Teenager-Suizide nach „13 Reasons Why“: Wenn den Bedenken Zahlen folgen

Die Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ hat eine Debatte über den medialen Umgang mit Suizid ausgelöst. Nun bestätigt eine Studie die Kritik.

Katherline Langford als Hannah Baker in der Serie Tote Mädchen lügen nicht

Problematische Inszenierung: Die Protagonistin erfährt durch ihren Suizid ein Empowerment Foto: imago-images/Cinema Publishers Collection

Während Serien-Fans aus dem Binge Watchen nicht mehr herauskommen, entbrennt unter Expert*innen eine Ethikdiskussion. Wir sind im April 2017 und es geht um eine der erfolgreichsten Serien des Streaminganbieters Netflix: „Tote Mädchen lügen nicht“. Die US-Serie (im Original „13 Reasons Why“) umfasst mittlerweile zwei Staffeln. Protagonistin ist eine Teenagerin, die sich das Leben nimmt. Und viele fragen sich, ob so etwas sein darf: das Thematisieren und das detaillierte Abbilden von Selbsttötung. Die Befürchtung der Kritiker*innen ist, dass es zu Nachahmungen unter Jugendlichen kommen könnte.

Eine Studie bekräftigt nun die Bedenken. In den USA sei die Suizidrate bei Teenagern nach dem Start von Tote Mädchen Lügen nicht“ tatsächlich gestiegen, sagen Forscher*innen der Ohio State University College of Medicine. Betrachtet wurden dabei Suizide von 10- bis 64-Jährigen, unterteilt in drei Alterskategorien: 10 bis 17, 18 bis 29 und 30 bis 64 Jahre. Die Erhebung umfasst den Zeitraum von Januar 2013 bis Dezember 2017, also vor und nach dem Erscheinen der ersten Staffel Ende März 2017.

Das Ergebnis: Bei den 10- bis 17-Jährigen kam es zu einem sig­nifikanten Anstieg der Suizidrate im Monat nach Erscheinen der Serie – und zwar so stark, dass er laut den Forscher*innen nicht mit normalen statistischen Schwankungen zu erklären ist. Bei den anderen Altersgruppen war ein solcher Anstieg nicht zu verzeichnen.

In Medienberichten über das Ergebnis taucht nun vermehrt der Begriff Werther-Effekt auf. Gemeint ist der kausale Zusammenhang zwischen Selbsttötungen und ihrer medialen Darstellung. Ältere Studien zeigen steigende Suizidraten im Zusammenhang mit dem Suizid einer berühmten Person und der ausführlichen Berichterstattung darüber. Noch stärker ist dieser Effekt, wenn viele Details über die Umstände bekannt sind.

Anerkennung durch Suizid

Netflix hat bereits eine dritte Staffel von „Tote Mädchen lügen nicht“ angekündigt, die im Juni erscheinen soll. Es wird spekuliert, dass die Fortsetzung ein weiteres Tabu-Thema behandeln soll. Die Befürchtung von Jugendschützer*innen, suizidgefährdete Jugendliche könnten sich mit der Protagonistin identifizieren, sind nun also durch die Studie bestärkt worden.

Letztlich geht es aber nicht nur darum, ob, sondern wie das Thema Suizid für Jugendliche aufbereitet wird. Dass Thematisieren nötig ist, darauf hat kürzlich der Caritasverband hingewiesen, und eine größere öffentliche Debatte rund um Suizid gefordert. Denn der sei bei Menschen unter 25 die zweithäufigste Todesursache.

Es geht nicht nur darum, ob, sondern wie das Thema aufbereitet wird

Problematisch in der Netflix-Produktion ist nämlich nicht vorrangig das Abbilden von Suizid, sondern die Entwicklung der Hauptfigur. Beide bisher erschienenen Staffeln erzählen die Geschichte von Hannah Baker rückwirkend, spielen also zu der Zeit, in der die Protagonistin schon tot ist. Die ganze Schule spricht über Hannah, die Aufmerksamkeit und rückwirkende Anerkennung der Schüler*innen ist ihr sicher. Auch in den Rückblicken wird Hannah als klug, selbstbewusst und hübsch inszeniert. In der zweiten Staffel tritt die Protagonistin als Geist in Erscheinung, kann also das Verhalten ihrer Mitschüler*innen beobachten und kommentieren.

Die Darstellung der Figur und der Reaktion der Hinterbliebenen ist dabei im Hinblick auf die Botschaft der Serie fast bedenklicher als der Suizid an sich. Die Selbsttötung der Hannah Baker bewirkt ein Empowerment, das eine gefährliche Schlussfolgerung zulässt: Suizid führt zu Beliebtheit und Anerkennung.

Hinweis: Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

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