Zypern bei der EU-Wahl: Der erste Türke für Europa

Niyazi Kızılyürek ist türkischer Zypriote und kandidiert im griechisch geprägten Zypern für das EU-Parlament. Seine Chancen stehen sogar gut.

Fässer, Säcke und Trennwände, die eine Gasse versperren

Es ist eine geteilte Stadt – in der Niyazi Kızıl­yürek Wahlkampf macht Foto: imago-images/Joko

NIKOSIA/KATO taz | Es ist nicht so, dass Niyazi Kızılyürek eine außergewöhnliche Erscheinung wäre. Gelichtetes schwarzes kurzes Haar auf dem Kopf, mittelgroß und weder dünn noch dick bewegt er sich gerne unauffällig im T-Shirt und Schlabberlook durch Zyperns geteilte Hauptstadt Nikosia.

Und doch ist Kızılyürek auf beiden Seiten der green line, dieser aus rostigen Blechtonnen und Stacheldraht bestehenden Sperre, die die griechischen Zyprioten im Süden und die türkischen im Norden der Insel seit 45 Jahren voneinander trennt, bekannt wie ein bunter Hund. Denn der 60-Jährige macht etwas, was bisher noch niemand gewagt hat: Als türkischer Zypriote kandidiert der Politik-Professor für das EU-Parlament – und hat gute Chancen, demnächst in Brüssel und Straßburg Politik machen zu können.

„Ich möchte auf Zypern eine Verständigung nach dem Vorbild der deutsch-französischen Freundschaft anregen“, sagt er. Nebenbei könnte sich die EU demnächst gezwungen sehen, eine weitere Amtssprache einzuführen.

Um zu ermessen, welche Bedeutung Kızılyüreks Wahl hätte, muss man ziemlich tief in die Geschichte Zyperns eintauchen. Niyazi Kızılyürek war 1963 vier Jahre alt. So lange ist es her, dass zum letzten Mal ein türkischer Zypriote die Inselrepublik in einem anerkannten Parlament vertrat. Kurz darauf zerbrach der gemeinsame Staat an den Fliehkräften griechischer und türkischer Nationalisten. Und: Niyazi Kızılyürek wäre der erste Zyperntürke überhaupt, der in einem europäischen Gremium seine Stimme erheben könnte.

Zwar gilt auch der Norden der Insel als Teil der EU, alle entsprechenden Verträge bleiben aber ausgesetzt, solange es keine einvernehmliche Lösung des Konflikts gibt. Deshalb waren bisher alle sechs Sitze, die der Republik Zypern im EU-Parlament zustehen, ausschließlich von griechischen Zyprioten besetzt, seit das Land im Jahr 2004 der EU beitrat.

Nun folgt der unkonventio­nelle Professor nicht unbedingt den eingefahrenen Gleisen zypriotischer Politik, die im Zweifel stets danach fragt, ob ein Statement der jeweils eigenen Gruppe nutzt oder schadet. Kızılyürek ist ein sehr zypriotischer Türke, der den Nationalisten beider Seiten ein Dorn im Auge ist.

„Für manche Griechen bin ich einfach ein Mann der Türkei, zyperntürkischen Nationalisten gelte ich dagegen als Verräter an der eigenen Sache“, sagt er. Aber er sei Anfeindungen gewöhnt, seit er sich in den 1980er Jahren nach seinem Studium im Ausland dazu entschieden hat, in der griechischen Republik Zypern zu leben, also auf der nach nationalistischer Logik „falschen“ Seite für einen Türken.

Als Einzelkandidat keine Chance

Seine ersten Jahre verbrachte Kızılyürek in dem Bauerndorf in Potamia, wo damals noch beide Bevölkerungsgruppen Seite an Seite lebten. 1964 musste die Familie vor der nationalistischen Gewalt in ein rein türkisches Nachbardorf flüchten, nach 1974 wohnte er im Norden Zyperns, dort wo fast alle Zyperntürken fortan leben mussten. Kızılyüreks Biografie von Flucht und Vertreibung gleicht der eines Drittels der Bevölkerung Zyperns.

Als Einzelkandidat hätte Kızılyürek keine Chance. Er ließ sich von der linken Akel aufstellen, der einzigen griechisch-zypriotischen Partei, die den Mut aufbrachte, einen Türken für Europa zu nominieren. Parteimitglied ist Kızılyürek nicht. Außer ihm kandidieren noch sechs linke Zyperntürken auf einer eigenen Liste namens „Jasmin“, doch sie gelten als chancenlos. Der Akel dagegen sind zwei Sitze in Brüssel so gut wie sicher, einen davon will Kızılyürek erobern. Das zypriotische Wahlsystem, bei dem man neben einer Partei auch zwei präferierte Kandidaten aus deren Liste ankreuzen kann, erleichtert sein Vorhaben.

Seit Januar tourt er durchs Land. „Ich mache Wahlkampf auf beiden Seiten der green line – zum ersten Mal in der Geschichte“, sagt er, der perfekt Türkisch und Griechisch beherrscht. Einen Abend ist er im türkischen Teil Nikosias unterwegs, dann ganz im Westen, und nun in Kato Pyrgos, einem Dorf hart an der Demarkationslinie.

Kızılyürek will gleiche Rechte für alle Einwohner Zyperns, ganz gleich welcher Herkunft

Dort läuft die Veranstaltung im Kaffeehaus unter einer mächtigen Eiche. Mikrofone sind nicht notwendig. Etwa 50 Menschen sind gekommen, um Kızılyürek zuzuhören. Sie stammen nicht nur aus dem abgelegenen zyperngriechischen 1.000-Seelen-Dorf. Aus einem Nachbarort sind Zyperntürken angereist, darunter Mussa Seral und sein Sohn Tansel. Die Kandidatur Kızılyüreks sei für beide Seiten gut, sagt der Elektriker. Tansel Seral beklagt die wirtschaftliche Not unter den Zyperntürken: „Würde ich bei den Griechen arbeiten, bekäme ich das Drei- oder Vierfache an Lohn.“

Nicht immer bekommt Kızılyürek bei seinen Auftritten nur Freundlichkeiten zu hören. Konservative Zyperntürken hätten versucht, seine Wahlkampagne im Norden zu verbieten. Aber es fand sich kein Gesetz, um das umzusetzen. Nach der schier endlosen Kette gescheiterter diplomatischer Einigungsversuche plädiert Kızılyürek für eine „Einigung von unten“, wie er sagt. „Ich will die jungen Menschen zusammenbringen, zweisprachige Begegnungen organisieren“, sagt er.

Kızıl­yürek spricht bei einer Versammlung

Niyazi Kızıl­yürek – st er der erste türkische Zypriote und der einzige Türke überhaupt in Brüssel? Foto: Klaus Hillenbrand

Ihm schwebt ein zweisprachiges Fernsehprogramm vor. „Ich werde viele Freunde und Genossen finden, die mit Enthusiasmus bei der Sache helfen werden, auch Linke, Liberale und Sozialdemokraten“, sagt Kızılyürek mit Blick auf seine künftige Arbeit in Brüssel.

Die „Türkische Republik Nord­zypern“ wird nur von Ankara als Staat anerkannt. Ihre Bürger sind nicht zur Teilnahme an der Europawahl berechtigt. Doch um die 100.000 türkische Zyprioten besitzen auch Papiere der südlichen Republik Zypern, schon weil sich mit diesen viel leichter reisen lässt – und etwa 80.000 von ihnen dürfen bei der Europawahl wählen.

Neuer multikulturellen Staat auf Zypern

Deshalb bereitet sich Michalis Koumides auf einen Wähler-Ansturm vor. Der Zyperngrieche ist für den reibungslosen Ablauf der Europawahl zuständig, deshalb lässt er an den Checkpoints zwischen Nord und Süd, dort, wo die Menschen die green line überqueren dürfen, 50 Wahllokale nur für die Zyperntürken aufbauen. „Diese Wähler müssen ihren Personalausweis und eine Wohnortbestätigung vorzeigen, dann dürfen sie wählen“, sagt er.

Bei der letzten Europawahl seien es aber weniger als 1.000 gewesen, die dann auch tatsächlich zu den Urnen gekommen seien. Doch jetzt wird mit einem Ansturm von bis zu 10.000 Menschen gerechnet. Und weil Zyprioten, gleich ob türkisch oder griechisch, grundsätzlich alles mit dem Auto unternehmen, könnte es zu gigantischen Staus für die Völkerverständigung kommen.

Kızılyürek will helfen, einen neuen multikulturellen Staat auf Zypern zu erschaffen, mit gleichen Rechten für alle Einwohner, ganz gleich welcher Herkunft. Etwa 18.000 Stimmen werden für ein Mandat im Brüsseler Parlament nötig sein, schätzt er. Tatsächlich wollen nicht nur viele Zyperntürken den Professor wählen, auch intellektuelle und linke Zyperngriechen trommeln für sein Mandat in Brüssel.

Klappt es, wäre Niyazi Kızıl­yürek nicht nur der erste türkische Zypriote, sondern auch der einzige Türke überhaupt in Brüssel. Im EU-Parlament wolle er auch Türkisch sprechen, Türkisch sei schließlich eine der zwei Amtssprachen des EU-Mitglieds Zypern. Nur bis in die EU hat es Türkisch als Amtssprache bisher nicht geschafft. Es ist nicht das Einzige, das Niyazi Kızılyürek in Europa ändern will.

Doch jetzt muss der Kandidat eilig weiter. In Morphou findet heute ein türkisch-griechisches Fußballspiel statt. Da muss Niyazi Kızılyürek dabei sein.

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