Hinfallen, aufstehen, weiterlaufen

Roboter, Kriegsmaschinen und Popsongs: Hito Steyerl in der Akademie der Künste

Hito Steyerl, „Hell Yeah We Fuck Die!“, 2016 Foto: Akademie der Künste

Von Kito Nedo

In den Ausstellungsräumen der Akademie der Künste am Pariser Platz ist es kühl. Dieses Klima wird durch die Ausstellung mit Arbeiten von Hito Steyerl spürbar verstärkt. Das beginnt schon bei der Display-Architektur, die sich ausschließlich bei industriellen Materialien bedient: Raumteiler aus matt gestrahltem Containerstahl, Bank- und Hockerelemente aus Baugerüstgelenken und schwarzpolierten Sitzflächen.

Im mittleren der fünf Ausstellungsräume strahlt eine kantige Leuchtkastenschrift in kaltem Neonlicht. Die Oberfläche Ihrer eckigen Fassung erinnert an Spritzbeton. „Hell Yeah We Fuck Die“ (2016) wurde ursprünglich für die Biennale in São Paulo produziert und in Deutschland erstmals anlässlich der Skulptur Projekte Münster 2017 gezeigt. Die Installation handelt von den Vorboten der robotischen Revolution, die bereits im vollen Gange ist.

Der Titel der Arbeit setzt sich aus Wörtern zusammen, die ein Datenanalyst namens David Taylor vor ein paar Jahren mit Hilfe einer Statistik-Software als die für die 2010er Jahre typischen, das heißt – die am häufigsten auftauchenden Wörter in Poptiteln in den Billboard-Charts errechnete. Was das zu bedeuten hat? Vielleicht das: Wir leben einerseits in vulgären und andererseits in inklusiv-gemeinschaftlichen Zeiten.

Auf mehreren Flachbildschirmen flimmert gefundenes Videomaterial aus Archiven oder dem Netz: Labor-Ingenieure verpassen Roboter-Prototypen Fußtritte, um diese aus der Balance zu bringen, Computersimula­tio­nen zeigen stolpernde und fallende Maschinen, die komisch und tragisch zugleich wirken. Sie werden mit Objekten beworfen und gestoßen, um zu lernen. Irgendwann werden sie das vermutlich sehr gut können: hinfallen, aufstehen, ausweichen, stehen bleiben, weiterlaufen. Besser womöglich als die Menschen, die sie konstruiert haben.

Es kommt in diesen Bildern nicht explizit zum Ausdruck, aber man fragt sich unwillkürlich, ob die Maschinen, die zukünftig in der Katastrophenrettung eingesetzt werden sollen, nicht irgendwann sehr effi­ziente Kriegsmaschinen werden könnten. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine zivile Technologie zu militärischen Zwecken missbraucht würde.

Erst Anfang März protestierten US-amerikanische Microsoft-Ingenieure öffentlich – und erfolglos – gegen die Zusammenarbeit des Softwarekonzerns mit dem Militär. Das Verteidigungsministerium wird die „HoloLens“ – eine hochauflösende Augmented-Reality-Brille, die eigentlich im Spielebereich, in der Medizin oder in der Architektur angewendet werden soll, zu Kampfzwecken nutzen.

Es sind assoziativ-verknüpfte Arbeiten wie „Hell Yeah We Fuck Die“, für welche Hito Steyerl in diesem Jahr mit dem mit 12.000 Euro dotierten Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste ausgezeichnet wurde. Die Jury betonte in ihrer Begründung, dass die Künstlerin mit „ihren Bildmontagen aus Computeranimationen, aus Massen­medien und aus selbst gedrehten Szenen auf den Einfluss digitaler Informationen und digitalen Lebens reagiert und mit ihrer Arbeit auf gegenwärtige politische, gesellschaftliche und soziale Prozesse aufmerksam macht“.

Steyerl reizt die Möglichkeiten der digitalen Produktion so effektiv aus wie die sogenannten Digital Natives in der Gegenwartskunst. Was sie aber im Gegensatz dazu zu einer Ausnahme macht, ist ihre kritisch-künstlerische Haltung, die sie mit der medientechnisch avancierten Produktionsweise verbindet.

Im fünften und letzten Ausstellungssaal läuft der frühe, einstündige Doku-Essay „Die leere Mitte“ aus dem Jahr 1998 auf einer großen LED-Wand. Der Film basiert auf einer über acht Jahre währenden Langzeitbeobachtung der einstigen Brache am nahegelegenen Potsdamer Platz, auf der sich nicht lange nach Mauerfall und Wiedervereinigung bald eine rege Bautätigkeit entfaltete. Steyerl legt mithilfe von Kamera und Archivrecherche die historischen Überlagerungen des Ortes frei und erzählt seine Geschichte anhand von drei Biografien, die mit ihm verknüpft sind.

Da ist der jüdische Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn, der einst vor den Stadttoren Einlass begehrte und zunächst abgewiesen wurde, der jüdische Komponist Friedrich Hollaender, der 1933 vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, und Bayume Mohamed Husen, Veteran des Ersten Weltkriegs, der 1944 mit 40 Jahren im Konzentrationslager Sachsenhausen umkam.

Sie erinnert angesichts der weißen Kreuze, mit denen in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Reichstagsgebäude an die vielen Menschen gedacht wird, die bei Fluchtversuchen von Ost nach West ihr Leben verloren, an die vielen Tausend Flüchtlinge, die schon damals, in den Neunzigern, den Versuch der Flucht nach Europa ihr Leben bezahlten.

An dieser Stelle wirkt der knapp zwanzig Jahre alte Film erschreckend aktuell. Die vermeintlich „leere Mitte“, die in den Neunzigern eilig mit einer Mall und Bürohochhäusern zugebaut wurde, erweist sich als sehr geschichtsträchtig – bis in die Gegenwart.

Bis 14. April, Akademie der Künste am Pariser Platz