Interview mit Musikerin Stella Sommer: „Magisches hat mich immer gepackt“

Mit ihrer Band Die Heiterkeit ist Stella Sommer gerade auf Tour – hier spricht sie über ihre Landjugend, Hildegard Knef und MeToo.

Eine dunkelblonde Frau steht zwischen Baumästen

Zwischen Berliner Birken: Stella Sommer Foto: André Wunstorf

taz: Stella Sommer, Ihre Band Die Heiterkeit haben Sie in Hamburg gegründet, vor einem Jahr zogen Sie nun nach Schöneberg. Ein Zufall, dass Sie an diesem für die Popkultur mythischen Ort gelandet sind?

Stella Sommer: Zu Schöneberg hatte ich gar keinen Bezug. Berlin kannte ich schon sehr gut, meine Eltern haben beide hier studiert, mein Vater ist in Reinickendorf aufgewachsen und hat Familie hier. Wir waren als Kinder in den Ferien oft in Berlin. Aber erst als ich nach Schöneberg zog, ist mir aufgefallen, dass ich genau zwischen den Gedenktafeln für Marlene Dietrich und Hildegard Knef wohne.

Haben Sie auch zu den Legenden der Schöneberger Achtziger-Szene – ­Bowie, Iggy Pop, Nick Cave, Malaria! – einen Bezug?

Bedingt. Bowie fand ich immer faszinierend. Musikalisch gibt es vermutlich am ehesten Schnittmengen zu Nick Cave, die Art des Songwritings ist mir sehr vertraut.

Ihre Band klingt eher nach der dunkleren Seite der späten Sechziger, man denkt an Nico & The Velvet Underground, Marianne Faithfull, Nick Drake. Sollte es von Beginn an in diese Richtung gehen?

Dass sich diese dunkle Grundfarbe durch die Songs zieht, hat eher mit mir selbst zu tun. Wenn ich Songs schreibe, schreibe ich die eigentlich immer alleine in meinem Zimmer. Da herrscht wahrscheinlich eine bestimmte Stimmung, die in den Liedern ist, weil sie halt alle vom gleichen Ort kommen. Und egal, woher die Inspiration für ein Stück kommt, am Ende gehen die Songs ja immer noch durch einen selber durch. Bestimmte Sachen kann ich einfach nicht schreiben – selbst wenn ich’s versuchen würde, würde es nicht gehen. Weil dann meine Stimme kommt, und die hat diesen Anstrich, den sie nun mal hat.

Aber die Sechziger haben Sie schon musikalisch geprägt?

Ja. Der Pop und die Folksongs dieses Jahrzehnts haben mein Verständnis von Songwriting geprägt. Ich glaube, das hört man deutlich.

Der Mensch Stella Sommer, 31, ist in St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein aufgewachsen. Nach dem Abitur ging sie zunächst für ein Jahr nach Melbourne, ehe sie in Hamburg Jura studierte. Anfang 2010 gründete sie gemeinsam mit Rabea Erradi die Band Die Heiterkeit. Der ersten Band sollten weitere folgen: Gemeinsam mit Max Gruber aka Drangsal rief sie 2017 das Duo Die Mausis ins Leben, von dem bislang eine selbst betitelte EP (Die Mausis, Buback/Indigo, 2017) und ein Weihnachtssong erschien. 2018 veröffentlichte Sommer ihr erstes Soloalbum „13 Kinds Of Happiness“ (Affairs Of The Heart/Indigo). Seit Anfang 2018 lebt sie in Berlin.

Die Band Die Heiterkeit debütierten 2010 als Trio mit einer EP und schafften zuletzt mit dem dritten Album „Pop & Tod I+II“ (Buback/Indigo, 2016) den Durchbruch, zumindest im Feuilleton. Anfang März erschien mit „Was passiert ist“ (Buback/Indigo) Album Nummer vier. Neben Sommer besteht die Band heute aus Schlagzeuger Philipp Wulf, Bassistin Hanitra Wagner und Keyboarderin und Sängerin Sonja Deffner.

Die Tour 26. 3. Dresden – Societätstheater; 27. 3. Leipzig – Werk2; 28. 3. Frankfurt – Mousonturm; 29. 3. Hamburg – Uebel & Gefährlich; 30. 3. Berlin – Lido.

Tickets: http://dieheiterkeit.de. (taz)

Wenn Vergleiche wie Nico oder Hildegard Knef gezogen werden – nervt das oder ehrt Sie das?

Die Vergleiche zu Nico und Hildegard Knef finde ich eigentlich okay, es geht da ja vor allem um die Stimmfarbe. Andererseits mache ich auch das jetzt schon zehn Jahre, da könnte man doch auch einfach sagen: „Das klingt, als würde Stella Sommer ein Lied singen.“ Ab einem bestimmten Punkt wird es auch langweilig.

Vor einem halben Jahr erschien Ihr Soloalbum „13 Kinds of Happiness“, acht Monate davor die EP mit Die Mausis. Jetzt schon wieder ein neues Album mit Ihrer Band. Sind Sie eine manische Songwriterin?

Ich habe ein wahnsinniges Polster an Stücken, weil ich bereits Lieder schreibe, seit ich elf oder zwölf bin. Zu Hause habe ich eine Schublade voller Kassetten, auf denen Songskizzen sind – einfach nur eine Strophe, ein Refrain, maximal eine Minute. Bis ich 20 war, habe ich alles auf Tapes aufgenommen, irgendwann bin ich auf Laptop und Handy umgestiegen. Meistens gibt es zwar einen Grund dafür, dass man die Stücke nicht benutzt hat – weil sie einfach nicht so gut sind wie andere. Aber manches verwerte ich später doch noch.

Wie sind Sie als Kind zum Musikmachen gekommen?

Mit sechs Jahren begann ich mit dem Klavierunterricht, später hatte ich Geigenunterricht. Darauf wurde zu Hause viel Wert gelegt.

Klingt nicht so begeistert.

Ich war zunächst extrem unmotiviert und vor allem auch sehr schlecht. Ich hatte einen klassischen Klavierlehrer und ich hatte keine Lust auf Klassik. Ich habe gelernt, nach Noten zu spielen, das war auch total wichtig, aber wirklich Spaß gemacht hat es mir erst, nachdem ich vier, fünf Jahre Pause gemacht habe und dann anfing, das Instrument neu zu lernen. Ich glaube, da habe ich mir das Klavier erst richtig angeeignet. Da war ich 18.

Aber Songs haben Sie vorher schon geschrieben?

Ja, auf der Gitarre. In der Zwischenzeit hatte ich mir Gitarre spielen beigebracht.

Sie sind in St. Peter-Ording aufgewachsen. Haben Sie eine typische Kleinstadtjugend gehabt?

Eine typische Landjugend! Kleinstadt ist schon zu viel gesagt, das ist sehr dörflich dort.

Was verbinden Sie heute mit dem Ort?

Ich bin dort eigentlich mittlerweile wieder gerne. Eine Zeit lang konnte ich es nicht mehr so gut sehen, aber gerade im Sommer ist es total schön da. Meine Eltern wohnen dort, die haben ein Waldgrundstück und zwei Hunde. Ich kann da ewig rumhängen und spazieren gehen.

Welche Musik haben Sie in Ihrer Kindheit gehört?

Sehr viel Sechzigerjahre-Musik! Das begann, als ich den Film „A Hard Day’s Night“ Film von den Beatles gesehen habe. Von da an war ich Beatles-Fan. Später habe ich einen Bob-Dylan-Film gesehen, und es gab auch eine Serie über The Monkees – dank der Sendungen und eines Oldie-Senders entdeckte ich die Bands.

Gab es ein prägendes Konzert in Ihrer Jugendzeit?

Ja, das waren die Strokes. Da war ich so siebzehn, achtzehn. Da stellte ich fest, dass es auch heutzutage Leute gibt, die Musik machen, die ich gut finde. Das Konzert war hier in Berlin.

The Strokes haben ihr zweites Album auch mit „What Ever Happened“ eröffnet, Ihr neues Album heißt „Was passiert ist“. Ist das ein Verweis?

Lustig. Nein, das ist mir nie aufgefallen, ich habe die Strokes nach deren Debüt aber auch nicht mehr so viel gehört.

Kommen wir mal zu den Texten auf „Was passiert ist“. Der Song „Jeder Tag ist ein kleines Jahrhundert“ hat ein bisschen was von „Everyday Is Like Sunday“ von Morrissey.

Das Stück von Morrissey kenne ich natürlich, aber daran habe ich gar nicht gedacht. Das Lied bezieht sich auf einen Aphorismus von Schopenhauer: „Jeder Tag ist ein kleines Leben“ ist die erste Zeile. Das habe ich mal aufgeschnappt und gedacht: Das kann ich verwenden.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Es gibt in dem Lied den Vers: „Ich versteck mich ganz hinter Bildern / die nur ich sehen kann“. Spiegelt das wider, was Sie mit der eigenen Kunst machen?

Wie meinen Sie das?

Dass sich in Ihren Songs vieles verbirgt, was rätselhaft bleibt. Wenn Sie im Titelstück singen: „Was passiert ist, ist nicht komisch / Es ist lachhaft, unironisch“, dann kann das alles und nichts bedeuten. Und was wirklich passiert ist, wissen nur Sie.

Das Geheimnisvolle ist doch so reizvoll an Musik und Pop. Und das interessiert mich natürlich beim Songwriting. Mich hat es immer gepackt, wenn etwas Magisches in der Musik und in den Texten war, irgendetwas, das man nicht verstanden hat. Wenn ich das Gefühl hatte: Der Sänger oder die Sängerin weiß irgendetwas, was ich nicht weiß. Ob das wirklich so war, ist mir eigentlich total egal gewesen, aber diese Illusion, der man sich hingab, wenn da jemand mit einem Glitzern in den Augen auf die Bühne ging, fand ich immer faszinierend. „Was passiert ist“ habe ich in dem Albumkontext geschrieben, es sollte ein Opener für das Album sein.

Das heißt, Sie denken da sehr konzeptuell?

Man überlegt schon, welche Songs welches Puzzleteil auf dem Album sein könnten. „Sterne am Himmel“ war etwa als Abschluss und Antwort auf „Was passiert ist“ gedacht. Die abschließenden Verse des Albums – „Wo soll ich sie suchen / irgendwer weiß es bestimmt / wie kann ich sie finden / wenn die Sterne im Himmel / jetzt etwas anderes sind“ – sprechen für mich die gleiche Orientierungslosigkeit und Desillusionierung an wie das erste Stück.

Eine politische Desillusionierung?

Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, ob Politik die gesellschaftlichen Probleme überhaupt lösen kann, die wir im Moment haben. Es scheint ja alles ein bisschen außer Kontrolle geraten zu sein, sich jenseits jeder Skala abzuspielen. Ich habe das Gefühl, die Leute sind gar nicht mehr imstande, Grautöne wahrzunehmen, alles ist Schwarz-Weiß. Als kürzlich zum Beispiel Karl Lagerfeld starb, wurde er plötzlich auf einige wenige Aussagen reduziert. Dabei stand doch gerade er dafür, dass jeder Mensch ein lebender Widerspruch ist, dass man sich eben auf nichts festnageln lässt. Die Leute können oder wollen Sachverhalte gar nicht mehr in ihrer Komplexität erfassen.

Ist das ein Plädoyer für mehr Genauigkeit, mehr Langsamkeit?

Ach, ich weiß nicht. Es macht mich einfach wahnsinnig, wenn Leute in ihrem Denken so ungenau sind. Das führt zur Verdummung der Allgemeinheit. (lacht)

Ich weiß nicht, ob Politik die gesellschaftlichen Probleme überhaupt lösen kann, die wir im Moment haben

Wie kommt es denn Ihres Erachtens zu dieser Entwicklung?

Vielleicht erfordern es unsere Kommunikationsformen, dass wir Sachverhalte auf 280 Zeichen herunterbrechen. Nur: meistens sind die Dinge nicht so einfach. Aber manchmal geht es ja auch nur darum, auf Twitter seine Meinung in die Welt zu schreien. Es macht oft den Eindruck, als gehe es die ganze Zeit nur noch darum, moralisch zu beurteilen, was richtig und was falsch ist. Viele laufen permanent mit dem Zeigefinger durch die Gegend. Das finde ich sehr deutsch.

Im Zusammenhang mit sozialen Medien aber ist es ja eben kein deutsches Phänomen. Leben wir in einer Zeit des Online-Denunziantentums?

Zumindest kann man Dinge selten auf einen einzigen Faktor beschränken, und das finde ich zum Beispiel bei komplexen Themen wie MeToo gefährlich. Jeder hat im Zuge des Internet-hypes permanent eine eigene Meinung zu haben und diese zu vertreten. Dabei werden Einzelurteile aufgrund von Halbwissen aus dem Internet gefällt. Es wird gar nicht mehr geguckt, wie man der Systematik solcher Übergriffe auf den Grund gehen kann. Unter einem Hashtag werden dann alle möglichen Übergriffe subsumiert, ohne dass am Ende eigentlich wer weiß, worum es ursprünglich ging. Oder ob die Sachen tatsächlich passiert sind, wegen denen man Leute da gerade verurteilt.

Die großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit, die Sie nun ansprechen, schwingen ja, oberflächlich betrachtet, auf dem Album gar nicht mit. Spielen all diese Dinge unterschwellig eine Rolle?

Alles, was man mitbekommt und aufsaugt, spielt im kreativen Prozess eine Rolle. Das muss ja auch nicht immer explizit politisch sein.

Wie sieht denn Ihre Arbeit an den Texten aus?

Ich sammle ziemlich viel. Ich notiere Sachen auf dem Handy oder auf Zetteln. Das ist ein unterbewusster Prozess, der immer läuft, dass man Sachen, von denen man denkt, dass man sie verwerten könnte, aufschreibt oder sich merkt. Wenn ein Album ansteht, gucke ich das durch und überlege, was ich benutzen will.

Und wenn Sie Texte schreiben, müssen sie möglichst offen sein?

Sie müssen offen sein, aber sie dürfen nicht leer sein. Das ist die Herausforderung. Und sie müssen sich gut anhören. Der Text muss eine offene Tür sein, durch die man als Hörer gehen kann, man muss Platz haben, in den Song hineinzutreten, um ihn sich in Ruhe von innen anzuschauen.

Viele Stücke auf Ihrem neuen Album klingen fast zeitlos. Abgesehen davon, dass Worte wie Instagram erwähnt werden, könnten die Stücke auch vor 20, 30 Jahren geschrieben worden sein. Haben Sie den Anspruch, universalistische Musik zu machen?

Zumindest mag ich Sachen, die zeitlos sind. Auch was Klamotten angeht. Und ich denke, ich habe den traditionellen Ansatz des Songwritings so tief aufgesogen, dass die Stücke immer ein bisschen klassisch anmuten.

Seit Mitte März sind Sie auf Tour, 17 Tage am Stück. Ist das belastend für Sie, wenn Sie da die tragende Rolle haben?

Im Vorfeld ist es immer eine nervliche Belastung, man darf sich nicht so viel Gedanken darüber machen, für was man alles verantwortlich ist. Auf Tour habe ich immer Angst, krank zu werden. Wenn man sich erkältet, wird es anstrengend. Das darf nicht passieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.