Kommentar Proteste in Hongkong: Da muss mehr kommen

Eine Million Menschen demonstrierten in Hongkong gegen ein neues Auslieferungsgesetz. Doch Peking ist schon mit anderen Verstößen durchgekommen.

Ein Mann sitzt im Schneidersitz auf einem Podest aus Absperrgittern, bewacht von zwei Polizisten

Die Enklave Hongkong ist in Gefahr Foto: reuters

In Hongkong haben nach Veranstalterangaben am Sonntag mehr als eine Million Menschen gegen das geplante Auslieferungsgesetz demonstriert. Das Gesetz würde ermöglichen, echte oder erklärte Straftäter von Hongkong aus, wo es noch eine weitgehend unabhängige Justiz gibt, an die Volksrepublik China auszuliefern. Dort untersteht die Justiz bekanntlich der autoritär regierenden Kommunistischen Partei, die rechtsstaatliche Prinzipien nicht anerkennt und mittels Justiz ihre Macht sichert.

Die DemonstrantInnen fürchten zu Recht, dass mit dem Gesetz Hongkongs Autonomieprinzip „ein Land, zwei Systeme“ ausgehebelt würde – 22 Jahre nachdem die frühere Kronkolonie an China zurückgegeben wurde. Neben dem Versprechen der Selbstverwaltung für 50 Jahre sollte die Metropole ihr eigenes System für diese Zeit behalten dürfen. Wenn aber die Möglichkeit besteht, dass künftig Peking das letzte Wort hat, wird die Autonomie zur Farce.

Schon 2003 hatte sich eine ähnlich große Zahl von DemonstrantInnen in Hongkong gegen ein von Peking gefordertes Anti-Aufruhr-Gesetz gewendet. Hongkongs damaliger Regierungschef trat zurück, das Gesetz wurde fallengelassen. Beides wäre auch jetzt angemessen. Doch die Zeiten haben sich geändert – zuungunsten Hongkongs.

Damals, nur sechs Jahre nach der Rückgabe der Stadt an China, ging es noch vor allem um die Glaubwürdigkeit von Pekings Versprechen. Als offensichtlich wurde, dass Pekings Emissäre und Handlanger Stimmung und Widerstand in der Stadt völlig falsch eingeschätzt hatten, war der Rückzug der einzige gesichtswahrende Ausweg für Peking. Schließlich ging es Peking beim Versprechen von „ein Land, zwei Systeme“ auch darum, Taiwan von Chinas friedlichen Absichten zu überzeugen.

Nachgeben Pekings wäre ein herber Gesichtsverlust

Heute ist es eher andersherum: China ist inzwischen viel mächtiger, Hongkong dagegen für Peking auch als Symbol unwichtiger und Taiwan denkt nicht an eine Rückkehr zu China. Darüber hinaus liegt China heftig mit den USA im Clinch. Ein Nachgeben Pekings wäre ein herber Gesichtsverlust, der Chinas Standing als neue Weltmacht untergraben würde. China hätte den globalen Lackmustest nicht bestanden. Leider ist Peking inzwischen auch mit anderen Verstößen gegen die Autonomie, Bürgerrechte und Pressefreiheit in Hongkong durchgekommen. Erinnert sei hier nur an die Verschleppung kritischer Hongkonger Buchhändler. Auch die Briten, mit denen Hongkongs Autonomie vertraglich vereinbart war, interessieren sich nicht mehr für ihre ehemalige Kolonie, sondern sind im eigenen Brexit-Chaos versunken.

Es ist deshalb zu befürchten, dass Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam und ihre Herren in Peking weiter unnachgiebig bleiben. Um daran etwas zu ändern, brauchen die Menschen in Hongkong nicht nur internationale Unterstützung, sondern müssen sich auch noch mehr einfallen lassen, um ihre Autonomie zu verteidigen.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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