Die Wahrheit: Bestseller von anno dunnemals

Ein Blick auf die Spitzentitel der Sachbuchlisten vergangener Tage befördert so manchen Knaller zurück ins Bewusstsein.

Nicht erschrecken, sollte es hier thematisch so aussehen, als würden wir tief in die deutsche Mentalitätsgeschichte hinabsteigen. Wir widmen uns bloß ein wenig den Listen der meist verkauften Sachbücher in der Vergangenheit.

Sie spiegeln offenkundig den Mainstream wider, den Zeitgeist von anno dazumal, wenngleich den genauen Zahlen nicht ganz zu trauen ist. Oder manche Bestseller gar nicht in die Spiegel-Listen gelangen, wie damals „Das große Lesebuch“ von Alfred Polgar, das der große Harry Rowohlt herausgegeben hat. Es sei eine Anthologie, das zähle nicht (vgl. Harry Rowohlt, „Der Kampf geht weiter!“, S. 396).

Ob nun allerdings die Enkel mit meinem ethnografischen Blick etwas anfangen können? Wenn sie erfahren, dass vor einem halben Jahrhundert, 1968/69, der Knaller „Erinnerungen an die Zukunft“ von Ulrich von Däniken zwölf Wochen lang auf Platz eins stand? Demnach während der Revolte der Studierenden und während der erste Mensch im Begriff war, auf dem Mond herumzuhüpfen? Zu Dänikens Erkenntnissen zählt, dass Wesen von fremden Planeten in der Prähistorie auf der Erde gelandet und von den Menschen als Götter verehrt worden sind. Ach so.

Von Däniken schob gleich im Herbst 69 nach: „Zurück zu den Sternen.“ Klar, damit erreichte er wieder den ersten Platz, wechselte ihn allerdings bis April 1970 mehrmals mit ­Albert Speer und dessen „Erinnerungen“, die keine waren, sondern an der grotesken Legende strickten, der Rüstungsminister habe nichts vom Holocaust mitgekriegt. Dann kann das Publikum wohl auch nichts gewusst haben. Weltweit verkauften sich nahezu drei Millionen Exemplare von dieser Scharteke.

Wir springen jetzt ins Jahr 1976. Und wer regiert die Spitze der Sachbuchliste für 22 Wochen? Albert Speer mit seinen „Spandauer Tagebüchern“. Doch danach erklimmen Titel den ersten Platz, die ausnahmsweise weder Hitler noch das „Dritte Reich“ behandeln. Vermutlich erstmals taucht ein Ökobuch auf: „Ein Planet wird geplündert“ von Herbert Gruhl. Danach lindert Frederic Vesters „Phänomen Streß“ das Leiden der lesenden Bevölkerung.

Anschließend produziert der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter einen Mega-Hit für 25 Wochen mit „Flüchten oder Standhalten“. Man kann sich darauf verlassen, dass er ein „hilfreiches Plädoyer“ gegen die Flucht und für das Standhalten hält.

Es sei nur noch der Nachfolger erwähnt, nämlich „Auf Messers Schneide“ des Chirurgen Julius Hackethal. Humanmedizin zieht immer, logisch.

Inzwischen schossen mir Fragen in den Sinn: Wie viel Prozent der Bestseller in der BRD betrafen das Nazi-Regime samt Vor- und Nachgeschichte? Oder auf der Gender-Ebene: Wie viele Autorinnen haben bislang gewonnen? Und wie sieht die Liste der DDR aus?

Als ich meine Enkel neugierig machen wollte, waren sie eingeschlafen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.