Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Sinnkrise beim Jetset?

Der Boom bei Fernreisen gilt immer mehr als uncool und sinnlos. Das ist eine neue Herausforderung für die Tourismusbranche.

Nachtflug

Landung auf den Philippinen. Foto: imago images/ Xinhun

Ist es sinnvoll, für Klimaschutz zu demonstrieren und immer öfter, immer billiger zu fliegen? Vegan zu essen und wie ein Schlot zu rauchen? Für autofreie Zonen im eigen Viertel zu kämpfen und passionierter BMW-Fahrer zu sein? Auf Facebook hundert Freunde zu haben und trotzdem allein ins Kino zu gehen?

Sinnkrisen werden immer mehr, kommen immer früher: Quarterlife-, Midlife- oder Alterskrise – wir bekämpfen sie auch durch Reisen. Das Leben als letzte Gelegenheit. Die Fernreise als Antidepressivum. Sie verspricht Aufregung, intensives Erlebnis. Neues statt Langeweile. Doch der Stress dieser Glückssuche über den ganzen Globus kommt immer mehr in Verruf. Was finden wir in Angkor Wat oder in Venedig?

Das Bad unter anderen Fremden bei drückend heißem Klima, mittelmäßigem Essen und in ungemütlichen Hotels? Enttäuschung vorprogrammiert. Das Jetten um die Welt könnte bald aus Frust und Überdruss völlig uncool und nicht nur bei Klimaschützern verpönt sein.

Die Flugreise ist ökologisch so ziemlich das größte Desaster, das Einzelne anrichten können. Klimagasemissionen fallen an, mit ­verheerenden Folgewirkungen des Klima­wandels für Ökosysteme und Artenvielfalt. Fluglärm und Luftschadstoffe kommen oben drauf.

Zertifikate für Vielflieger

„Die Lust-Vielfliegerei muss eingedämmt werden“, fordert konsequent der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. Sein Vorschlag: Jeder Bürger bekommt pro Jahr drei Hin- und Rückflüge in Form von Zertifikaten. Wer mehr fliegt, müsse sich von anderen Bürgern Zertifikate kaufen. Das ist zumindest ein Versuch, das Fliegen einzuschränken.

Wir werden uns von der Vielfliegerei verabschieden müssen, trotz Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung. Jugendliche gehen für das Klima auf die Straße, wütende Leserbriefe erreichen die taz, wenn Fernreisen beschrieben werden – der trendige Globetrotter gilt schon als Globetrottel!

Jugendliche gehen für das Klima auf die Straße, wütende Leserbriefe erreichen die taz, wenn Fernreisen beschrieben werden

Reiseangebote zur Sinnsuche könnten dann die Leerstelle füllen, denn sie sind unabhängig vom Reiseziel. Das Kloster zu inneren Einkehr kann auch in der Eifel stehen. Ein Ashram im Schwarzwald. Neue Herausforderungen, neue Geschäftsfelder für die Branche: Inszenierten Sinntourismus, der den intimen Kontakt mit der Wirklichkeit verspricht.

Denn auch in der Tourismusindustrie ist längst die Erkenntnis angekommen, dass künstliche Welten kitschig, auf Dauer langweilig sind. Künstliche Welten werden heute möglichst mit „echtem“ Leben gefüllt: Flow. Zeit für Erotik. Zeit für Muße, für Gefühle. Neben Erlebnisparks mit Wasserrutschen werden vielleicht Schweige-Offline-Parks mit wieder in Mode gekommen Tantra-Kursen gebaut. Teuer und ökologisch einwandfrei.

Wem das nicht gefällt, der könnte einfach von zu Hause loswandern: als wiederentdeckte Existenzform des gelassenen Loslassens.

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Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.

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