Tram und Bus ohne Ticket: Bremen sucht den Super-Einstieg

Eine Initiative hat ausgerechnet, wie Bremen die Umstellung auf einen umlagefinanzierten Personennahverkehr schaffen könnte.

Eine Straßenbahn trifft an der Haltestelle des Bremer Hauptbahnhofs ein.

Könnten auch ohne Tickets einsteigen dürfen: Wartende am Bremer Hauptbahnhof Foto: dpa

BREMEN taz | Studierende kennen das Prinzip seit 1991: Ob sie wollen oder nicht, sie überweisen den Semesterbeitrag und bekommen dafür ungefragt ein Semesterticket, mit dem sie Bus und Bahn frei nutzen können – einfach einsteigen. „Einfach einsteigen“, so nennt sich auch eine Initiative, die nun für alle Bremer das Gleiche will: einen über eine Umlage finanzierten Nahverkehr innerhalb Bremens. Ein Jahr lang hat die Gruppe Ideen ausgetauscht, die Rechtslage studiert, viel gerechnet und etliche Gespräche geführt.

Herausgekommen ist ein Konzept, in dem Bus- und Bahntickets überflüssig werden. Der Betrieb und Unterhalt des Nahverkehrs soll nicht mehr über den Fahrpreis, sondern über eine paritätische Umlage finanziert werden. Die eine Hälfte der Kosten trägt sich über einen verpflichtenden Beitrag, den alle volljährigen Bremer*innen und Berufspendler*innen zahlen sollen – unabhängig davon, ob sie den Nahverkehr nutzen wollen. 19,11 Euro, so hat die Initiative berechnet, sollen für jede*n im Monat anfallen, Sozialhilfeempfänger sind mit 10 Euro dabei.

Ähnliche Vorschläge tauchten schon früher auf, als „Nulltarif“, als „Fahrscheinloser ÖPNV“ oder als „Solidaritätstarif“. Meist scheiterten die Ideen früh, 2015 etwa wurde in Osnabrück ein angedachtes „Bürgerticket“ noch vor der Machbarkeitsstudie eingestampft. „Es ist eben Neuland und damit zumindest theoretisch ein Risiko“, befindet Mark Wege, einer der Initiatoren von „Einfach einsteigen“.

Ein politisches Risiko liegt in dem Gefühl von Ungerechtigkeit, das manch einer auch angesichts des Rundfunkbeitrags empfindet. Schließlich zahlen immer auch diejenigen mit, die das Angebot nicht nutzen. „Einfach einsteigen“ argumentiert – analog zu ARD und ZDF – mit dem Gemeinwohl des ÖPNV für die verpflichtende Abgabe: Wer den Nahverkehr stärkt, verbessert nicht nur die Teilhabe der Ärmeren, sondern entlastet auch die Stadt von Stau und Abgasen. So profitieren indirekt auch Auto- und Radfahrer, die den ÖPNV nur sporadisch oder gar nicht nutzen.

Die Bremer Wirtschaft müsste zahlen

Widerstand droht aber nicht nur durch konsequente BSAG-Vermeider. Denn die zweite Hälfte der Einnahmen soll von der Wirtschaft kommen. Durch den ticketlosen Nahverkehr werde die Stadt attraktiver, Kunden würden mobiler und der verbesserte Verkehrsfluss mache Geschäftswege kürzer – „die Unternehmen haben einen Vorteil“, findet „Einfach einsteigen“-Gründer Mark Wege.

Billig wird dieser Vorteil nach den Berechnungen der Initiative für die Bremer Wirtschaft nicht. Für die benötigten 122 Millionen Euro im Jahr müsste der Gewerbesteuerhebesatz von heute 470 auf künftig 576 Prozent wachsen; anders ausgedrückt: Die Gewerbesteuer für Unternehmen stiege in Bremen von 16,45 auf 20,16 Prozent. Aktuell weist in Norddeutschland Hannover mit 480 Prozent den höchsten Hebesatz auf.

„Die Idee ist da noch nicht ganz zu Ende gedacht“, findet denn auch Olaf Orb, Innenstadtbeauftragter der Bremer Handelskammer. Die IHK hatte im September in einem Positionspapier selbst eine kostenfreie „Freezone“ für Bus und Bahn in der Innenstadt angeregt.

Man wünsche sich „Mut und Innovationsfreude seitens der städtischen Politik“, hieß es dort – und so verspricht Orb jetzt auch selbst, sich konstruktiv mit dem „interessanten“ Vorschlag von „Einfach einsteigen“ auseinanderzusetzen. Das Ganze aber lieber nicht mit Mitteln der Unternehmer: „Der ÖPNV ist eine öffentliche Aufgabe. Die Finanzierung über eine Gewerbesteuer fühlt sich nicht richtig an.“

Zweifel an rechtlicher Zulässigkeit

Auch die politische Ebene zeigt sich zögerlich. „Wir haben Zweifel, ob eine solche Nahverkehrsabgabe rechtlich überhaupt zulässig ist“, erklärt Frank Steffe, Büroleiter von Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne).

Lieber möchte die Behörde kleinere Brötchen backen und den ÖPNV vorerst nur für einzelne Gruppen kostenfrei gestalten – für Schüler*innen, Auszubildende oder arme Menschen etwa. Und überhaupt: „Um mehr Kunden zu finden, muss man nicht einfach die Ticketpreise senken, sondern vor allem das Angebot verbessern.“

Hier wiederum rennt die Behörde bei „Einfach einsteigen“ offene Türen ein. Schließlich hat die Initiative in ihren Berechnungen nicht nur die Betriebskosten für den Nahverkehr der Zukunft ein Drittel höher angesetzt als heute, um die voraussichtlich höhere Nachfrage zu bedienen. Sie sieht auch vor, dass die 75 Millionen Euro, die Bremen jährlich als Subventionen an den Nahverkehr vergibt, künftig in den Ausbau des Straßenbahnnetzes und die Erfüllung des Verkehrsentwicklungsplans 2025 fließen. „Ohne einen Ausbau wäre unser Konzept nicht ganzheitlich“, betont Wege.

So oder so, beschlussreif ist das Konzept noch nicht: Es soll noch breit diskutiert werden. Das erste Infotreffen am 6. Februar im Karton in der Bremer Neustadt dient dazu, Fragen zu beantworten und Diskussionsthemen zu sammeln. „Viele Punkte können durch Diskussion und Input noch verbessert werden“, sagt Wege.

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