Echte Fans eignen sich alles an

Aus den Onlineforen auf die Bühne: Am Wochenende fand das Fan Fic Festival im Ballhaus Ost in Prenzlauer Berg statt. Mit literarischen Selfies, Siebdruckwerkstatt und Stuhlkreis als Teil der Performances

Nele Stuhler in „Ein Tag im Jahr“ (Regie Laura Eggert) Foto: F.: Ballhaus Ost

Von Eva Behrendt

Seinen ersten großen Auftritt im Feuilleton hatte der Begriff „Fanfiction“ im Zusammenhang mit E. L. James’ „Fifty Shades of Grey“. Denn bevor der BDSM-Softporno in Buchform gedruckt vorlag, hatte die Autorin Erika Leonard ihn bereits unter dem Pseudonym Snowqueens Icedragon als Fanfiction zu Stephenie Meyers „Twilight Saga“ online veröffentlicht und in überarbeiteter Fassung als E-Book herausgebracht. Fanfiction, also die Aneignung, Fortschreibung und Neuerfindung von literarischen, aber auch anderen künstlerischen Stoffen, findet jedoch nicht nur in ausgewiesenen, oft unkommerziellen Foren im Netz statt. Genauer betrachtet, funktionieren auch viele Werke der darstellenden Künste ganz ähnlich, indem sie Filme und Romane für die Bühne adaptieren oder den sogenannten Kanon durch verschiedene Regiehandschriften, Überschreibungen oder performative Formate immer wieder neu durcharbeiten. Wobei hier selten Amateur*innen, sondern meist schon vielfach erprobte Profis am Werk sind.

Diesen Gedanken legte jedenfalls das Fan Fic Festival nahe, das am Wochenende im Ballhaus Ost stattfand. Beim überhaupt ersten, mit 80.000 Euro senatsgeförderten, eigenen Festival der freien Spielstätte in der Pappelallee präsentierte das künstlerische Leitungskollektiv (Anne Brammen, Tina Pfurr, Daniel Schrader, Christoph Winkler) nicht nur eine Reihe von Auftragsarbeiten, sondern bildete auch ein relativ breites Spektrum an „Fandoms“ (Fangemeinschaften) und deren Äußerungsmöglichkeiten ab.

So konnte man vor einem Schrein aus Jennifer-Aniston-Fotocollagen meditieren und die subversive Affirmation in der Plakatkunstserie „Bizarrerien“ von Daniela Dröscher, Marc Bausback und Leonard Neumann rund um Begriffe wie Heimat, Nation und Identität bewundern. In Dauerschleife liefen Paul Wiersbinskis Dance-Videos „All that dissolves must ascend“ mit den ausdrucksstarken Performer*innen vom Schweizer Theater HORA sowie Jennifer Weists (alias @yaenniferfromtheblock) gesammelte Verlautbarungen auf Instagram, von denen sich Ballhaus-Co-Leiterin (und hier: Fan) Tina Pfurr in geballter Form einen „Exorzismus“ erhofft: vermutlich vergeblich, denn wie die Jennifer-Rostock-Frontfrau die üblichen Filterblasencontents gleichzeitig individualisiert und weiter vermainstreamt, ist durchaus faszinierend anzuschauen.

Theaterstücke sind der Fanfiction verwandt, wenn sie Romane adaptieren

Auch die dem Ballhaus verbundenen Freie-Szene-Künst­le­r*in­nen legten das Spektrum der Werke, Personen und Produkte, auf die sie Bezug nahmen, beeindruckend weit aus. Kareth Schaffe und Cathy Walsh etwa outeten sich mit steifen, farbigen Blazern und kupferfarbenen Merkelperücken als Anhänger der Bundeskanzlerin, die sich mehr oder weniger symmetrisch durch ein Dutzend Papp­aufsteller mit lebenden und toten Politikerschattenrissen bewegten. Trotz Merkelraute, „Wir schaffen das“-Beschwörung und Augenverdrehenin Richtung Trump blieb jedoch das Gestenrepertoire zu unspezifisch ungehemmt, um die Begeisterung der beiden Performerinnen wirklich plausibel machen zu können, von einer differenzierten politischen Begründung ganz zu schweigen. Perfomerin Nele Stuhler hatte – hier ausdrücklich in der Autorinnenrolle – Christa Wolfs Tagebuchprojekt „Ein Tag im Jahr“ als Künst­le­r*in­nenreflexion zwischen Kollektivarbeit, Zugfahrt und veganen Mahlzeiten fortprotokolliert. Die der jungen Christa T. entfernt ähnelnde Schauspielerin Hannah Müller trug den Tagebucheintrag als literarisches Selfie hochenergetisch vor und besiebdruckte nebenbei auch noch drei schicke Christa-T-Shirts. Auch Agathe Chion und Nicola Ahr nahmen auf einen bereits toten Autor Bezug, nämlich Anton Tschechow, in dessen dramatischen Werken sich Agathe Chion im Tischstuhlkreis eines FF-Treffens verloren zu haben behauptete.

Angelehnt an die Rituale der Anonymen Alkoholiker, sollte bei Samowar-Tee mit Stachelbeermarmelade der Fan-fiktio­nale Suchtkreis durchbrochen werden – völlig überkonstruiert, aber dank Schlingensief-Ikone Kerstin Graßmann, die „Agathe, hör auf zu spoilern“ von der Galerie röhrte, dann doch recht unterhaltsam. Am nächsten an der Mainstreamgegenwart bewegte sich die österreichische Formation vorschlag:hammer, die zu 20-minütigen Computerspielsessions vor einen Bildschirm lud. Als World-of-Warcraft-Avatar traf man sich in der Videospielwelt ganz beschaulich mit live synchronisierten Figuren, die sich kritisch über das Spiel äußerten: etwa über das Brustsortiment für Frauen (nur Modell „Atombusen“) und die kommerziellen Interessen des Produzenten Blizzard. Hier wurde geradezu vorbildlich bestätigt, was zuvor auf dem superinformierten Panel „Hobby, Kunst, Aktivismus – Was ist Fanfiction?“ die Fachfrauen Lisa Kuppler, Kristin Flade und Linda Kuschel diskutiert hatten, nämlich dass zumindest theoretisch die große Chance der Fanfiction in der Erweiterung des Mainstreams um queere und diverse Perspektiven liegen könnte. Doch Vorsicht, die Agenten der Kommerzialisierung schlafen natürlich nicht.