Grünen-Konvent zum neuen Programm: Weniger nölen, mehr Einfluss

Auf ihrem Konvent diskutieren die Grünen ihre neue Ausrichtung. Dabei geht es nicht mehr um die Frage: Regieren mit SPD oder CDU?

Baerbock und Habeck auf einer Bühne, im Hintergrund der Spruch: "Wer baut, braucht ein Fundament"

Wollen nach Bündnispartnern suchen: die Grünen-Chefs Baerbock und Habeck auf dem Konvent Foto: dpa

BERLIN taz | Die Grünen-Funktionäre wollten sich in der Berliner Arena gerade wieder gemütlich ins Weltrettungsnirvana schunkeln, als ihr Mitgründer und langjähriger Parteimanager Lukas Beckmann aufstand. Mit leiser Stimme konfrontierte er den Saal damit, dass bei allen Verdiensten der Abstand zwischen den Zielen in der Klimapolitik und der Realität in den 40 Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden sei.

Das neue Grundsatzprogramm sei ein gelungener Auftakt, den gesellschaftlichen Wirkungsgrad durch Haltung und Öffnung zu verbreitern. Die Öffentlichkeit habe jedoch ebenso ein Recht auf eine neue machtpolitische Perspektive, die Orientierung bieten könne in Zeiten schwerer werdender Mehrheitsbildungen. Vom Kanzleramt gingen in Sachen Klima und Europa seit Jahren keinerlei Impulse aus und deshalb sei es selbstverständlich, dass die Grünen mit dem neuen Grundsatzprogramm auch auf das Kanzleramt zielen.

Wenn Beckmann sich auf Nachfrage auch nicht über das Gesagte hinaus äußern wollte: Es ist klar, dass ein Machtstratege wie er das nicht einfach so sagt. Es war der zentrale Redebeitrag und man wird sehen, wie er einwirkt.

„Bündnispartei“ ist der neue Claim, den man bei der Vorstellung eines Entwurfs für das vierte Parteiprogramm ein bisschen krampfhaft überbetonte. Es meint nicht nur wertschätzende Historisierung der Ostgrünen im Wahljahr. Und auch nicht, dass man mit allen demokratischen Parteien können können muss – es zielt weit über Parlamente hinaus auf neue Bündnisse zwischen allen beteiligten Gruppen eines Veränderungsprozesses, Gewerkschaften wie Unternehmen. Akzeptierend, dass jeder in seinem eigenen System agiert, also die einen Kohlearbeitsplätze verteidigen müssen, die anderen ihre Gewinne. Es gehe um „Bündnisfähigkeit mit der Gesellschaft“, sagte Lukas Beckmann.

Größter Beifall für dünnste Sätze

Das klingt banal, ist es aber nicht bei einer Partei, die hartnäckig weltfremd darauf setzte, dass die anderen irgendwann einsehen würden, dass es ein Grünes Monopol auf Werte und Politikziele zu geben habe. Das ist in den Ländern lange vorbei, schwingt aber bei solchen Veranstaltungen immer noch als Grundmotiv mit, weshalb die dünnsten Sätze immer noch den größten Beifall bekommen.

Im Grunde ist es das neue Grundmotiv, das auch die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck in ihre wirklich gut performte Doppel-Conference einschmuggelten: ein echter Liberalisierungsschub. Das alte abgrenzende Sprechen von „Wir Grüne“ ist vorbei, die Grünen sollen das offene Zentrum der Mainstreamgesellschaft sein, aus dem heraus Koalitionen gebildet und Politik gemacht wird. Das basiert auf der Erkenntnis, dass die Grünen entgegen häufiger Annahmen einer kulturell-ökonomischen Homogenität längst keine „Milieupartei“ mehr sind, sondern am wenigsten von allen Parteien auf ein einziges Milieu festgelegt.

Die Grünen sind aus Sicht von Baerbock und Habeck nicht nur hundertprozentige Europäer und die, die sozialökologische Politik machen wollen, sondern auch die größten Verfassungspatrioten und Verteidiger des Staates gegen die autoritäre Gefahr. Wer an seine Politik glaubt, das ist ihre Botschaft, der muss sie durchsetzungs- und mehrheitsfähig machen, aber eben dadurch, dass er sie mit anderen Logiken konstruktiv vernetzen kann.

Was macht man konkret?

Es wäre absurd, Zukunftspolitik anhand festgeschriebener Paragraphen in einem Grundsatzprogramm machen zu wollen. Eine „föderale europäische Republik“ kann man als mittelfristiges Ziel hinschreiben, eine sozialökologische Wende des Wirtschaften und Lebens auch. Die Frage lautet, was man jetzt tun muss, um da hinzukommen. Konkret: Wie man den Arbeitsauftrag einer demokratischen Mehrheit dafür bekommt und mit welchen Mitteln man dann den Auftrag umsetzt.

Insofern ist das Grundsatzprogramm weniger von der Ethikkommission auf seine Ziele abzuklopfen – Weltfrieden wäre super, Angriffskrieg wäre bedenklich – sondern auf die Frage, ob es dem neuen Spitzenduo hilft, die in der Bundespolitik seit Jahren zwar nicht einflusslose, aber lange Zeit gesellschaftliche abgehängte Partei durch den angepeilten Paradigmenwechsel der Kultur und der Methodik aus dem Nirvana herauszuholen.

Es hat etwas Dialektisches, wenn Parteichef Habeck in der Arena ruft: „Schluss mit Nölen. Wer will schon Nörgler?“ Und dann wird doch wieder schön – an den anderen – rumgenörgelt. Oder er ruft: „Wir wollen uns nicht in apokalyptischen Szenarien verlieren.“ Gleichzeitig spielen sie „London Calling“ („The Ice Age ist coming“). Und bringen Programmstandards wie Tränendrüse, Weltrettungsgeschwätz, moralästhetische Sprachkritik und selbstverständlich Ressentiments gegen Mitmenschen, die gern schnell Auto fahren.

Kurzum: Die alte Kultur ist längst nicht weg. Aber das Neue wird stärker.

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