Falscher Picasso,echte Gefühle

Die Zusammenarbeit der belgischen Theaterkompagnie „Berlin“ mit dem früheren Kunstfälscher Geert Jan Jansen ist umstritten. In Essen steht nun die deutsche Premiere von „True Copy“ an. Fragen an den Kompaniegründer

Wahre Kunst, oft schwer zu erkennen. Szenenbild aus True Copy Foto: Koen Broos

Interview Astrid Kaminski

taz am wochenende: Herr Degryse, Ihre Kompagnie heißt „Berlin“. Es gibt zweieinhalb Billionen Berlin-Einträge in meiner Suchmaschine. Wieso dieser Name?

Yves Degryse: Wir starteten unsere Kompagnie mit einer Reihe von Städteporträts unter dem Titel „Holoceen“. Das erste Porträt galt Jerusalem, dann gingen wir an den Nordpol, nach Bonanza (USA), nach Moskau, Tschernobyl, Lissabon … Wir hatten die Orte nicht vorher festgelegt. Was wir aber festgelegt haben, ist, dass die Serie in dem Moment beendet sein würde, in dem wir ein Berlin-Porträt machen. Vielleicht wird das sogar das Ende der Kompagnie sein.

Warum steht Berlin symbolisch für das Ende?

Wir arbeiten in den Stadtporträts zwischen Vergangenheit und Zukunft, Dokumentarischem und Fiktion. In Berlin gibt es diese Art Balance zwischen Vergangenheit und Zukunft, das Wendezeitgefühl eben.

Sprechen wir über Ihr aktuelles Stück „True Copy“. Bevor es fertig war, sorgte es bereits international für Schlagzeilen. Sie hatten bei der Stückentwicklung den Fund der Picasso-Zeichnung „Tête d’Arlequin“ vorgetäuscht. Die Zeichnung war 2010 mit anderen Kunstwerken aus der Rotterdamer Kunsthal geraubt worden und ist seither unauffindbar.

Wir haben den Fund nicht vorgetäuscht, sondern eine Kopie des berühmten Kunstfälschers Geert Jan Jansen in Rumänien – dem Heimatland der ohne die Beute gefassten Kunstdiebe – vergraben.

Dann verschickten Sie anonyme Briefe mit dem Fundort an Leute, die mit dem Fall beschäftigt waren, was ein riesiges Medienecho hervorrief.

Erst mal waren wir mit praktischen Fragen beschäftigt: die Fälschung anfertigen lassen, ein Versteck suchen, eine versteckte Kamera zu installieren … Wir nahmen uns einen Anwalt und entwickelten verschiedene Szenarien, welche Konsequenzen die Aktion für uns und andere haben könnte. Dass es dazu innerhalb kürzester Zeit 60 Berichte in 18 Ländern geben würde, war nicht vorherzusehen. Unser Idealszenario war aber weniger das Medienecho, sondern dass die Zeichnung zurück in die Rotterdamer Kunsthal gelangen würde, ohne als Fälschung aufzufliegen. Und da kommt Geert Jan Jansen ins Spiel. Er hat es jahrelang geschafft, Fälschungen zu produzieren, die als echte Gemälde in Sammlungen Einzug hielten. Dieses Talent zu nutzen, um der Frage nachzugehen, was es bedeutet, wenn das Falsche denselben emotionalen Wert generiert wie das Echte, das hat uns interessiert.

Geert Jan Jansen arbeitete so gut, dass sogar lebende Maler wie Karel Appel die gefälschten Werke als ihre eigenen zertifizierten. Warum klappte die Täuschung bei Picasso nicht?

Die Theaterkompagnie „Berlin“ wurde 2003 von Bart Baele, Yves Degryse und Caroline Rochlitz in Antwerpen gegründet. Die dokumentarisch orientierte, multimediale Arbeit der Gruppe beschäftigt sich mit den Faktoren der Komposition von Realität. Zwei Säulen bestimmen das Profil von „Berlin“: die Städteporträtserie „Holoceen“ und die eher an menschlichen Schicksalen orientierte Serie „Horror Vacui“, wozu „True Copy“ über den „Meisterfälscher“ Geert Jan Jansen zählt. Zentraler Teil des Stücks ist die Fälschung der 2010 in einem Jahrhundertkunstraub aus der Kunsthal Rotterdam entwendeten Picasso-Zeichnung „Tête d’Arlequin“.

www.berlinberlin.be/nl/project/true-copy/

Jansen hatte bis dahin keine exakten Kopien, sondern Gemälde im Stil anderer Maler angefertigt oder berühmte Serien fortgesetzt. Eine exakte Kopie ist etwas anderes. Und heute sind die Mittel der Verifizierung auf einem anderen Stand als zu seinen Hochzeiten vor 30 Jahren.

Ihr Projekt „True Copy“ wurde über eine niederländisch-rumänische Journalistin bekannt. Sie hatte einen Ihrer anonym verschickten Briefe erhalten und sich nach Rumänien zum „Picasso“ aufgemacht. Haben Sie mit ihr gesprochen, nachdem die Fälschung aufgeflogen ist?

Wir hätten gerne mit ihr gesprochen, aber sie nicht mit uns. Sie wirft uns vor, dass wir sie zu dieser Reise verleitet haben. Ich verstehe das nicht. Der Beruf birgt eben bestimmte Risiken. Sie hätte den Brief ja auch einfach irgendwo bei der Polizei vorbeibringen können. Oder das Gemälde nach dem Fund in die niederländische Botschaft bringen und erst einmal von Experten untersuchen lassen können, bevor sie ihr Video vom sensationellen Fund um die Welt schickt.

Als der Wirbel am größten war, haben Sie sich mit Medienpräsenz selber eher zurückgehalten?

Wir haben damals entschieden, sämtlich Presse-Anfragen abzulehnen. Das Einzige, was wir machten, war, zwei Pressemitteilungen herauszugeben.

Kann eine medienkritische Aktion wie die Ihre, in Zeiten, in denen Rechtspopulisten von Lügenpresse sprechen, nicht auch nach hinten losgehen?

Eigentlich nicht. Das journalistisches Ethos wäre hier doch sehr einfach einzuhalten gewesen. Es lautet: erst prüfen, dann berichten. Seriöse Medien haben so auch gehandelt: Der Fund des angeblich echten Picasso wurde im Hinblick auf die noch ausstehende Prüfung vermeldet.

Yves Degryse Foto: Berlin

Für die Presse ist die Frage der Unterscheidung, was echt und was erfunden ist, maßgeblich. Wie wichtig aber ist es, dass ein echter Picasso im Museum hängt?

Genau das ist die Frage. Noch immer hängen einige von Jansens Fälschungen in den großen Museen der Welt. Stellen Sie sich vor, eines dieser Gemälde hat Sie berührt. Nun aber flüstert Ihnen jemand ins Ohr, dass es sich nicht um ein echtes Kunstwerk handele. Der emotionale Wert geht für Sie direkt runter. Genauso wie für die Kunstwelt der Wert des Gemäldes runtergeht in dem Moment, in dem klar ist, dass es kein Van Gogh, sondern ein Geert Jan Jansen ist. Warum? Jansen selbst findet, es sei nicht wichtig, ob etwas echt oder unecht sei, sondern ob es qualitativ hochwertig ist oder nicht. Alle Maler, die er fälschte, waren auf dem Markt etabliert. Jansen sagt: „Ich nehme ihnen nichts weg, ich füge was hinzu. Und solange Experten dies für gut genug befinden, vertraue ich darauf.“

Jansen kam im Jahr 2000 vor Gericht. Er bekam mangels ­Beweisen – die Kunstwelt zeigte mäßiges Interesse an Aussagen – nur ein halbes Jahr Gefängnis. In einem Interview sagte er dazu: „Ein halbes Jahr Knast ist nicht so toll, aber manche Leute kriegen 30 Jahre Büro.“

Wenn man zwei Jahre lang mit ihm zusammenarbeitet, kommt man ins Zweifeln. Wir haben viele Leute der „anderen“ Seite interviewt: Auktionäre, Galeristen. Alles, was zählt, ist nur der Marktwert. Ein ethisches Argument habe ich nicht gehört. Mein Ausgangspunkt ist aber die Verwirrung, die ich der Realität gegenüber habe. Der Zweifel an der Wirklichkeit ist immer eine gute Perspektive für eine spannende Erzählung – gerade im Theater.

True Copy im Pact Zollverein Essen 23. 2. und 24. 2.