Anti-Folter-Komitee kritisiert Misshandlung bei Abschiebung

Bei einem Flug von München nach Kabul beobachteten Experten des Europarates, wie ein Betroffener sich heftig wehrte. Sechs Beamte hielten den Mann laut Report fest, einer quetschte ihm die Genitalien, um ihn ruhigzustellen

„Eine Person durch Drücken der

Genitalien zu misshandeln, was eindeutig

darauf abzielt, durch Zufügung

starker Schmerzen kooperatives Verhalten

zu erreichen, ist unverhältnismäßig

und unangemessen“

Bericht des Anti-Folter-Komitées

Von Eva Oer

So kann Abschiebung aussehen: „Nach etwa 15 Minuten griff der sechste Begleitbeamte mit seiner linken Hand die Genitalien des Rückzuführenden und drückte mehrmals länger zu, um den Rückzuführenden dazu zu bringen, sich zu beruhigen.“ Das hat das Anti-Folterkomitee (CPT) des Europarats an Bord eines Abschiebeflugs von München nach Kabul beobachtet und in einem jetzt veröffentlichten Bericht beschrieben. Das CPT kritisiert die unverhältnismäßige Gewalt bei diesem Einsatz und nennt das Vorgehen „Misshandlung“.

Das CPT ist eine Gruppe von Experten des Europarats mit Sitz in Straßburg, der in den 47 Mitgliedsstaaten über die Einhaltung der Menschenrechte wachen soll. Die Experten, etwa Ärzte und Psychologen, überprüfen die Haftbedingungen in Europa, etwa wie vor Kurzem in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln oder in diesem Fall bei einer sogenannten Rückführung aus Deutschland nach Afghanistan. An Bord waren außer der Crew 46 afghanische Männer, 101 Polizisten, ein Arzt und ein Dolmetscher.

Der beschriebene Fall trug sich im August vergangenen Jahres zu, als sich zwei Männer gegen ihre Abschiebung wehrten. Wie im Bericht beschrieben wird, begann einer der Betroffenen nach dem Einstieg ins Flugzeug, zu schreien, um sich zu schlagen und wieder aufstehen zu wollen. Daraufhin hielten die neben dem Mann sitzenden Beamten dessen Arme fest. Weitere Beamte kamen hinzu, einer legte von hinten den Arm um den Hals des Betroffenen.

Im weiteren Verlauf wird der Mann unter anderem mit Klettbändern an den Beinen und den Armen gefesselt. Schließlich halten insgesamt sechs Beamte den Mann fest, der sechste „kniete auf den Knien und Oberschenkeln des Rückzuführenden, um ihn mit seinem Gewicht in seinem Sitz zu halten“, heißt es in dem Report. In dieser Situation quetscht der Beamte die Genitalien des Manns, um ihn ruhigzustellen.

„Eine Person durch Drücken der Genitalien zu misshandeln, was eindeutig darauf abzielt, durch Zufügung starker Schmerzen kooperatives Verhalten zu erreichen, ist unverhältnismäßig und unangemessen“, rügt der CPT. „Dies umso mehr, als die Person von sechs Begleitbeamten fixiert wurde.“

Das Komitee erklärte zwar, der Ablauf dieser Ausweisung sei generell gut vorbereitet und professionell gewesen. Doch fordert es die deutschen Behörden auf, diese Technik zu unterbinden – ebenso wie das Abdrücken der Luftzufuhr. Denn als einer der Beamten von hinten den Arm um den Hals des Manns legte, habe dieser Atemschwierigkeiten bekommen. Dass ein Betroffener das Gefühl erlebe, keine Luft mehr zu bekommen, müsse verhindert werden, so das CPT. Das stehe auch in den Anweisungen der Bundespolizei, schreiben die Anti-Folter-Experten: Demnach „dürfen begleitende Beamte keine Kontrolltechniken anwenden, bei der die Atemfähigkeit einer Person eingeschränkt wird“.

In einer Stellungnahme des Bundesjustizministeriums zu dem Bericht des Anti-Folter-Komitees heißt es, die Bundespolizei sei in Kenntnis gesetzt worden und habe die Empfehlungen der Expertengruppe „aufgegriffen“. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), erklärte am Donnerstag, die Vorwürfe des Komitees seien sehr ernst zu nehmen. „Es ist die Verantwortung des Bundesinnenministers, Polizisten auf solche zwischenmenschlichen Extremsituationen so vorzubereiten, so dass Menschen nicht misshandelt werden.“

Nicht nur die Polizeigewalt gerät in die Kritik der Anti-Folter-Experten: Sie bemängeln auch, dass die Abschiebung den Betroffenen nicht früh genug mitgeteilt werde. Gegenüber dem Vorgehen der Behörden, die Menschen erst spät oder in letzter Minute darüber zu informieren, habe das Komitee „gewisse Vorbehalte“.

Auch in Fällen, bei denen die Betroffenen nicht in Haft waren, war die Benachrichtigung nach Darstellung des Komitees nicht immer eine Woche vor dem Ausweisungsdatum erfolgt. Einige der Menschen gaben nach Darstellung im Report an, dass ihnen nicht genügend Zeit gegeben wurde, sich auf ihre Abschiebung vorzubereiten. Sie seien erst kurz davor von der Polizei abgeholt worden, teilweise nachts, und hätten auch nicht ausreichend Zeit gehabt, alle ihre Habseligkeiten zusammenzupacken.

Betroffene in Abschiebehaft im ehemaligen Gefängnis in Eichstätt seien erst informiert worden, als die Polizei sie abholte, um sie zum Flughafen in München zu bringen, berichtete die Delegation. Aus der Antwort des Bundesjustizministeriums auf den Report ging hervor, dass die Abschiebung in der Regel eine Woche vor dem Termin angekündigt werden soll – auch den in Haft sitzenden Betroffenen.

Das Land Bayern vertrete jedoch die Auffassung, dass den Menschen in Abschiebehaft nicht das genaue Datum genannt werden müsse. Da die Betroffenen sich in Abschiebehaft befänden, seien sie dadurch über ihre anstehende Ausweisung bereits informiert, hieß es in der Antwort. (mit dpa/epd)