Macrons Brief an die „Bürger Europas“: Fragwürdige Initiative

Der französische Präsident stößt mit seinem Appell an die „Europabürger“ viele vor den Kopf. Sowohl in Frankreich, als auch im Rest der EU.

abgeschnittenes Profil von Präsident Emmanuel Macron

L'Europe? C'est moi! In Frankreich erinnert Macrons ich-Gehabe viele an General de Gaulle Foto: Gonzalo Fuentes/reuters

PARIS taz | Emmanuel Macron ist ein eifriger Briefschreiber. Erst verschickte er eine Epistel an seine Landsleute zum Start einer landesweiten Debatte aufgrund der Krise mit den Gelbwesten. Nun lancierte der französische Präsident einen Offenen Brief an alle „Bürger Europas“, die er zur Rettung einer von nationalistischen Rückzugs- oder Austrittsdrohungen gefährdeten EU mobilisieren möchte.

Spontan wird man ihm entgegnen, er solle vielleicht zuerst vor der eigenen Türe kehren und seine innenpolitischen Probleme mit den „Gilet jaunes“ lösen, statt sich als Ratgeber für andere aufzuspielen. Wie glaubwürdig ist ein Staatschef, der in seinem Land mit seiner Politik und seinem Stil den schwersten Konflikt seit dem Mai 1968 provoziert hat?

Das französische Präsidentschaftsamt hat zu diesen Vorwürfen erklärt, es handle sich „nicht um eine Einmischung in die Wahlkampagne, sondern um Anstöße“ für eine notwendige Debatte. Das Vorgehen wirft dennoch eine Reihe von kritischen Fragen auf.

Auch wenn die wichtigsten Partner zuvor vom Inhalt seines Appells in den Medien aller 28 EU-Staaten informiert wurden, hat Macrons Solo irritiert. Indem er in der Ichform den direkten Dialog mit den „Europabürgern“ sucht, verstärkt er den Eindruck einer überaus personalisierten Machtausübung, die ihm bereits den Unmut oder Zorn eines großen Teils seiner Landsleute eingebracht hat.

Das „Ich“ als Methode

Individualismus als Methode, um eine kollektives Projekt wieder in Gang zu bringen, das ist laut der französischen Tageszeitung Le Figaro ein Versuch, „Charles de Gaulle und Jacques Delors auf einen Nenner zubringen“, das heißt einen autoritären Führungsanspruch und einen gemeinschaftlichen Dialog.

Fragwürdig ist Macrons Initiative im Vorfeld der EU-Wahlen aber aus innenpolitischer Sicht. Noch bevor seine Regierungspartei „La République en marche“ (LREM) seine KandidatInnen und die Spitzenkandidatin nominieren und die Stoßrichtung des Wahlprogramm definieren konnte, hat Macron mit seinem Brief für seine politische Familie die Linie diktiert.

Auch wenn er selber natürlich nicht auf der LREM-Liste stehen wird, erscheint er in Frankreich mehr als inoffizieller Spitzenkandidat oder Parteichef und nicht als Staatsoberhaupt, das alle ungeachtet ihrer Herkunft oder politischer Meinung repräsentieren sollte.

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