Kooperation von Elektronikfestivals: 38 Musiktracks ins All geschossen

Acht europäische Elektronikfestivals haben sich zum Verbund WeAreEurope vernetzt. Das dient auch als Kontrast zu nationalistischen Tendenzen.

Eine große Halle mit vielen Raver*innen, in der Höhe schwebt eine Diskokugel

Bald auch im Weltraum! RaverInnen beim Festival Sonar in Barcelona Foto: imago-images/Zuma Press

Mal was Gemeinsames auf die Beine stellen, theoretisch klingt die Idee der gelebten Demokratie gut. Auch praktisch funktioniert der Austausch von Musikfestivals als informelle Netzwerke in Europa bereits prächtig. Und zwar auf großer Umlaufbahn, wie ein Beispiel von 2018 zeigt, als das renommierte, international tätige Elektronikfestival Sonar in Barcelona aus Anlass seines 25-jährigen Bestehens mithilfe des kleinen, aber feinen Festivals Insomnia im norwegischen Tromsø von einem dort installierten Weltraumteleskop 38 Musikstücke ins All geballert hat.

Sonar und Insomnia gehören beide zu „WeAreEurope“, einem Verbund von acht europäischen Musikfestivals, der den Gedanken des bilateralen Austauschs stetig vorantreibt und sich in seiner Charta mit Stichpunkten wie „kreative Diversität“ und „Austausch“ definiert. Das klingt erst mal verdächtig nach Funktionärsebene, ist aber die Idee von findigen Leuten aus der Subkultur, die auf der Suche nach neuen Formaten und Zielgruppen andere Geldquellen anzapfen mussten.

Initiiert hat das Projekt Vincent Carry, Leiter des Festivals Nuits Sonores in Lyon. Nach 20 Jahren Rumwursteln hatte Carrys Festival endlich erfolgreich Fördergelder der Europäischen Union im Rahmen des Programms „Creative Europe“ beantragt. Zugute kam Nuits Sonore dabei die geografische Lage. Lyon liegt abseits des kulturellen Hauptstroms, die Förderung wurde auch aus Gründen der Dezentralisierung bewilligt. Bei EU-Förderung denkt man zuerst an Agrarsubventionen, aber nicht daran, dass es auch einen Etat für Kultur gibt. In seinen Genuss kamen früher vor allem die Filmindustrie und Institutionen aus dem Bereich der Hochkultur.

Kulturelle Treiber

Die EU-Finanzspritze ist allerdings an Eigenkapital gebunden, das die Festivals jeweils aufbringen müssen (für 10.000 Euro Eigenkapital gibt es 100.000 Euro Förderung). Carry übermittelte sein Knowhow wiederum an Ralph H. Christoph vom Kölner Festival c/o pop, das im zweiten Anlauf ebenfalls gefördert wurde. Sie seien „intelligente kulturelle Treiber“, erklärt Christoph. Wenn man sich die abwechslungsreichen Festival-Programme von Nuits So­nores, c/o pop oder Unsound im polnischen Krakau ansieht, trifft diese Definition auch zu.

Cécile Moroux, Bookerin von Nuits Sonores, erklärt, warum die Zusammenarbeit der Elektronik-Festivals auch widerspiegelt, dass die Lebensrealitäten viel stärker angeglichen sind als früher. „Wir leben in einem grenzfreien Raum. Dieses Europa ist eine gute Basis, um über Gemeinsamkeiten und Unterschiede nachzudenken.“ Dass ein Elektronik-Festival wie Reworks im griechischen Thessaloniki davon profitiert, ist begrüßenswert. Durch die gleichberechtigte Partnerschaft mit höher dotierten Festivals wie Sonar kommt es so an Stars, deren Gagen seinen Budgetrahmen ansonsten sprengen würde.

Ralph H. Christoph,Kölner Festival c/o pop

„Unsere Vernetzung auf kultureller Ebene hat auch politischen Charakter. Es ist das Gegenteil vom Verhandlungs-Albtraum des Brexits“

Umgekehrt treten in Lyon und Köln dafür unbekannte Talente abseits der kulturellen Zentren der EU auf. „Ich entdecke Spiegelbilder im Ausland“, erklärt Ralph Christoph über die Kunst der Zusammenarbeit. „Unsere Vernetzung auf kultureller Ebene hat auch politischen Charakter, wir lernen voneinander, wir verhandeln fast täglich, wir finden Kompromisse. Das ist das Gegenteil vom Verhandlungs-Albtraum des Brexits.“

Köchin, Programmierer, Journalistin

In der Auswahl von KünstlerInnen hat man sich abgesprochen und stellvertretend 64 Persönlichkeiten ausgewählt und auf der gemeinsamen Homepage präsentiert, die für ein modernes Europa stehen, so wie es „WeAreEurope“ charakterisiert. Namen wie der Berliner Programmierer und Künstler Robert Henke und der Wiener Produzent Doran Concept sind naheliegend, aber da ist auch die Georgierin Magda Gegenava, die in Paris eine Streetkitchen für Flüchtlinge betreibt, oder die Athener Journalistin Despina Trivolis, die zum Niedergang der griechischen Medien forscht, Multiplikatorinnen, die ebenfalls Aufmerksamkeit verdienen.

Gemeinsam haben die acht Festivals auch einen Aufruf auf ihren Social Media Accounts gestartet, um ihre BesucherInnen dazu zu animieren, am Sonntag zur Wahl zu gehen. „Die Orbáns der Welt sind nicht die Mehrheit“, erklärt Christoph. Bis die Tracks vom Sonar-Festival an ihrem Bestimmungspunkt im All angekommen sind, dauert es allerdings noch zwölf Lichtjahre, aber dann können sich auch Außerirdische vorstellen, was am Planeten Erde in Europa so an elektronischer Musik läuft.

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