Esoterik-Kongress „Welt im Wandel“: Wunder zu verkaufen, nur 195 Euro

Steinchen gegen schädliche Strahlung, Armreifen zur Harmonisierung der Energiefelder: Eindrücke von einem Kongress in Würzburg.

Kreuz, Ketten und Heilsteine an einem Ausstellerstand der Esoteriktage 2011 in Augsburg

Kreuz, Ketten und Heilsteine – wogegen das wohl alles helfen soll? Foto: imago images/epd

WÜRZBURG taz | Ein Mann steht auf der Bühne, stumm. Er blickt in den Saal, mehr als 1.300 Menschen stehen vor ihm. Minutenlang lässt der Mann seinen Blick durch die Menge schweifen. Das lockere weiße Hemd bewegt sich nicht, blond-graue Haare umrahmen sein Gesicht. Im Scheinwerferlicht verharrt er. Dann verlässt er, immer noch wortlos, die Bühne. Manche im Publikum weinen, einige liegen sich ergriffen in den Armen. Stille im Saal.

Der Auftritt des selbsternannten Wunderheilers Braco aus Kroatien und sein „gebender Blick“ waren der Höhepunkt des ersten Tags des „Welt im Wandel“-Kongresses. Braco tourt seit 1995 durch Europa und selbst bis nach Hollywood. Im bayerischen Würzburg tagten Mitte April mehr als 1.300 Interessierte im städtischen Congress Centrum. Im Angebot: Esoterische Produkte, Seminare mit vermeintlichen Wunderheiler*innen und Vorträge selbsternannter Alternativmediziner*innen.

Spirituell-religiöse Selbstfindung, weltanschaulich angetriebene Alternativmedizin und angeblich geheime, vor allem aber wissenschaftlich unbewiesene Theorien boomen. Allein in Deutschland setzt die Esoterik-Branche jährlich bis zu 20 Millarden Euro um, wie der Trend- und Zukunftsforscher Eike Wenzel schätzt. Bücher, Reisen, Seminare, Internetportale, Kongresse, Kleidung, Elektrogeräte, Schmuck: Unzählige Firmen bieten eine unerschöpfliche Produktpalette. Auch darum sind exakte Umsatzzahlen schwer zu beziffern, zudem gibt es keinen Branchenverband.

Der Kongress in Würzburg zeigt, wie groß die Produktvielfalt ist – und wie professionell die Branche aufgestellt ist. Das 2015 umgebaute Congress Centrum ist modern, repräsentativ, zentral – die Mietkosten allein für Saal und Ausstellungsfläche für das Wochenende liegen bei rund 30.000 Euro. Bei den mindestens 1.300 Besucher*innen und einem Ticketpreis von 129 Euro belaufen sich die Ticketeinnahmen jedoch auf 167.700 Euro.

YouTube-Videos zu „Energievampiren“

Ähnliche Kongresse finden im deutschsprachigen Raum zuhauf statt, einen Schwerpunkt stellt aber das Internet dar. Auch „Welt im Wandel“ setzt auf YouTube: Dort werden Ratschläge zur Ernährung mit Kräutern gegeben, es wird über die „Kraft des Lichts“ gerätselt, aber auch von „Energievampiren“ berichtet und die Existenz von Ufos behauptet.

In Würzburg sind klare Botschaften zu hören. Wer an Krebs erkrankt ist, einem „Selbstmordprogramm, das sozial legitimiert ist“, der müsse einfach nur Schwefel gegen die Bakterien im Darm nehmen, so Dr. Karl Probst. Und wer in emotionalen Krisen steckt, der habe Traumata seiner früheren Seelen und Leben noch nicht aufgearbeitet, behauptet der Filmemacher Clemens Kuby in einem Gespräch zu „Reinkarnation“. Die Welt befinde sich im Umbruch, eine große und bedeutende Zeit stünde unmittelbar bevor.

Schnellstmöglich sollen die Kongressbesucher*innen unter dem Motto „Sei der Wandel“ zum Handeln motiviert werden. Ihre Krankheiten, so der Tenor, sollen sie als eine innere Angelegenheit begreifen und diese nun selbst lösen.

Die passenden Produkte werden im Foyer verkauft. Eine „Harmonisierung“ der „Energiefelder“ gegen vermeintlich schädliche Strahlung ist hier zentral. Allerlei Accessoires, etwa Halsketten mit Steinchen, eine kleine Sprühflasche mit „Engelselixier“ für 22 Euro oder Papieraufkleber für Smartphones gegen deren Funkstrahlung für 19 Euro. Eine mit buntem Muster bedruckte Tasse mit „Verjüngungsmatrix“ verspricht den morgendlichen Energieschub, für satte 18 Euro.

Schutz vor Elektrosmog ab 1.390 Euro

Doch nicht nur Kleinigkeiten werden ausgestellt. Die Firma „Swiss Harmony“ etwa bietet neben entsprechenden Armreifen für 145 Euro und Ringen für 195 Euro auch eine „Harmonisierung“ der Schwingungen in Wohnungen und Häusern an. Diese solle gegen „Elektrosmog“ schützen und das „körpereigene Energiefeld“ gegen Strahlungen stärken. Ab 1.390 Euro ist ein solches Angebot möglich, bei Ummantelung der Stromkabel und Wasserrohre steige der Preis jedoch, wie Geschäftsführer Neel Neubersch der taz erläutert.

Die ideologische Einbettung erfolgt im Vortragssaal. Alexander Kalenjuk, der sich als „talentierten Heiler“ und „Bewusstseinsforscher“ beschreibt, referiert mit seiner Kollegin Elena Martin vom „Orania-Zentrum“ bei Würzburg über eine „feinstoffliche“, unsichtbare Ebene der Welt und sogenannte Proto-Menschen. Deren oktavische, also auf Schwingungen basierende Zellstruktur hätte sie zur Nutzung ihres gesamten Gehirns befähigt und zu einer besonders hoch entwickelten Form des Menschen gemacht. Bis vor 20.000 Jahren die Welt erobert worden sei, die Zellstruktur verändert, der Mensch „primitiv“ gemacht und so besondere Fähigkeiten wie die Telekinese ausgelöscht worden seien.

„Das ist keine Esoterik“, betont Martin im Gespräch mit der taz, „sondern neue Wissenschaft aus Russland.“ Über das Internet verkauft ihr Zentrum Reisen, etwa nach Peru, Großbritannien oder Zypern, bei denen das „Geheimwissen“ preisgegeben wird. Hier erfährt der Kunde in Trainings, wie er sich „für die neue Zeit“ mental aufrüstet und auch, wer denn die Welt damals erobert hat. Kosten ohne Flug, Mahlzeiten und Unterbringung für ein einwöchiges Seminar auf Zypern: 890 Euro.

„Ich sehe da zunächst mehr Glauben als Wissen“, sag Ottmar Kullmer. Der Evolutionsbiologe arbeitet am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main und ordnet die vorgetragenen Äußerungen gegenüber der taz als unwissenschaftlich ein. Insbesondere die Behauptungen zu Proto-Menschen weist er strikt ab. Jegliche naturwissenschaftliche Arbeitsweise, Methodik oder Überprüfbarkeit fehle. Ernsthafte Erkenntnisse sollten auch für andere Wissenschaftler*innen überprüfbar sein, so Kullmer.

„Pseudomedizin, Verschwörungsmystik, Unfug“

„Das ist Hardcore-Esoterik, Spiritismus mit wissenschaftlichem Anstrich“, sagt Johannes Fischler zum Kongress. Der Psychologe und Marketingexperte veröffentlichte 2013 das Buch „New Cage. Esoterik 2.0. Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt“ und kritisiert esoterische Geschäftsmodelle scharf. Beim jüngsten Kongress in Würzburg habe „eine gefährliche Mischung aus nur scheinbar Vernünftigem, Pseudomedizin, Verschwörungsmystik und barem Unfug“ getagt, sagt Fischler.

Einen Drang zur radikalen Selbstoptimierung sieht er als einen Kern der Esoterik, in der eine „Verantwortlichkeitsübertragung an die Leidenden“ zentral sei. Wer krank oder eben nicht mehr gesund werde, habe schlicht nicht gut genug an sich gearbeitet, fasst er zusammen. Entsprechend, auch das habe seine Recherche auf zahlreichen Tagungen gezeigt, richten sich die Angebote vor allem an zahlungsfähiges Publikum mit Sinnfragen und zunehmender Abkehr von religiösen und kirchlichen Institutionen.

Das Ressentiment von Kongressbesucher*innen und Vortragenden gegenüber der Schulmedizin ist unüberhörbar. Unter großem Jubel bezeichnet etwa Karl Probst, Erfinder der Schwefelkur, die Schulmedizin und Krankenhäuser auf der Bühne als „staatlich finanzierte Mordanstalt“. Viele Kongressbesucher*innen, wird in Gesprächen vor Ständen deutlich, haben leidvolle Krankheitsgeschichten und sind auf der Suche nach Problemlösung und Zuwendung. Auf Anfrage der taz betont der Organisator der Tagung, Oliver Schil, dass es keine Vorbehalte gegenüber der Schulmedizin gebe. Man appelliere jedoch an die „Eigenverantwortung und ein Bewusstsein für Gesundheit“ und forciere die „Ganzheitsmedizin“, so Schil.

„Es besteht natürlich Meinungsfreiheit, und Verbote machen utopische Phantasmen meist nur noch interessanter“, sagt Psychologe Fischler. Dennoch sollten bei der Raumvermietung an manche esoterische Veranstalter*innen auch die Gefahren für Gesundheit und Leben durch diverse Angebote bedacht werden, so der Kritiker. Auf Anfrage der taz teilt die Stadt Würzburg mit, dass das Congress Centrum als öffentliches Gebäude prinzipiell von jedem gemietet werden kann. Bedingung sei lediglich, dass keine „unseriösen und unlauteren“ Angebote gemacht würden und sich an „Recht und Gesetz“ gehalten werde. Im September steht auch bereits das nächste „Welt im Wandel“-Event an. Dann in Leipzig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.