EU-Kritiker missbrauchen EU-Gelder: Der Feind zahlt

In vielen Skandalen offenbart sich, wie rechte Politiker EU-Gelder missbrauchen: für nationale Wahlkämpfe oder eine Exkursion zum Dracula-Schloss.

Bela Lugosi im Film "Dracula" von 1931

Mit EU-Geldern ging es auf's Dracula-Schloss Foto: Courtesy Everett Collection/dpa

STRAßBURG taz | Ob unangemessene Verschwendung für Luxus-Dinner mit Champagner oder Affären um Scheinbeschäftigung: In fast regelmäßigen Abständen kommen neue Skandale ans Licht, die zeigen, wie dreist manche europakritische Politiker EU-Mittel teils für eigennützige Zwecke verwendet haben. Bisher kaum in den Fokus gerückt sind dabei aber europäische politische Parteien, kurz Europarteien, und die dazugehörigen Stiftungen, die EU-Politiker mehrerer Mitgliedsstaaten seit 2004 gemeinsam gründen können.

Bis 2016 haben EU- und zuwanderungsfeindliche Politiker insgesamt acht Europarteien und acht Stiftungen ins Leben gerufen und Daten der EU zufolge dafür über 15 Millionen Euro an Förderung als Betriebskostenzuschüsse erhalten. Das entspricht immerhin rund einem Drittel der Summe, die rechten Eurokritikern im selben Zeitraum an Fraktionsgeldern zugeflossen ist.

Recherchen der taz sowie der französischen Medien Rue89 Strasbourg und La Croix zeigen nun auf, wofür einige dieser Europarteien die EU-Förderung unter anderem ausgaben: für Wahlkämpfe in den Mitgliedsstaaten, Studien-Plagiate und eine Exkursion zum Dracula-Schloss.

Am dreistesten verhielten sich mehrere rechte Europarteien etwa unter Beteiligung der britischen Anti-Brexit-Partei Ukip. Die von der Ukip dominierte, mittlerweile aufgelöste Allianz für Direkte Demokratie in Europa (ADDE), zu der auch Beatrix von Storch von der AfD gehörte, hatte große Summen veruntreut, unter anderem für neun Umfragen im Vorfeld der britischen Unterhauswahl 2015 und dem EU-Referendum 2016. Die EU-Regularien verbieten es, Europarteien-Gelder für nationale Zwecke auszugeben. Eine halbe Million Euro forderte die EU schließlich zurück.

„Die brauchten eine Adresse in der Nähe des EU-Parlaments“

Oft navigieren die Rechten am Rande der Legalität. Das lässt sich am bisher unbekannten Beispiel einer rechten Europartei aus dem Elsass gut illustrieren. „Freundlich“ und „diskret“, so schildern Nachbarn Christian Cotelle, einen langjährigen Front-National-Lokalpolitiker aus dem elsässischen Matzenheim, dem dabei eine besondere Rolle zuteil wurde. Das beigefarbene Haus des „freundlichen“ Nachbarn wurde lange als Anschrift eines rechten Parteienverbunds angegeben: der Allianz der Europäischen nationalen Bewegungen (AEMN).

Schon 2009 hatten sich Politiker des französischen Front National, der ultrarechten ungarischen Jobbik, der rechtsextremen British National Party und weiterer rechter Parteien zur AEMN zusammengeschlossen. 2012 wurde der Verbund dann in die gleichnamige Europartei mit Sitz im Elsass umgewandelt.

Aber warum Matzenheim? „Die brauchten einfach eine Adresse in der Nähe des EU-Parlaments“, erzählt Cotelle beim spontanen Kurzinterview am Gartenzaun. Er habe vor allem „Briefe angenommen und weitergeleitet“. Für seine Dienste habe er kein Geld erhalten: „Nur die Portokosten haben sie mir erstattet.“

1,4 Millionen Euro Betriebskostenzuschüsse flossen zwischen 2012 und 2016 von der EU an die AEMN, die als Verein firmierte. Andere Parteien erhielten teils deutlich mehr, wurden aber auch weniger harsch kritisiert. „Die AEMN muss streng überwacht werden“, forderte Klaus Welle, Generalsekretär des Europaparlamentes, bereits 2014 in einem internen Bericht, der der taz vorliegt. „Bei der Europartei seien „große Schwächen bei der Verwaltung und der Buchhaltung“ zutage getreten, so Welle damals, der sich heute auf Anfrage nicht mehr äußern wollte.

„Dubiose Fälle“

Im Bericht hieß es außerdem: „Die Partei und ihre Stiftung wurden daran erinnert, dass direkte oder indirekte Zahlungen an Mitgliedsparteien nicht akzeptiert werden.“ Weil es in der Vergangenheit mehrere „dubiose Fälle“ gegeben habe, beziehe sich das explizit auch auf „Firmen und Medienunternehmen“, die von diesen Parteien kontrolliert würden.

AEMN-Generalsekretär Valerio Cignetti wiegelt ab. „Unsere Arbeit erfolgte in Einklang mit den geltenden Regeln und Gesetzen, in Zusammenarbeit mit den Kontrollbehörden“, erklärt er auf Anfrage. Im Laufe der Jahre habe die AEMN in diesem Punkt „deutliche Fortschritte“ erzielt, so Cignetti, der in der Europartei die neofaschistische Freifarbige Flamme aus Italien vertritt.

Der taz, Rue89 Strasbourg und La Croix liegen nun Unterlagen vor, die aufzeigen, dass die AEMN ihren Bürger­auftrag recht eigenwillig auslegte. Für die Bevölkerung frei zugängliche Veranstaltungen sind weder auf der Webseite noch auf dem Facebook-Auftritt der Partei dokumentiert. Dafür unterstützte die AEMN unter anderem finanziell Projekte von Gabriele Adinolfi, einem italienischen Neofaschisten und Vordenker der rechtsextremen ­Casapound.

Adinolfi steht dem Think Tank ­EurHope vor, der 2016 mittels Gelder aus dem elsässischen Matzenheim starten konnte. Selbst erklärte Ziele von EurHope: „Verjüngung der Bevölkerung, Mäßigung und Umkehrung der Immigration und Erhalt der völkischen Kerns der europäischen Länder.“ Mit der AEMN organisierte Adinolfi auch nichtöffentliche Exkursionen, zum Beispiel zum Dracula-Schloss in Rumänien. Dem Reisebericht auf der Website von EurHope zufolge hat dieser Ort den Teilnehmern aufgezeigt, dass es nichts bringe, nur Landesgrenzen zu schützen, wenn die „blutsaugenden Vampire“ bereits hinter einem stehen. Vielmehr gelte es einen Schutzwall für die eigene Identität zu errichten.

Plagiate, ohne jegliche Kennzeichnung der Quellen

AEMN-Generalsekretär Cignetti bestätigt, mit „EurHope“ seit dessen Gründung zusammenzuarbeiten. In welcher Art, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln hänge von den Projekten ab. Im Laufe der Jahre habe die Europartei allgemein viele kleine Vorhaben umgesetzt, darunter Trainings, Workshops, Vorträge, Studien und Think Tanks: „Die AEMN hat eher die Strategie verfolgt, ein breites Netzwerk basierend auf Werten aufzubauen statt auf wenige, breitenwirksame Projekte zu setzen.“

Auf den ersten Blick zeigt sich die Europartei AEMN arbeitsam: Auf ihrer Webseite sind mehr als zwei Dutzend Studien veröffentlicht worden, alle mit dem Vermerk „unterstützt vom EU-Parlament“. Doch viele der Arbeiten sind Plagiate. Eine mittlerweile aus dem Netz genommene Studie behandelt die Klimapolitik der EU und ist eine glatte Kopie eines Artikels mit dem Titel „Auf Sparflamme“ aus der Internetzeitung Politico. Eine weitere Studie behandelt das Gesundheitssystem in Russland. Die beauftragte Firma aus Italien hat dafür Texte aus Wikipedia und von EU-Behörden zusammenkopiert, ohne jegliche Kennzeichnung der Quellen.

Cignetti geht auf Nachfrage nicht explizit auf den Plagiats-Vorwurf ein. Den Vermerk auf eine EU-Förderung hätten sie standardmäßig eingefügt, erklärt der AEMN-Generalsekretär. Manche dieser Arbeiten seien teilweise oder vollständig aus eigenen Mitteln finanziert worden. Cignetti betont: Die AEMN sei „regelmäßig von Behörden des EU-Parlaments überprüft“ worden, und zwar „in Hinblick auf das Management und die Finanzierung“. Außerdem gebe es ein jährliches externes Audit.

Da die Partei die notwendig gewordene Registrierung verpasste und später die Kriterien nicht mehr erfüllte, hat es für die AEMN ab 2017 keine Gelder von der EU mehr gegeben. Bis dahin waren ohnehin die meisten der Mitglieder zu anderen Formationen übergetreten. Seitdem wird die Partei nur noch als Hülle bei ihrem langjährigen Straßburger Steuerberater geparkt. Juristische Folgen hatte die vom Präsidium des Parlaments mehrfach gerügte Buchführung und Ausgabenpolitik der AEMN bis heute nicht.

CDU-Abgeordnete Ingeborg Grässle

„Die Zeit der europäischen Naivität ist vorbei“

Die deutsche EU-Haushalts-Politikerin Ingeborg Grässle (CDU) hat sich lange dafür eingesetzt, das Finanzierungssystem für Europarteien und Stiftungen zu verschärfen. Im April vorigen Jahres verabschiedete der Rat eine strengere Finanzierungsrichtlinie. So können auf europäischer Ebene nun keine Einzelpersonen mehr Parteien und Stiftungen gründen. Wird betrogen, können verantwortliche Personen juristisch leichter verfolgt werden und müssen zweckentfremdete Gelder gegebenenfalls aus der eigenen Tasche zurückerstatten. Grässle glaubt, dass sich die Rechten nun nicht mehr so dreist aus der EU-Kasse bedienen können: „Die Zeit der europäischen Naivität ist vorbei.“

Kritik kommt dagegen wenig überraschend vom AEMN-Generalsekretär. Die neuen Regeln schlössen kleine Akteure wie die AEMN praktisch von vornherein aus, moniert Cignetti. Leider sei das „kein Zufall“, sondern vielmehr „erklärtes politisches Ziel“. So würde es seiner Partei verwehrt, die Stimme ihrer Wähler zu vertreten, ärgert sich der Politiker. Er glaubt: „Letztlich führt das dazu, dass sich weniger Menschen mit der EU-Politik identifizieren.“

Mit dem Thema betraute NGOs wie Transparency International loben die Reform als wichtigen Schritt, fordern aber eine noch stärkere Kontrolle. Bei einer neuen Überwachungsbehörde für europäische Parteien und Stiftungen arbeiten demnach gerade einmal drei Mitarbeiter.

Diese Recherche wurde unterstützt mit dem Stipendium „Investigativer Journalismus für die Europäische Union“ (IJ4EU) des European Centre for Press and Media Freedom und des International Press Institutes. Das Stipendium wurde 2018 ins Leben gerufen und soll auch die Zusammenarbeit zwischen JournalistInnen und Redaktionen in der EU fördern.

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