Präsidentschaftswahl in Algerien: Dunkler Frühling

Die Proteste gegen ihn halten an. Abdelaziz Bouteflika, der kranke Präsident, verkörpert in Algerien seit 20 Jahren „die Macht“.

Demonstratinnen tragen T-Shirts, auf denen eine durchgestrichene 5 zu sehen ist

Keine fünfte Amtszeit für Bouteflika, fordern die jungen Demonstrantinnen in Algier am 8. März Foto: ap

BERLIN taz | Hinterher weiß man mehr: Nach den heftigen Protesten der vergangenen Wochen dürfte dem algerischen Regime klar sein, dass es keine gute Idee war, den 82-jährigen Abdelaziz Bouteflika ein weiteres Mal für die Wahl im April aufzustellen. „Kein fünftes Mandat“, hallt es durch die Straßen des Landes. Algerien steckt in einer Staatskrise. Schon sprechen Beobachter von Revolution; das beliebte Wort Frühling ist wieder zu vernehmen.

Ein neuer Arabischer Frühling allerdings, so viel vorweg, beginnt schon deshalb nicht, weil es nicht Araber waren, sondern Berber in der Kabylei, die Mitte Februar die massiven Proteste lostraten. Seit Jahren schon ist die nordalgerische Berberregion das Epizentrum des Widerstands gegen das Regime in Algier.

Doch ganz unabhängig davon: Frühlingsgefühle in Algerien sind ohnehin eine Sache für sich. Die arabischen Aufstände von 2011 weckten in Algerien dunkle Erinnerungen. Als die Menschen von Damaskus bis nach Tunis ihre Stimme wiederfanden und gegen die verkrusteten Strukturen ihrer autoritären Herrschaftssysteme aufbegehrten, sahen sich viele in dem nordafrikanischen Land an den blutigen algerischen Bürgerkrieg der neunziger Jahre erinnert.

Die traumatischen Erinnerungen nutze diese Woche auch Algeriens Armeechef. Von „Zeiten des Schmerzes“ sprach Ahmed Gaid Salah nach den Massenkundgebungen vom vergangenen Wochenende. Und versprach: Die Armee werde die „Zügel“ in der Hand behalten, um die errungene Sicherheit zu festigen. Sie werde nicht zulassen, dass das Land in den Bürgerkrieg zurückfalle.

Die Worte des Armeechefs waren eine kalkulierte Mahnung. Nur zu gut weiß der General, was er damit triggert, weiß, dass kaum jemand in Algerien sich in die Neunziger zurücksehnt. Dem Bürgerkrieg, der zwischen 60.000 und 150.000 Todesopfer forderte, war Ende der achtziger Jahre ein „politischer Frühling“ mit demokratischen Wahlen vorausgegangen. Radikale Islamisten gewannen, das Militär machte dem Experiment ein blutiges Ende.

Es ist diese konfliktreiche Ursuppe, aus der 1999 Algeriens einst starker Mann hervorging. Abdelaziz Bouteflika, der sich schon kurz nach der Unabhängigkeit von den Franzosen als langjähriger Außenminister verdient gemacht hatte, war es, der den Konflikt zwischen Armee und Islamisten beilegte. Er erließ eine Amnestie und gliederte die vielen Kämpfer wieder ins zivile Leben ein. Ruhe und Stabilität zogen ein, die AlgerierInnen dankten es ihm.

„Kartellähnliche Strukturen“

Heute, zwanzig Jahre später, nennen die AlgerierInnen das Bouteflika-Regime schlicht „die Macht“, eine treffende Beschreibung für ein undurchsichtiges Geflecht von politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten sowie dem mächtigen Geheimdienstapparat.

Ein Präsident im Krankenbett, ein Regime ohne Kopf und ein Volk, das gehört werden will. Was nun?

Von „kartell-ähnlichen Strukturen“ spricht der Politologe Thomas Serres von der Universität of California in Santa Cruz. In diese seien auch mächtige Unternehmer, Berufsverbände und selbst Gewerkschaften verstrickt. Diese Eliten verteilen den Ressourcenreichtum des Landes nach ihrem Gutdünken. Die Macht der „Macht“ gründet auf einem einfachen Herrschaftsprinzip: Solange die einfachen Menschen vom Staat abhängig sind, wenden sie sich nicht gegen dessen Spitze.

Bouteflika war es, der dieses fragmentierte System, die miteinander in Konkurrenz stehenden Flügel des Regimes zusammenhielt. Doch die Zeiten ändern sich. Der Noch-Präsident sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl. Auf Aufnahmen starrt er – nach links gebeugt und mit leicht offenem Mund – ins Leere. Seine letzte Rede hielt er im Jahr 2012. Die Massenproteste in seinem Heimatland verfolgte der 82-Jährige – wenn überhaupt – aus dem Krankenbett einer Genfer Klinik, in der er sich, schwer bewacht, seit fast zwei Wochen für medizinische Untersuchungen aufhält.

„Was von Bouteflika übrig bleibt“, sagt Serres, „ist sein physischer Körper.“ Der algerische Präsident, man kann es so sagen, ist Vergangenheit. Das algerische Ungetüm namens „Macht“ hat seinen Kopf verloren.

Während der Mann an der Staatsspitze immer älter wurde, ist die algerische Bevölkerung immer jünger geworden. „Ich bin 20 Jahre alt und kenne nur dich als Präsidenten“, hatte eine Demonstrantin auf einer Studierendendemo am Dienstag auf ihr Transparent geschrieben. Mittlerweile hat die Mehrheit der AlgerierInnen den Bürgerkrieg der Neunziger entweder nicht mehr oder nur als Kind miterlebt.

Das Volk will gehört werden

Hinzu kommt, dass der Öl- und Gasreichtum, auf den das Regime angewiesen ist, um die Menschen im Land ruhigzustellen, seit Jahren schwindet. Im Jahr 2013, sagt Serres, seien zwei wichtige Ereignisse zusammengefallen: „Bouteflikas Schlaganfall und sinkende Gas- und Ölpreise. Das waren gewaltige Veränderungen, die seine Legitimität untergraben haben.“

Das Narrativ Bouteflika, es funktioniert nicht mehr. Da helfen auch Warnungen vor dem „schwarzen Jahrzehnt“ nicht oder, wie es Algeriens verhasster Premierminister Ahmed Ouyahia darstellte, vor dem syrischen Szenario. Über die Rosen, die Demonstranten in Algier den Polizisten in die Uniformen steckten, sagte er: „Das ist schön, aber es erinnert mich an Syrien, da hat es auch mit Rosen angefangen.“

Ein Präsident im Krankenbett, ein Regime ohne Kopf und ein Volk, das gehört werden will. Was nun?

Wenn der Arabische Frühling eines gelehrt hat, sagen viele Experten heute, dann ist es, dass revolutionäre Entwicklungen nicht vorhersehbar sind. Der berühmte Blick in die Glaskugel bleibt ein Wunschtraum politischer Beobachter. Niemand hatte die Umwälzungen damals kommen sehen. Entsprechend vorsichtig sind Politologen heute mit Vorhersagen für Algerien. „Das ist ein revolutionäres Moment“, sagt Serres, „alles kann passieren.“

Die wirkliche Opposition in Algerien, also jene Kräfte, die nicht Teil des Regimes sind oder von ihm abhängen, ist zutiefst gespalten. Linksliberale und nationalistische Kräfte sind kaum konsensfähig und selbst im moderat-islamistischen Lager finden die verschiedenen politischen Parteien keinen gemeinsamen Nenner. „In den vergangenen Jahrzehnten wurde alles unternommen, um die politische Arena in Stücke zu schlagen und Oppositionelle zu diskreditieren“, sagt Serres. „Alte Oppositionsparteien haben alle Mühe, auf nationaler Ebene überhaupt noch relevant zu sein.“

Algerischer Frühling

Wichtiger könnten „die Dienste“ sein, der einflussreiche, wenn auch in den vergangenen Jahren vom Bouteflika-Clan machtpolitisch zurechtgestutzte Geheimdienstapparat. Ein Name, der immer wieder fällt, ist Mohamed Mediène, genannt „Toufik“. Seit Bouteflikas Amtsantritt 1999 gilt der ehemalige Geheimdienstchef als mächtiger Gegenspieler Bouteflikas innerhalb des Regimes. Fotos gibt es kaum von dem Mann – ein Symbol für das intransparente Machtgefüge in Algerien, gleichzeitig aber auch keine gute Voraussetzung für eine aktive politische Rolle. Dass Toufik und seine Leute Bouteflika loswerden wollen, gilt als sicher. Was ihre Pläne für die Zukunft des Landes sind, ist dagegen völlig ungewiss.

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Politologe Serres schließt auch ein Einschreiten des Militärs wie 2013 in Ägypten nicht völlig aus. Einige Demonstranten in den Straßen Algiers hätten bereits nach der Armee gerufen, die in Algerien einen guten Ruf habe. „Es ist eine Option“, sagt Serres, „aber gleichzeitig die gefährlichste.“ Nach den Erfahrungen des Bürgerkriegs wüssten die AlgerierInnen nur allzu gut um den Preis einer Militarisierung der Politik. Und selbst wenn es zu einem Putsch oder einer von Teilen der Bevölkerung unterstützten Machtübernahme des Militärs kommen sollte: Armeechef Ahmed Gaid Salah sei ein alter Verbündeter des Präsidenten. „Möglicherweise kann er sich von Bouteflika distanzieren, aber er ist ganz sicher keine glaubwürdige politische Alternative.“

Eine solche aber fordern die Menschen auf den Straßen Algeriens. Gemeinsame Forderungen hat die Protestbewegung zwar noch nicht vorgelegt. Doch einige Oppositionsparteien wie auch führende Mitglieder des äußerst aktiven Jugendverbands RAJ fordern eine Übergangsphase.

Statt eines neuen Präsidenten im alten Gewand müsse erst einmal eine verfassungsgebende Versammlung gewählt werden. Eine Interimsregierung müsste dann die Regierungsgeschäfte übernehmen, während eine neue, demokratisch legitimierte Verfassung erarbeitet wird. Später dann, irgendwann, würden die Algerierinnen und Algerier einen Nachfolger Bouteflikas wählen. Das wäre ein wirklicher politischer Neustart, ein algerischer Frühling.

Dafür haben am Freitag, dem 8. März, wie schon an den Freitagen zuvor, Tausende in Algerien demonstriert. Bis zum Redaktionsschluss verlief der Protest friedlich. Auf Twitter wird von der größten Demo aller Zeiten in Algier gesprochen, das Foto eines Demonstranten mit Transparent macht dort die Runde. „Ein unabhängiges Volk, das nicht länger einen abhängigen Präsidenten will“, steht darauf.

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