Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Jetzt dürfen erst mal alle wählen

Vollbetreute Behinderte und psychisch kranke Straftäter dürfen nicht wählen. Das ist verfassungswidrig entschied nun das Bundesverfassungsgericht.

mann und frau sitzen hinter sichtschutz in einem wahlraum

Insgesamt betrifft der Wahlrechtsausschluss bisher 84.000 Menschen. Sie durften hier nicht sitzen Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Während die Reform des Wahlrechts im Bundestag nicht vorankommt, hat das Bundesverfassungsgericht jetzt Fakten geschaffen. Die bisherigen Regelungen zum Wahlrechtsausschluss bestimmter Menschen mit Behinderung und psychisch Kranker wurden für nichtig erklärt. Falls es keine Mehrheit für eine Neuregelung gibt, wird es keine Wahlrechtsausschlüsse mehr geben.

Bisher sind Menschen, für die in allen Angelegenheiten ein rechtlicher Betreuer bestellt ist, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Betroffen sind bundesweit rund 81.000 Personen. Auch Straftäter, die bei Begehung der Tat schuldunfähig waren und deshalb in der Psychiatrie untergebracht sind, dürfen derzeit nicht wählen. Hier geht es um rund 3.000 weitere Personen.

Gegen die Bundestagswahl 2013 hatten deshalb sieben Betroffene, die nicht wählen durften, Wahlbeschwerde erhoben. Organisiert wurde das Verfahren von der Bundesvereinigung Lebenshilfe und der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP). Sie wollten damit nicht die Ungültigkeit der Bundestagswahl erreichen, sondern eine Korrektur des Bundeswahlgesetzes für die Zukunft. Nachdem der Bundestag die Wahlbeschwerde abgelehnt hatte, landete das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht und hatte dort jetzt Erfolg.

Die Regelungen zum Wahlrechtsausschluss verstoßen gegen das Prinzip der allgemeinen Wahl und diskriminieren zudem Behinderte, so der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Die betroffenen Gruppen würden „ohne hinreichenden sachlichen Grund“ von der Wahl ausgeschlossen. Es werde Menschen das Wahlrecht verwehrt, die teilweise durchaus selbstbestimmt wählen könnten, während andere Gruppen wählen dürfen, obwohl an ihrer Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit Zweifel bestehen.

Zufälligkeiten führen zu gerichtlichen Betreuern

So hänge es von Zufälligkeiten ab, ob gerichtlich ein Betreuer „in allen Angelegenheiten“ bestellt wird oder ob dies nicht erforderlich ist, weil jemand schon frühzeitig in einer Vorsorgevollmacht bestimmt hat, wer ihn später einmal vertritt. Letztere Gruppe sei aber vom Wahlrechtsausschluss nicht betroffen.

Auch der Ausschluss von schuldunfähigen Straftätern überzeugt die Richter nicht. Wenn die psychische Beeinträchtigung – etwa ein Wahnzustand – punktuell während einer Straftat vorlag, sei damit nicht dauerhaft die Wahlfähigkeit beeinträchtigt.

Das Verfassungsgericht hält Wahlausschlüsse allerdings nicht generell für unzulässig. Personen, „die typischerweise nicht über die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügen“, könnten von der Wahl per Gesetz durchaus ausgeschlossen werden, so die Richter.

Hierfür wäre aber ein neues Gesetz erforderlich. Ob sich die Koalition darauf einigen kann, ist fraglich. Die CDU/CSU-Fraktionsspitze hat zuletzt vorgeschlagen, in fraglichen Fällen individuell zu prüfen, ob jemand noch wählen kann. Die SPD lehnt dies ab und befürchtet, dass es künftig mehr Wahlausschlüsse geben wird als bisher. Auch Grüne und Linke wollen die Wahlausschlüsse generell abschaffen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.