Dialyseskandal in der Ukraine: Patienten werden besser behandelt

Die taz hatte über schlechte Behandlungen von Patienten bei der Nierenwäsche berichtet. Das zeigte Wirkung.

Ein Mann liegt in einem Krankenhausbett. EIne Krankenschwester steht neben ihm

Oleg Kolodjuk aus der Stadt Schitomir sagt, in seiner Klinik sei der Pfusch vorbei Foto: Anastasia Vlasova

MELSUNGEN taz | Wenn Journalisten etwas berichten, das für ein Unternehmen nachteilig ist, kann dieses Unternehmen sich tot stellen, es kann dürre Antworten per Mail geben oder blumige am Telefon oder es kann zu einem klärenden Gespräch einladen. Der deutsche Pharmakonzern B. Braun hat sie im Umgang mit der taz alle genutzt.

Im Jahr 2017 stellte die taz die erste Anfrage an den deutschen Pharmakonzern B.Braun, weil es in der Ukraine zu Unregelmäßigkeiten mit den Zwischenhändlern des Unternehmens gekommen war. Ukrainische Dialysepatienten hatten bei einer Pressekonferenz davon berichtet, dass sie mangelhafte Ware von diesen Zwischenhändlern erhalten hatten. Ihnen waren deutsche Produkte von B.Braun versprochen worden, stattdessen erhielten sie Produkte aus der Türkei, aus Ägypten oder aus der Ukraine.

Die Patienten litten nach der Behandlung unter Allergien, Juckreiz, Schüttelfrost und fühlten sich, als hätten sie eine schwere Grippe. Mediziner nennen das einen „Endotoxinschock“ – er entsteht, wenn die verwendeten Produkte für die Dialyse nicht steril sind; und er kann tödlich sein.

Der Verdacht: Die Braun-Zwischenhändler in der Ukraine verkaufen minderwertiges Material an die Krankenhäuser, und das ist gefährlich für die Patienten. B.Braun wusste seit 2014 von diesem Verdacht, arbeitete aber weiterhin mit den Zwischenhändlern zusammen. Bis heute werden diese Firmen autorisiert, B.Braun-Produkte in der Ukraine zu vertreiben.

Hier können Sie die ganze Recherche der taz nachlesen.

Auf unsere erste Anfrage reagiert B.Braun per Mail: „Über die von Ihnen genannten Vorwürfe gegen bestimmte ukrainische Distributoren ist uns nichts bekannt.“ In den kommenden Monaten, in denen wir recherchierten, fragten wir wiederholt bei B.Braun an. Die Antworten ähnelten der ersten. Mails der Pressesprecherin endeten mit dem Satz: „Ich bitte Sie, mich nicht zu zitieren.“ Irgendwann reagierte das Presseteam von B.Braun gar nicht mehr.

Nachdem wir unsere Recherche im März 2019 in der taz veröffentlicht hatten, berichteten auch die große Regionalzeitung Hessische Niedersächsische Allgemeine und der öffentlich-rechtliche Hessische Rundfunk über den Fall und B.Braun nahm Stellung. Wir schrieben daraufhin noch einmal an das Unternehmen und schickten eine Liste mit Fragen. Wir werden zu einem Gespräch eingeladen.

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Melsungen, Frühjahr 2019. Bei der Ankunft am Bahnhof weht ein kalter Wind und die Wolken hängen tief. Um das ganze Städtchen mit 14.000 Einwohnern sind verschiedene Braun-Werke gruppiert.

B.Braun möchte mich am Buschberg treffen, Werk W, an der Bundesstraße stadtauswärts. Hier kann man weit über Felder und Wald schauen. Das Gebäude von B.Braun Avitum, dem Dialyseanbieter, sitzt als großer, grauer Block mittendrin.

Ich werde von zwei Mitarbeiterinnen der Pressestelle in Empfang genommen. Markus Strotmann begrüßt mich, er verantwortet im B.Braun-Vorstand die Sparte B.Braun Avitum. Er ist ein großer Mann mit zurückgekämmten braunen Haaren, Brille und einer lauten Stimme.

Er beginnt mit einer Präsentation, die eine Viertelstunde dauern wird, und stellt das Geschäft von B.Braun in der Ukraine vor. Die Präsentation schließt mit dem „Code of Conduct“, in dem sich das Unternehmen zu Werten wie Integrität, Fairness und Nachhaltigkeit bekennt. Punkt sieben des „Code of Conduct“: Korruptionsvermeidung. Dazu verpflichtet B.Braun alle Händler, sagt Strotmann. Nach der Präsentation folgt das Gespräch.

taz: Wie haben Sie bei B.Braun unsere Recherche aufgenommen?

Markus Strotmann: „Uns hat der Artikel sehr gewundert, weil wir eine andere Wahrnehmung der Situation haben. Für uns ist die Ukraine erstmal ein Land mit einer schwierigen medizinischen Versorgung. Komplexe Therapien für chronisch kranke Patienten in Entwicklungsländern sind häufig nicht vergleichbar mit dem, was wir aus entwickelten Ländern kennen. Das ist für uns Ausgangspunkt der Problematik, dass viele der Symptome, die Sie schildern, für uns Ergebnis sind des Status des Gesundheitswesens in diesen Ländern.“

Aber Sie wussten, dass Ihren Distributoren vorgeworfen wird, dass sie in Korruptionsgeschäfte verwickelt sein sollen und minderwertige Produkte an die Patienten liefern sollen? Uns hatten Sie ja immer geschrieben, diese Vorwürfe seien Ihnen nicht bekannt.

„Dafür haben wir keine Belege. In den Jahren 2014 und 2015 gab es Hinweise oder Behauptungen, dass gefälschte B.Braun-Produkte in Krankenhäuser geliefert wurden. Dem sind wir damals sehr intensiv nachgegangen, einer unserer Mitarbeiter ist in Krankenhäuser gegangen, hat mit den entsprechenden Stellen gesprochen, hat sich Lager angeschaut. Und wir haben gleichzeitig eine Anwaltskanzlei beauftragt zu prüfen, ob es laufende Verfahren gibt. Und, das schreiben Sie ja auch selbst: Da ist es nie zu einer Verurteilung gekommen. Wir haben nie Nachweise dafür finden können, dass falsche Produkte geliefert wurden.“

Und die Beschwerden der Patienten?

„Wenn Sie ein System haben, bei dem jedes Jahr aufgrund von neuen Ausschreibungen Verbrauchsmaterialien wechseln, dann kann es zu Reaktionen beim Patienten kommen. Und der Patient wird wahrscheinlich seine Reaktionen immer auf die Produkte schieben. Es kann aber sein, dass an dem Tag einfach die Wasserqualität, die medikamentöse Versorgung oder der Allgemeinzustand anders ist. Wenn Sie bei einem Patienten bei zwei Dialysebehandlungen den gleichen Dialysator nehmen und machen beim zweiten Vorgang ein anderes Etikett drauf, dann wird Ihnen dieser Patient wahrscheinlich sagen: Ich fühle mich irgendwie anders. Das ist ein ganz menschliches Verhalten. Deshalb hat für uns das eine erst einmal nichts mit dem anderen zu tun.“

Denken Sie denn, dass die Patienten lügen?

„Nein. Aber ein Patient kann nicht immer beurteilen, woher seine Symptome kommen. Das hat nichts mit besserem oder schlechterem Material zu tun. Es kann viele Gründe für diese Symptome geben.“

Eine Dialysemaschine. Durch dünne Schläuche fließt Blut

Die Patienten sagen, sie merken, wenn die Qualität ihrer Infusionen nachlässt Foto: Anastasia Vlasova

Tatsächlich ist es sehr schwer nachzuweisen, dass Symptome wie Schüttelfrost oder ein allergischer Schock auftreten, weil ein minderwertiges Prädikat bei der Behandlung verwendet wurde. Dieses Argument tauchte auch während unserer Recherche immer wieder auf. Das sagte unserem Rechercheteam beispielsweise die Leiterin einer Nierenstation und die Chefärztin in einem Klinikums im ostukrainischen Saporoschje, in der die Patienten ihre Dialyse an Geräten von B. Braun erhalten. Die Chefärztin wurde entlassen, nachdem sie uns einen Vertrag ihres Krankenhauses mit dem Zwischenhändler Medikalgrup Ukraine gezeigt hatte, in dem es auch um eben jene Maschinen von B. Braun ging.

Die Patienten, mit denen wir gesprochen haben, sagten uns hingegen, sie könnten nach jahrelanger Erfahrung mit Dialyse durchaus sagen, wann ein Präparat besser oder schlechter wirke. Eine Patientenorganisation in dieser Stadt hat uns Papiere mit hunderten Unterschriften gezeigt, laut denen Patientinnen und Patienten sich an Geräten von B. Braun nicht gut behandelt sehen.

Und die Schläuche, die geplatzt sind? Die Kanister, die undicht waren?

„Da ich in dem von Ihnen genannten Fall nicht dabei war, kann ich die Situation nicht beurteilen, aber natürlich haben Kanister auch mal einen Transportschaden.“

Wir haben hier einen Brief der Patientenorganisation Gemodializ Kiew aus dem Jahr 2016, in dem konkret geschildert wird, wie sehr die Dialyse-Patienten in Kiew leiden, seit sie von Ihrem Zwischenhändler, der Medikalgrup Ukraine, beliefert wurden: Die Leiterin der Patientenorganisation spricht von Gliederschmerzen, Juckreiz, Übelkeit bei zwanzig Patienten. Sind Sie diesen Vorwürfen damals auch nachgegangen?

„Wir haben die Fragen der Patientenorganisation detailliert beantwortet und deutlich gemacht, dass wir für die Produkte anderer Hersteller keine Verantwortung übernehmen können.“

Aber sind Sie den Vorwürfen auch nachgegangen?

„Was wir darüber hinausgehend in diesem speziellen Fall gemacht haben, weiß ich nicht. Aber man muss ganz klar sagen, wir können nicht einzelne medizinische Indikationen bei Patienten überprüfen.“

Die Adressen Ihrer Zwischenhändler scheinen zum Beispiel auch nicht zu stimmen. Wir sind sie in der Ukraine abgefahren. Die Adressen, die im Handelsregister stehen, führen zu ganz normalen Wohngebäuden, niemandem dort war die Firma bekannt.

„Die Adressen müssen ja gar nicht aktuell sein. Wir hatten vor einigen Jahren einen Spionagefall in Melsungen. Da wollte eine chinesische Firma uns ausspionieren. Wissen Sie, warum die Firma keinen Erfolg hatte? Sie sind mit den Adressen nicht klargekommen. Sie sind zu zwei anderen Stellen in Melsungen gefahren und landeten im Hauptverwaltungsgebäude und nicht im Fertigungsgebäude oder im Lager. Ich glaube, mit solchen Sachen muss man sehr vorsichtig sein.“

Als wir uns später per Mail nochmal bei B.Braun nach den Adressen ihrer Zwischenhändler erkundigen, erfahren wir: Es sind genau die, die wir aufgesucht haben.

Wir haben mehrfach versucht, mit den Firmen in Kontakt zu treten. Es ist uns nicht gelungen.

„Warum auch immer. Leider kann ich mich zu den Kontaktmöglichkeiten anderer Firmen nicht äußern.“

Dann wird die Stimmung eisig. Markus Strotmann versucht herauszufinden, wer die Informanten der taz sind, die uns auch Interna von B.Braun verraten haben. Ich sage dazu nichts, Quellenschutz hat für die taz einen hohen Wert. Es gibt gute Gründe für Informanten und Whistleblower, anonym zu bleiben. Vor allem, wenn sie in Ländern arbeiten, in denen Korruption normal ist, oder wenn sie in einer sensiblen Position sind. Dem Rechercheteam und der Ressortleitung ist die Identität unserer Informanten bekannt und wir prüfen unsere Informationen vor der Veröffentlichung sorgfältig.

Das Gespräch ist zehn Minuten später beendet, es folgt eine Führung durch die Produktionshalle, dann stehe ich wieder an der Bundesstraße und warte auf das Taxi.

Wie ist B.Braun den Vorwürfen nachgegangen?

Als ich zurück in Berlin bin, möchte ich genauer erfahren, wie das Unternehmen eigentlich die Vorwürfe gegen die Zwischenhändler entkräftet haben will. Mail an die Pressestelle. Die Antwort kommt nach einigen Tagen:

„Unser Mitarbeiter, der den Geschäftsbereich Dialyse in der Ukraine betreut, war in den Jahren 2014 und 2015 mehrmals vor Ort. Er besuchte dort Händler und Krankenhäuser mit dem Ziel, sich ein eigenes Bild zu machen. Die Besuche unserer Händler – wie zum Beispiel der Medikalgroup – fanden in deren Geschäftsräumen unter den regulären Firmenadressen statt. Bei den Krankenhäusern handelte es sich um solche in der Region Kiew, die unter anderem mit unseren Produkten ausgestattet wurden. Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Vertraulichkeitsgründen keine weiteren Details zu unseren Kunden veröffentlichen dürfen.“

***

Der Mitarbeiter von B.Braun war also in den Jahren 2014 und 2015 in der Region Kiew unterwegs. Die taz-Recherchen beziehen sich aber vor allem auf die Jahre 2016 und 2017 und nicht nur auf Kiew, sondern auch auf Saporoschje und Schitomir.

Die Polizei soll die Vorwürfe prüfen

Die Nachforschungen von damals haben also mit unserer Berichterstattung nur wenig zu tun. Wir konfrontieren B.Braun noch einmal damit und fragen: Beabsichtigt das Unternehmen, zu den von uns genannten Zeiträumen und Regionen erneute Untersuchungen anzustellen? Die Antwort bleibt vage: „Unsere Mitarbeiter und Händler sind unseren hohen B. Braun-Compliance-Standards verpflichtet. Sollte es Reklamationen oder Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten aus dem Markt geben, gehen wir diesen selbstverständlich kontinuierlich und unmittelbar nach.“

Rebecca Harms, Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, hat B.Braun nach Lektüre der Dialyse-Recherche in der taz einen Brief geschrieben und um eine Stellungnahme gebeten. Harms reist seit Jahrzehnten in die Ukraine, sie gilt als eine der wenigen deutschen Politikerinnen, die sich Land auskennen. Nach dem Brief hat sie auch mit dem Unternehmen telefoniert. „Den beunruhigenden Vorwürfen muss nachgegangen werden“, sagt Rebecca Harms. „Solche Erfahrungen und Berichte belasten die Gesundheitsreform in der Ukraine, die ja das Ziel hat, Korruption zu beseitigen und Gelder effizient einzusetzen.“

Sie habe Kontakt zum ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, aufgenommen, der ihr versichert habe, dass die Nationale Polizei in der Ukraine den Vorwürfen nachgehen wird. Rebecca Harms fordert eine nachvollziehbare Untersuchung, bei der auch B.Braun Unterlagen vorlegen muss, aus denen hervorgeht, wie das Unternehmen in der Ukraine seine Nachforschungen angestellt hat.

Patienten geht es besser

Wenige Wochen nach dem Gespräch mit B.Braun treffen wir einen deutschen Informanten, der seit langem auf dem ukrainischen Dialysemarkt tätig ist, und der unsere Recherchen bestätigt. Und wir nehmen nochmal Kontakt zu den Patientenorganisationen in der Ukraine auf, weil wir wissen wollen, wie es den Menschen dort jetzt geht.

Unser Text wurde in der Ukraine breit diskutiert, erzählt Oleg Kolodjuk, einer der Patienten, mit denen wir für unsere Recherche gesprochen haben. „Ihr habt die ganz schön durcheinander gebracht.“ Er sagt, er habe jetzt keine Probleme mehr, seine Klinik setze nur noch Originalprodukte ein.

Sergej Makarenko von der Patientenorganisation in Saporoschje sagt, die zuständigen Leute in den Verwaltungen und in den Krankenhäusern hätten den Text gelesen. Soweit er das überblicken könne, bekämen die Patienten derzeit nur noch Originalpräparate. Er hofft, die Zeit der schlechten Behandlungen ist vorbei.

Mitarbeit: Daniel Schulz, Bernhard Clasen

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