 2018

ÇANAKKALE taz | Auf den ersten Blick ist man irritiert. Inmitten von Olivenbäumen und grünen Feldern, auf denen die Winteraussaat gerade zu sprießen beginnt, erhebt sich ein rostroter, quadratischer Monolith rund 50 Meter hoch über die Landschaft. Ein Fremdkörper, der umso abweisender wirkt, weil sich statt großer Fenster nur schmale Schießscharten nach außen öffnen.

Erst wer den Zusammenhang zwischen dem rostroten Turm und dem nur wenige Hundert Meter entfernt liegenden weltberühmten Ausgrabungshügel von Troja herstellt, kann erahnen, dass der Turm so etwas wie eine abstrakte Version eines der antiken Wehrtürme von Troja darstellen könnte.

Tatsächlich beherbergt der Turm das neue Troja-Museum, das Ende letzten Jahres am Grabhügel an den Dardanellen eröffnete wurde. Es ist das mit Abstand gelungenste Museum der Türkei. Wo das Grabungsareal, in dem Heinrich Schliemann 1870 erstmals seinen Spaten ansetzte, um Homers Epos vom Trojanischen Krieg archäologisch zu untermauern, dem Besucher bis heute vor allem Rätsel aufgibt, gibt das neue Museum Antworten.

Noch immer nicht über die am meisten diskutierte Frage, ob Homers Trojanischer Krieg wirklich so stattgefunden hat wie vom Dichter beschrieben, aber auf die Fragen, wie Troja in den rund 2.000 Jahren, in denen die Stadt – von 3000 bis 1000 vor unserer Zeitrechnung – ihre Blütezeit hatte, ausgesehen hat.

Eine geniale Simulation der Ausgrabungsstätte

In welchen Häusern haben die Menschen dort gelebt? Wie war die Stadt befestigt? In welcher Sprache haben sich Hektor und Achill beschimpft? Und warum war die Stadt Troja in ihrer langen Geschichte so oft umkämpft, dass die Archäologen mittlerweile mehr als zehn Schichten nachweisen können, in denen die Stadt durch Krieg, Feuer oder Erdbeben zerstört und immer wieder von Neuem aufgebaut wurde?

Über 500.000 Touristen jährlich besuchen die Grabungsstätte von Troja, die längst zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde. Sie liegt an der Stelle, an der die Dardanellen in die Ägäis münden, nahe der Stadt Canakkale. Tagesausflüge von Istanbul oder Izmir aus werden vielfältig angeboten. Das neue Troja-Museum präsentiert auf 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche die Artefakte aus dem antiken Troja, die in der Türkei verblieben sind.

Das Troja-Museum simuliert in geradezu genialer Weise die Ausgrabungsstätte nebenan. In den einzelnen Etagen des Turms sind die Grabungsschichten des benachbarten Hügels von unten nach oben nachgestellt. Man betritt das Gebäude über eine Rampe, die tief in die Erde führt. Die ersten zwei Etagen des Museums liegen unter den Feldern und Olivenbäumen und beschäftigen sich mit dem Beginn der Besiedlung der Region insgesamt und dem des Burghügels im Besonderen.

Erste Spuren einer dichteren städtischen Besiedlung des Burgberges stammen aus dem Jahr 2920 v. u. Z. Die Archäologen nennen die ersten tausend Jahre von Troja die maritime Phase, weil die Menschen damals hauptsächlich vom Fischfang lebten. Diese Zeit entspricht den Schichten Troja I bis III. Man findet Hinweise auf größere Tempelbauten und Herrschaftshäuser, ab Troja II wird die Keramik auf Töpferscheiben hergestellt, und es gibt gewebte Textilien.

Selbst filigraner Schmuck wurde bereits hergestellt. Schliemanns Goldschatz, den er fälschlicherweise als „Schatz des Priamos“ bezeichnete und der heute im russischen Puschkin-Museum gehütet wird, stammt von vor 2000 v. u. Z. und ist damit rund tausend Jahre älter als der Trojanische Krieg.

Sprechende Exponate

Von Troja IV bis VIIa reicht die Phase der trojanischen Hochkultur. Ab 1300 v. u. Zt. hatte die Stadt ihre größte Ausdehnung und könnte als Troja VI bis zu 30.000 Bewohner beherbergt haben. Diese Phase endet damit, dass die Stadt um 1180 v. u. Z. vermutlich durch einen Krieg komplett zerstört wurde und danach nie wieder die Bedeutung erlangte, die sie in den 500 Jahren davor gehabt hatte. Ob dieser Krieg tatsächlich ein griechischer Angriff war, der homerische Trojanische Krieg also, wissen wir nicht, aber es spricht einiges dafür, dass das Epos einen historischen Kern hat.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Deshalb tauchen die bekannten Figuren der „Illias“ auf der dazugehörigen Museumsebene auch alle auf und sprechen den Besucher sogar direkt an. Allerdings antworten Hektor wie Achill bei diesem interaktiven Ausstellungsstück auf Türkisch, während sie tatsächlich Luwisch und Griechisch sprachen. Denn was im Museum sehr anschaulich dargestellt wird, ist die politische und ökonomische Einbettung Trojas im Mittelmeerraum der Bronzezeit und die exponierte Lage der Stadt.

Ab 1500 v. u. Z. waren die dominierenden Großmächte am östlichen Mittelmeer die Ägypter, die Hethiter, die Assyrer und Babylonier in Mesopotamien und die Minoer auf Kreta, die 1400 v. u. Z. von den Mykenern, den Helden Homers, im Westen des gesamten ­östlichen Mittelmeerraumes abgelöst wurden. Troja war dagegen der westlichste Vorposten ­Anatoliens und kontrollierte mit den Dardanellen die Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer, also den Seeweg von Europa nach Zentral­asien. Diese Lage war der Schlüssel für Trojas Reichtum und der Grund für die Angriffe auf die Stadt.

Nun sind alle Voraussetzungen gegeben, um alle Artefakte aus Troja an Ort und Stelle angemessen präsentieren zu können

In seiner Blütezeit, den letzten 300 Jahren vor seiner endgültigen Zerstörung, war Troja mit den Hethitern verbündet oder ein hethitischer Vasallenstaat. Gesprochen wurde in Troja deshalb wie in weiten Teilen des hethitischen Vielvölkerreichs vermutlich Luwisch, eine Sprache, die in ganz Westanatolien verbreitet war.

Eigentlich ein deutsches Projekt

Man weiß heute, dass der Trojanische Krieg Teil einer weit größeren Zäsur im östlichen Mittelmeer gewesen ist. Im Zeitraum von hundert Jahren, von 1250 bis 1150 v. u. Z., am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit, wurde nicht nur Troja zerstört. Auch auch die Hauptstädte aller anderen dominierenden Mächte außer Ägypten, einschließlich der Paläste in Mykene und Kreta, also den Hochburgen der griechischen Sieger Homers, fielen Kriegen zum Opfer.

Sollten die Griechen Troja vernichtet haben, sind sie ihres Sieges jedenfalls nicht froh geworden. Danach begann im östlichen Mittelmeer eine knapp 400 Jahre anhaltende „dunkle Phase“, eine Zeit zivilisatorischer Rückschritte – in Griechenland geriet sogar die Schrift in Vergessenheit –, die erst um 800 v. u. Z. zu Ende ging.

Verantwortlich für die hervorragende Präsentation dieser Geschichte sind der Direktor des Troja-Museums, Ali Atmaca, und der derzeitige Chefausgräber in Troja, Rüstem Aslan. Troja ist ja die deutsche archäologische Grabung überhaupt. Von 1871 bis 1890 grub hier Schliemann, ab 1894 bis 1924 sein früherer Mitarbeiter Wilhelm Dörp­feld. Von 1932 bis 1938 hatte der Amerikaner Carl Blegen ein kurzes Intermezzo in Troja, ab 1988 übernahm wieder ein deutscher Archäologe, Manfred Korfmann.

Als Korfmann 2005 überraschend starb, setzte die Uni Tübingen die Grabungen noch einige Jahre fort. Ab 2013 übernahm dann erstmals ein türkischer Archäologe, Rüstem Aslan, die Verantwortung. Doch die Kontinuität ist gesichert. Aslan ist ein Schüler Korfmanns und hat lange mit diesem in Troja zusammengearbeitet. Ursprünglich war das Museum eine Idee Korfmanns, der davon träumte, alle Troja-Funde direkt an der Grabungsstätte präsentieren zu können.

Alles original

Tatsächlich, sagt Aslan, „ist das Troja-Museum viel größer geworden, als Korfmann es sich je vorgestellt hat“. In gewisser Weise hat das Museum eine ähnliche Funktion wie das ebenfalls erst vor zehn Jahren neu eröffnete Akropolis-Museum in Athen. Es soll demonstrieren, dass nun die räumlichen und wissenschaftlichen Voraussetzungen geschaffen sind, um alle Artefakte aus Troja an Ort und Stelle angemessen präsentieren zu können.

Allerdings: So wie das Akropolis-Museum erst vollständig wäre, wenn die Teile des Tempelfrieses, die heute noch im Britischen Museum ausgestellt werden, wieder nach Athen zurückgekehrt sind, leidet auch das Troja-Museum daran, dass viele Funde in deutschen, russischen und amerikanischen Museen landeten. „Natürlich hätten wir diese Stücke gerne zurück“, sagt Direktor Ali Atmaca, aber er weiß, dass die Chancen dafür gering sind. Sich mit Nachbildungen zu behelfen, lehnt Rüstem Aslan dennoch ab: „Auf der Grabungsstätte ist jeder einzelne Stein original, und auch ins Museum kommen nur Originale. Wenn man Repliken aufstellt, signalisiert man ja, dass man mit Repliken zufrieden ist“.

Aslan hat in Deutschland schon einmal informell angefragt, ob vielleicht eine Leihgabe für begrenzte Zeit möglich wäre, er ist aber auf Ablehnung gestoßen. Trotzdem, auch ohne diese Originale kommt man aus dem Troja-Museum klüger heraus, als man hineingegangen ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.