Kommentar Frauenredaktionen: Mehr Mensch statt Panzer

Solange wir Männlichkeit und Weiblichkeit zu Gegensätzen hochdramatisieren, gewinnt der Machismo. Und so lange braucht es Frauenredaktionen.

Ein männlicher und ein weiblicher Roboter

Weniger Drama, mehr Menschsein Foto: Unsplash/Michael Prewett

„Wozu braucht man denn noch eine Frauenredaktion?“, fragt der Reporter. Die „Zeitpunkte“ haben Geburtstag, genau wie die taz: seit 40 Jahren gibt es den „Frauenfunk“, heute sendet er im Kulturradio vom RBB, für den ich auch arbeite. Auch die gleichaltrige taz leistet sich eine Stelle für Geschlechterpolitik. Braucht man die noch? In einer Zeit, in der „feminist“ auf vielen T-Shirts steht und auch andere Medien anfangen, sich für sexuelle Gewalt und den Unterschied zwischen bereinigtem und unbereinigtem Gender Pay Gap zu interessieren?

Zunächst fällt auf, dass man andere Fachredaktionen wohl kaum dann nach ihrem Sinn befragen würde, wenn deren Inhalte gerade großes allgemeines Interesse finden, so nach dem Motto: Alle reden über Biotechnologie – hat die Wissenschaftsredaktion noch einen Sinn? Die Sinnfrage an Frauenredaktionen steht aber eher in einer langen Tradition des „We’d prefer not to have you“.

Frauenredaktionen analysieren dysfunktionale Geschlechteridentitäten: Vielleicht ist es für Männer besser, nicht immer on top und autonom zu sein. Vielleicht ist es für Frauen besser, ihr Leben nicht immer vorrangig auf Männer und Kinder zu beziehen. Vielleicht ist es besser, Männlichkeit und Weiblichkeit überhaupt nicht mehr zu Polaritäten zu dramatisieren. Dann wären endlich Übergänge und Zwischenstufen möglich. Ein Mann darf nicht wie eine Frau sein, eine Frau nicht wie ein Mann. Das ist die Dramatisierung des kleinen Unterschieds. Theoretisch könnten wir ja trotz unterschiedlicher Geschlechtsmerkmale sehr ähnlich funktionieren. Situationsangepasst zum Beispiel: Ist das Großziehen von Kindern das Thema, tun das beide, muss Geld rangeschafft werden, tun das auch beide.

Woanders ist es richtig schlimm

Aber inzwischen haben viele Menschen ihren Selbstwert an diese Polarität geknüpft. Wer die Polarität in Frage stellt, stellt uns als Person in Frage. Das mag keiner. Insbesondere unser Modell von Männlichkeit ist dadurch definiert, dass ein Mann sich nicht infrage stellen lässt. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Das führt dazu, dass man die Dysfunktionalitäten, auf die Feminist*innen hinweisen, am liebsten ignoriert.

Etwa so: Woanders ist es doch noch richtig schlimm. Stimmt. Dieses Land etwa, das Männern Tausende von Euro pro Jahr schenkt, wenn ihre Ehefrauen zu Hause zu Diensten sind? Echt! Je mehr die Frau ihr eigenes Geld erwirtschaftet, desto weniger bekommt ihr Mann. Paare, die es nicht so dicke haben, können sich Gleichberechtigung quasi nicht leisten. Krass, oder? Bei einer Trennung bleibt sie dann oft verarmt zurück. Das müsse man so machen, heißt es, das stehe in der Verfassung. Dieses Machtungleichgewicht in der Ehe begünstigt Gewalt: In diesem Land versucht jeden Tag ein Mann, seine Frau umzubringen. Will sie weglaufen, weiß jede zweite nicht, wohin: zu wenig Platz in den Schutzhäusern. Die stärkste Partei in diesem Land erklärt übrigens gern, dass die Frauen ihr Leben ja ganz selbstbestimmt gewählt hätten. Warum? Vielleicht wegen der weiblichen Hormone.

In so einem Land bräuchte man Frauenredaktionen!

Das Land allerdings – heißt Deutschland.

Häusliche Gewalt und ungleiche Bezahlung sind aber nur das, was an der Oberfläche herumstrudelt. Niemand weiß so recht, was dagegen zu tun ist, wenn niemand schaut, was diese Phänomene hervorruft.

Der Schwachsinn mit dem Schwachsinn

Dazu würde die Einsicht gehören, dass Abwertung und Ausbeutung von allem, was nicht bei drei auf dem Baum ist, die Grundlage dafür bilden. Sprich: es sind die kapitalistischen, rassistischen, homo-, trans- und interphoben, ableistischen, lookistischen – und patriarchalen Strukturen. „Ältere weiße Männer“ sind auch so unbeliebt, weil sie seit Jahrtausenden gewinnen, mansplainen – und das immer mehr Leuten auffällt. Schon bei der Französischen Revolution hieß es: Gleichheit, hehres Gut. Aber doch nicht für Frauen!

Damals kam die biologistische Erklärung für das auf, was später unverblümt „der physiologische Schwachsinn des Weibes“ genannt werden sollte. Auf Gott und die Erbsünderin konnte man sich mit zunehmender Aufklärung immer weniger berufen, wenn man Frauen von der Macht fernhalten und damit weiterhin das Rundum-sorglos-Paket daheim sichern wollte. Was nun? Ah, „la nature“, flüsterte Jean-Jacques Rousseau: Das Weib wurde von ihr zum Kindergebären geschaffen, nicht etwa als Citoyenne. Den Frauen die Liebesarbeit, den Männern die Machtarbeit. Und Liebesarbeit ist doch viel schöner!

Bis heute äugt man scheel auf Frauen mit Macht. Ja, so ein Novum ist auch irgendwie schick. Aber wehe, eine weiß sich nicht zu benehmen, singt gar ein Karnevalslied: Untergang der Partei. Leider. Sorry. Die Frau ist schuld. Konnte ja nicht gut gehen.

Panzerung meint die Abwehr von allem, was sich als Mensch zeigt, mit weichem Fleisch, Gefühlen und Fragen

Die Öffentlichkeit fängt gerade an, über toxische Männlichkeit zu reden, die die Polarisierung der Geschlechter noch weiter ins brutale Extrem treibt. Toxische Weiblichkeit ist weiterhin nur in feministischen Kreisen im Blick: Übersteigerte Weiblichkeitsnormen, die rechts und links die Leichen anorektischer Mädchen zurücklassen und die Hälfte der Bevölkerung damit beschäftigt, sich vorrangig um ihre Fuckability zu sorgen.

Die vielen anderen Abgewerteten wissen, wie unendlich schwer es ist, solche Ausgrenzungen überhaupt für Privilegierte sichtbar zu machen. An das alte Wort „Panzerung“ hat Klaus Theweleit neulich wieder erinnert: die Abwehr von allem, was sich als normaler Mensch zeigt, mit weichem Fleisch, fließend, mit Gefühlen und Fragen, eigenem Körper und eigenem Begehren.

Das globale Wirtschaftssystem begünstigt, dass in immer mehr Ländern männliche Panzerungen angelegt werden, der Machismo auf einem weltweiten Siegeszug ist. Es wird nicht nur Frauenredaktionen brauchen, um damit klarzukommen.

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Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

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