Wie „wahr“ ist die Geschichte?

Der Fall „Stella“ von Takis Würger: Nun kommt auch noch die juristische Perspektive hinzu

Vielleicht sollte bald mal die Literatursoziologie übernehmen. Von einer Metaperspektive aus gesehen sind Takis Würgers Roman „Stella“ und das ganze Drumherum jedenfalls interessant. Derzeit ist der Stand der, dass:

Erstens in diesem Fall ausnahmsweise tatsächlich von der Literaturkritik gesprochen werden kann. Anders als bei hohen Einsätzen sonst üblich, haben sich keine zwei Fraktionen gebildet. Niemand in den einschlägigen Feuilletons hat sich zum großen Verteidiger aufgeschwungen, in der Literaturkritik ist das Buch sehr eindeutig durchgefallen. Nur in einem Gesprächsformat des Onlinemagazins Tell gab es verhalten vorgetragene Gegenpositionen.

Zweitens steht dem die Perspektive vieler Leser aber entgegen. „Stella“ steht stabil auf einem oberen Platz der Bestsellerlisten, die noch für Wochen beinahe täglich stattfindenden Lesungen des Autors sind sehr gut besucht und haben, nach allem, was man hört, ein interessiertes Publikum, die Amazon-Kritiken sind teilweise euphorisch.

Und nun gibt es drittens seit dieser Woche auch noch eine weitere Perspektive, die juristische. Der Strafantrag gegen Takis Würger ist raus, im Namen von Birgit Kroh, der Rechteinhaberin in Bezug auf Stella Goldschlag, das historische Vorbild der Stella-Figur im Roman, und zwar wegen des „Verdachts der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“. Damit fragt sich nicht mehr nur, wie der Roman ästhetisch (Kitsch oder nicht) und historisch-moralisch (zu unbedarft gegenüber dem Romankontext der Shoah oder nicht) zu bewerten ist, sondern auch juristisch.

Wie immer man zu der Strafanzeige steht, sie basiert tatsächlich auf einem für den Roman heiklen Punkt. „Teile dieser Geschichte sind wahr“, steht ausdrücklich in seinem Vorspann. Der Strafantrag argumentiert nun, dass Takis Würger „in seinem Werk die historische Figur ,Stella' Goldschlag, auch bekannt als die ,Greiferin', neben die fiktive Figur der Kirstin/Stella, eine liebreizende junge Frau im Stil von Rosamunde Pilcher“, gestellt hat. Die Darstellung der fiktiven Figur interessiert juristisch nicht weiter. Die historische Figur dagegen vielleicht schon.

Sie wird, so argumentiert der Strafantrag, durch 15 Textstellen hergestellt, in denen Feststellungen eines sowjetischen Militärtribunals zitiert werden und in denen Stella Goldschlag jeweils Juden verraten hat. Dadurch aber, so lässt sich der Antrag zusammenfassen, erschaffe Würger das „Monster“ Stella, und zwar allein aufgrund von Zeugenaussagen, die, obwohl sie rechtlich keinen Bestand haben, unkommentiert in das Buch eingefügt werden.

Handelt es sich hier also um 15 Tatsachenbehauptungen, die demnach nicht von der Kunstfreiheit gedeckt sind und die, so die Strafanzeige, der Autor „erkennbar deswegen eingefügt (hat), um die Person der Stella zu verschmähen und so eine größtmögliche Auflage zu erzielen“? Falls es zur Verhandlung kommt, könnte die Seite der Verteidigung dagegen argumentieren, dass in einem Roman zitierte historische Dokumente stets Teil des Romans sind, also eben doch durch Kunstfreiheit gedeckt. drk