Morde in Südafrika: Der Mythos des „White Genocide“

Wie aus Morden an weißen Farmern in Südafrika der globale rechtsextreme Mythos entstanden ist, der „weißen Rasse“ gehe es an den Kragen.

Weiße Kreuze stecken als Grabfeld in einem Hügel

Denkmal für ermordete weiße Farmer in Ysterberg, Südafrika Foto: Lucas Bäuml/Laif

JOHANNESBURG/PRETORIA/VANSTADENSRUS taz | Orangen könnten das mal gewesen sein. Vielleicht auch Zitronen. Es ist nicht mehr genau zu erkennen, was die Früchte in der Schale auf der staubigen Anrichte einmal waren. Seine Stiefmutter wird sie in die Schale gelegt haben, sagt Thabo Bruwer. Vielleicht an jenem Montag. Bruwer steht im Wohnzimmer eines Bungalows, in dem seit dem 25. Juni 2018 niemand mehr lebt. An diesem Tag wurden Bruwers Stiefmutter und sein Vater ermordet.

Zwei Männer aus dem 30 Kilometer entfernten Nachbarort sollen die 68-jährige Marian Bruwer mit einem Kopfschuss getötet haben. Bevor sie starb, hatte man ihr ins Bein geschossen. „Die Männer wollten, dass sie ihnen die PIN für die Kreditkarte verrät“, sagt der Stiefsohn und beruft sich auf die Ermittlungen der Polizei. Choppie Bruwer, der Ehemann, muss bei alldem zugesehen haben, so die Rekonstruktion der Ermittler. Die Täter hatten den 78-jährigen Farmer im Schlafzimmer an einen Stuhl gefesselt, seiner Frau gegenüber. Nur wenig später starb auch er, ebenfalls durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe.

Laut der offiziellen Polizeistatistik wurden zwischen Frühjahr 2017 und 2018 in Südafrika 20.336 Menschen ermordet. Das sind knapp 36 Morde pro 100.000 Einwohner im Jahr. In Deutschland liegt die Rate bei 1,18.

Marian und Choppie Bruwer sind zwei von 20.336 Toten. Dass über ihre Ermordung auf einer kleinen Farm in der Provinz Freestate mehr gesprochen und berichtet wird als über die meisten anderen Fälle, hat Gründe, die für diese Geschichte von entscheidender Bedeutung sind: Marian und Choppie Bruwer sind weiß, sie gehören der Minderheit der Buren an, Nachkommen der hauptsächlich niederländischen Kolonisten. Die beiden mutmaßlichen Täter sind dagegen schwarz.

In Südafrika gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion darüber, welche Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet sind – initiiert und am Laufen gehalten von konservativen bis rechtsradikalen weißen Gruppierungen. Genährt wird diese Erzählung von den „Farmmorden“, jenen Verbrechen, zu denen auch das an Marian und Choppie Bruwer zählen. Viele dieser Taten weisen ein ähnliches Schema auf. Die Farmen, auf denen die Taten geschehen, liegen meist einsam in diesem weiten Land, das in großen Teilen aus hügeligen Halbwüsten besteht. Oft ist das nächste Haus viele Kilometer entfernt. Die Täter müssen nicht befürchten, gestört zu werden.

„Der große Austausch“

Die Opfer sind Menschen, die Land besitzen. Ein mit historischer Bedeutung aufgeladenes Gut, über das in Südafrika eine wütende Debatte entbrannt ist, die sich um Gerechtigkeit, Kolonia­lismus und Reparationen dreht. Um Forderungen, die innerhalb der weißen Bevölkerung Ängste schüren. Oft gibt es im Tatablauf ein sadistisches Moment, eine Art Folter oder Qual. Auf dieses Moment stützen sich Spekula­tionen über politische Motive der Täter, Spekulationen, die immer wieder von rechts vorgebracht werden.

Ein trauriger Mann sitzt auf einem Gartenstuhl auf der Terasse

Thabo Brewer auf der Farm seiner Familie. Im Schlafzimmer wurden seine Eltern ermordet Foto: Marlene Halser

Dass auch schwarze Farmer unter den Opfern sind, wird oft verschwiegen. Wie viele solche Morde es gibt, ist umstritten, weil unterschiedliche Institutionen verschiedene Daten erheben.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Aber es gibt noch eine weitere, eine internationale Ebene: Morde wie an dem Ehepaar Bruwer befeuern eine Erzählung, die Rechtsextreme weltweit teilen: Der „weißen Rasse“ gehe es an den Kragen. Wenn man nicht bald etwas unternehme, wenn man nicht selbst zum Kampf rüste, sterbe diese Gruppe Menschen aus. Südafrika sei das Negativbeispiel, das zeige, was auch den USA und Europa bevorstehe.

Seit der rechte französische Autor Renaud Camus die Idee des „White Genocide“ 2011 in seinem Essay „Der Große Austausch“ aufgriff, bezieht sich die völkisch-nationalistische Bewegung weltweit darauf, um Hass gegen Mi­gran­t:in­nen und Muslime zu schüren. Auf Deutsch wird Camus’ Schrift von Götz Kubitschek vertrieben, einem neurechten Netzwerker, in dessen Akademien AfD-Leute wie Björn Höcke mit Aktivisten der Identitären Bewegung zusammentreffen. Rechte Terroristen in der ganzen Welt begründen ihre Anschläge mit dieser Verschwörungs­theorie, Anders Breivik ebenso wie der Attentäter von Christchurch.

Eine der Stimmen, die diese Erzählung von Südafrika aus über die ganze Welt verbreiten, ist die von Simon ­Roche. Anfang März hatte er einen Auftritt bei der US-Website „Infowars“, die rechtsextreme Verschwörungs­theo­rien in den USA zirkulieren lässt. Man kann den Auftritt auf YouTube ansehen. Zwanzig Minuten lang darf ­Roche, Mediengesicht einer christlich-völkischen Gruppierung namens „Suidlanders“, sprich „Seitlanders“, dort von Stromausfällen in Südafrika, einer bevorstehenden Choleraepidemie, bedrohlicher Zuwanderung und dem „Rassenkrieg“ schwadronieren, in den bald alles unausweichlich münden werde. Süd­afrika sei der Kanarienvogel in der Kohlemine, sagt Roche; ein Bild, das er gern bemüht: Der Kanarienvogel warnt die Minenarbeiter, wenn der Sauerstoff knapp wird – er stirbt als Erster.

Spender aus dem Ausland? „Nice Try“

„Was derzeit in Südafrika passiert, ist unsere Zukunft“, sagt der Moderator, während Roche sein Horrorszenario heraufbeschwört. Während des Interviews werden Bilder von brennenden Straßenbarrikaden eingeblendet, dazu Schwarze, die Steine werfen. Der Moderator ruft mehrfach dazu auf, für Roche und die Suidlanders zu spenden: „Denn diese Menschen in Südafrika kämpfen um ihr Leben.“

Einen Monat später wirkt Simon ­Roche entspannt und alles andere als gefährdet. Der Mann mit dem zauseligen Bart beugt sich über eine Straßenkarte Südafrikas, die auf der Motorhaube seines Pick-ups liegt. Mit dem Zeigefinger fährt er nach, was im Fall eines „Rassenkriegs“ die Außengrenze eines Gebietes sein soll, das seine Organisation beanspruchen will. Gerade eben sei er von einer mehrwöchigen Tour zurückgekehrt, sagt Roche. 6.000 Kilometer habe er dabei zurückgelegt und sich die „Verteidigungszonen“ angesehen, über die seine Organisation angeblich verfügt.

Ein Mann mit zauseligem Bart und Brille schaut in die Ferne

Am Tag X will Simon Roche ein Achtel Südafrikas für die weiße Minderheit besetzen Foto: Mara Molitor

Im Norden fährt Roches Zeigefinger die Grenze zu Botswana entlang, folgt im Südosten ein Stück dem Oranje-Fluss, zeigt auf die Orte Bethulie im Südosten und Upington im Südwesten. Das Gebiet sei relativ unfruchtbar und daher wenig besiedelt, erklärt Roche. Was er meint: Sollte es zum Tag X kommen, müssen die Suidlanders dort nur wenige Unerwünschte, sprich Schwarze, vertreiben. Und warum diese Größe? „Das entspricht etwas weniger als einem Achtel Südafrikas, also dem weißen Bevölkerungsanteil.“

Konkreter will Roche nicht werden. Andeutungen und Heimlichtuerei gehören zum Geschäft des 48-Jährigen, der die Suidlanders als head of talking, wie er sich selbst nennt, vertritt.

Gerade weil die Suidlanders in Südafrika als Organisation am äußersten rechten Rand wenig Beachtung finden, suchen sie Aufmerksamkeit auf internationaler Ebene. Unter anderem um Spenden zu akquirieren. Das gibt Roche offen zu. Nur wie viel die Organisation damit einnimmt und wer zu den Spendern aus dem Ausland gehört, will er nicht sagen. „Das glaube ich, dass das eine Reporterin einer linken Zeitung gern wissen möchte“, sagt er und lächelt. „Nice try.“

Inszenierte Wachsamkeit

Medienberichten zufolge waren in der Vergangenheit US-Neonaziorganisationen unter den Spendern. Allein 40.000 Dollar sollen die Suidlanders zudem über die mittlerweile gelöschte rechte Crowdfundingplattform FreeStartr eingenommen haben.

45 Kilometer westlich von Johannesburg haben die Suidlanders an diesem Tag Mitte April eine „Evakuierungsübung“ organisiert. Etwa siebzig Wagen, meist Pick-ups und Kleinbusse, parken auf einem weitläufigen Grundstück. Es gibt hier einen kleinen Weiher zum Angeln, eine Shooting Ranch und mehrere Paintballanlagen. Viele Suidlanders sind mit ihren Familien angereist, haben Zelte und Grillfleisch mitgebracht.

Ein Mann mit Rettungsweste schiebt eine Trage mit einem Verletzten in einen Pickup

Simon Roche und die Suidlanders bereiten sich mit Übungen auf den Tag X vor Foto: Mara Molitor

Normalerweise fielen die Treffen der Organisation kleiner aus, hatte Roche im Vorfeld gesagt. Wenn die Presse anwesend sei – außer der taz ist noch eine Dokumentarfilmerin gekommen –, wolle man sich aber bestmöglich präsentieren. Was also im Folgenden beschrieben wird, ist Teil einer Inszenierung, die aber Rückschlüsse auf das Selbstbild der Suidlanders zulässt.

Für die Mitglieder war bereits die Anreise Teil der Übung. Sie mussten in Konvois über vorgegebene Routen fahren – so wie es der Evakuierungsplan für den Ernstfall vorsieht. Am Eingang zum Gelände kontrolliert ein Mann die Ausweise und verteilt blaue Zettel mit Registrierungsnummern. Immer wieder sprechen Menschen mit ernstem Gesicht in Walkie-Talkies. Auf dem Gelände selbst haben die Suidlanders ein Feldlager improvisiert. Neben einem „Kommunikationszelt“ ragt eine Antenne in den Himmel, das „Headquarter“ wird von Sicherheitsleuten mit schwarzen Sonnenbrillen bewacht.

Die meisten Mitglieder haben sich mittlerweile auf einem Platz versammelt. Die Sonne scheint, die Stimmung ist heiter. Einige Frauen haben Tische aufgebaut und schnippeln Gemüse fürs Abendessen. Plötzlich prescht ein weißer Pick-up über die rote Sandpiste und hält auf die Menschen zu. Die Gespräche verstummen. „Security!“, rufen sofort einige Männer. Abrupt kommt der Wagen zum Stehen. Eine Tür schwingt auf, mit einem Schrei lässt sich eine junge Frau neben dem Wagen zu Boden fallen. Schnell wird klar, dass es sich um eine Übung handelt. Das Szenario hier: Ein verwundetes Mitglied kommt am Tag der Evakuierung in einem der Suidlanders-Lager an. „Sanitäter!“, rufen die Männer. Frauen und Männer kommen herbeigeeilt, binden der Frau das Bein ab. Wenig später wird sie auf eine Trage gehoben und auf der Ladefläche eines weiteren Pick-ups zu einem Sanitätszelt abtransportiert.

Gute Kontakte zur AfD

Roche, stets von zwei kläffenden Jack-Russell-Terriern umrundet, wird immer wieder von Fans begrüßt. Viele wollen ihn persönlich für seine Arbeit loben, mit ihm beten, ein Selfie machen. Um Aufmerksamkeit zu erregen, betreibt Roche einen YouTube-Kanal für die Suidlanders. Um Spenden einzutreiben, tourte er 2017 durch die USA. Dort traf er den ehemaligen Ku-Klux-Klan-Chef David Duke und marschierte bei der rechtsextremen Demonstration in Charlottesville mit, bei der eine Gegendemonstrantin getötet wurde. Fotos zeigen Roche in der ersten Reihe der Demo. Wer die Klientel ist, bei der die Botschaft der Suidlanders verfängt, weiß Roche genau.

Das zeigen auch die Kontakte zu Rechten in Deutschland. Im Spätsommer 2018 bekam er Besuch von dem AfD-Bundestagsabgeordneten Petr ­Bys­tron. Bystron sitzt für die AfD im Auswärtigen Ausschuss und war auf einer vom Bundestag finanzierten Reise in Südafrika mit dabei. ­Offenbar nutzte er die Gelegenheit, bei Roche vorbeizuschauen. Roche lobt Bystron als „feinen Gentleman mit ausgesprochen guten Manieren“. Am Lagerfeuer habe man gesessen. Bei Karoo-Lamm und Rotwein sei daraus ein Treffen von Menschen geworden, „die sich gut verstanden und viel Spaß zusammen hatten“. Inhaltlich sei ihm die AfD zu zahm. „Typisch für konservative Parteien in Europa und den USA, geimpft von linker politischer ­Korrektheit.“

Wie viele Mitglieder die Suidlanders zählen, ist nicht bekannt. 150.000, behauptet Roche. Eine offizielle Mitgliederliste führe die Organisation nicht. „Im aktuellen Zeitgeist kommt es nicht gut an, bei einer rechten Organisation im Verzeichnis zu stehen“, sagt er. „Das berücksichtigen wir.“

Eine Frau namens Henriett, die nur ihren Vornamen nennen möchte, erklärt bei dem Campingtreffen die Struktur der Organisation. Die Mitglieder seien dezentral in Nachbarschaftsgruppen organisiert, die sich unterei­nan­der vernetzen und angehalten sind, regelmäßige Treffen zu organisieren. Henriett, 50 Jahre, schwarzes T-Shirt, das lange Haar unter einer Baseballkappe versteckt, steht einer Region vor und betreut 200 Familien, wie sie sagt. Sie hilft dabei, die richtigen Vorräte anzulegen, zur Vorbereitung auf den Tag X, an dem die Organisation entscheidet, dass ein normales Leben für die Suidlanders in Südafrika zu gefährlich wird. Glaubt man Simon ­Roche, steht dieser Tag unmittelbar bevor.

Vor einigen Wochen schon habe die Organisation Alarmstufe Orange ausgerufen, die zweithöchste Stufe. „Wir befinden uns in einer riesigen verdammten Krise größten Ausmaßes.“ Was er damit genau meine, könne er nicht ausführen. Als Beweis für seine These zitiert er vor allem Julius Malema, den Spitzenpolitiker der linkspopulistischen schwarzen Partei Economic Freedom Fighters (EFF). Es ist ein Zitat aus dem Jahr 2016. Malema sagte damals: „Sie [die Weißen; Anm. d. Red.] haben friedliche Afrikaner vorgefunden. Sie haben sie getötet. Sie haben sie abgeschlachtet wie Tiere. Wir rufen nicht dazu auf, Weiße abzuschlachten, zumindest im Moment nicht. Wozu wir aufrufen ist die friedliche Besetzung des Landes, und dafür sind wir niemandem eine Entschuldigung schuldig.“

70 Prozent des Landes gehören den Weißen

Es ist dieses „zumindest im Moment nicht“, das Roche und andere als Ankündigung eines Massakers an Weißen interpretieren. Dass Malema auch versöhnliche Töne anschlägt, bleibt unerwähnt. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bloemfontain sagte er kurz vor der Wahl am 8. Mai: „Die Weißen wissen, dass es nie zu einem Bürgerkrieg in Südafrika kommen wird. Die Weißen wissen, dass wir sie niemals töten werden. Sie haben einfach nur Angst vor dem, was das Wort ‚Gleichberechtigung‘ bedeutet.“ Aber das sind Zitate, die den Suidlanders nicht dienlich sind.

Julius Malemas Partei ist vor allem im extrem benachteiligten Teil der schwarzen Bevölkerung beliebt – unter anderem deshalb, weil er für eine rigorose Umverteilung von Land plädiert. Bei den Parlamentswahlen am 8. Mai errangen seine EFF knapp 11 Prozent der Stimmen und trieben damit die Regierungspartei ANC von links in die Enge. So ist es maßgeblich Malemas Partei zuzuschreiben, dass das vom ANC geführte Parlament im Februar 2018 beschloss, die Verfassung und den Paragrafen 25, der das Eigentumsrecht regelt, daraufhin zu prüfen, ob entschädigungslose Enteignungen im öffentlichen Interesse erlaubt sind.

Knapp 14 Prozent aller Haushalte in Südafrika, die allermeisten schwarz, lebten 2017 laut Statistik in informellen Siedlungen, die ohne Genehmigung errichtet wurden – auf Land, das jemand anders gehört. 70 Prozent des Landes in Privatbesitz gehören Weißen.

Bei der „Evakuierungsübung“ folgen Henriett und die restlichen Suidlanders derweil einem Vortrag über ­Stevia-Pflanzen und den Nährstoffgehalt von Wachteleiern. Für den Fall einer Evakuierung haben die Mitglieder geübt, im Konvoi zu einem „Safe House“ der Organisation zu fahren. Henriett ist diejenige, die dann dafür sorgen muss, dass niemand zurückbleibt, wie sie sagt.

„Notfall-SMS landesweit“ und „Buren Notfall-Kanal“ heißen ihre Chatgruppen. Die Nachrichten dort reichen von Bildern von demonstrierenden schwarzen Menschen mit GPS-Koordinaten über Zitate von namentlich nicht genannten schwarzen Politikern, die Reparationen fordern und damit drohen, alle Weißen aus dem Land zu vertreiben. Es ist eine rechte Echokammer, in der alles schlimmer erscheint, als es wirklich ist.

Im Schlafzimmer wird ihm schwindlig

Zurück zu Thabo Bruwer, der bei einem „Farmmord“ Vater und Stiefmutter verlor. Zusammengesackt sitzt er in der khakifarbenen Montur aus Hemd, kurzer Hose und Sonnenhut, die viele weiße Farmer tragen, im Gartenstuhl auf der Veranda seines leer stehenden Elternhauses. Er kann weder mit den Suidlanders noch mit der Apokalypse, die sie beschwören, viel anfangen.

Eigentlich sei sein Vorname nicht Thabo, sagt Bruwer, sondern Gerhardes Jakobus. Den Spitznamen hätten ihm die Jungs gegeben, mit denen er aufgewachsen sei, die Söhne schwarzer Farmarbeiter. Thabo bedeute „Glück“ auf Sesotho.

Rassismus sei hier nicht das Motiv gewesen, sagt Bruwer. Anderswo könne das möglich sein, „Hier hatten sie es auf die Waffen abgesehen.“ Seine Vater habe Rinder gezüchtet und Luzerne angebaut und an andere Bauern als Viehfutter verkauft. „Deshalb hatte er immer Cash im Haus.“ Einer der mutmaßlichen Täter habe die Farm gekannt, sagt Bruwer. „Der war mal einen Tag bei uns als Arbeiter beschäftigt. Deshalb kenne ich ihn vom Sehen.“

In dem dunklen Schlafzimmer, in dem die beiden Morde geschahen, will Bruwer sich nicht lange aufhalten. „Da wird mir schwindelig“, sagt er und verlässt den Raum schnell wieder. Sieben Gewehre und zwei Pistolen hatte sein Vater im Safe gelagert. Mit einer der beiden Pistolen wurden das Ehepaar exekutiert. Dann nahmen die Täter die Waffen mit, ebenso wie den silbernen Chevrolet Spark, die Mobiltelefone und ein paar weitere Wertgegenstände.

Der Tipp zur Ergreifung der mutmaßlichen Täter kam von Leuten aus dem Nachbarort, von Schwarzen. Wenig später wurden die beiden Beschuldigten gefasst. Ein 19-jähriger vorbestrafter Mann hat die Beihilfe zur Tat mittlerweile gestanden und wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Zweite, ein 27-jähriger Mann, bestreitet die Tat. Die Verhandlung steht noch aus.

Wie ein Überfall abläuft

Offizielle Studien zu dem, was verurteilte Täter von „Farmmorden“ als Motive für ihre Taten angeben, gibt es nicht. An der Universität in Pretoria wird derzeit unter Inhaftierten erstmals eine solche Befragung durchgeführt. Um belastbare Schlüsse zu ziehen, sei es aber noch zu früh, sagt der Studienleiter gegenüber der taz.Für Johan Burger ist trotzdem klar, worum es bei den „Farmmorden“ geht. Der 69-Jährige war 37 Jahre lang Polizist und stand in seinen letzten fünf Dienstjahren einem Komitee für ländliche Sicherheit vor. Mittlerweile ist Burger am Institute for Security Studies angestellt. „Im Grunde sind Farmmorde Hauseinbrüche, die tödlich enden“, sagt der hagere Mann in seinem winzigen Büro in Pretoria. Und Einbrüche kommen häufig vor. Für den Zeitraum 2017/18 zählt die Statistik 625 pro Tag. Sicherheit ist ein riesiger Markt, die Sicherheitsindustrie eine der weltweit größten.

Wer hier ein Einfamilienhaus besitzt, schützt es in der Regel mit einer meterhohen Mauer und Metallstacheln oder Glassplittern. Auch einen Panikknopf, um sofort die Polizei oder einen Sicherheitsdienst zu alarmieren, haben die meisten Hauseigentümer:innen.

„Bei Hauseinbrüchen haben wir zwei Stufen der Gewalt festgestellt“, sagt Burger. „In Phase eins dringen die Täter ins Haus ein. Mit Gewalt und Lärm machen sie dabei den Bewohnern klar, dass sie von jetzt an die Kontrolle haben. In Phase zwei geht es darum, Informatio­nen zu bekommen: Wo sind die Wertgegenstände? Oder: Wie lautet der Code für den Safe? Dabei gehen sie oft extrem brutal vor.“ Im Falle von „Farmmorden“ sei für Phase zwei schlicht sehr viel mehr Zeit, sagt Burger. „Je mehr Zeit sich die Täter lassen können, desto bösartiger werden sie.“

Dann komme bisweilen ein Element von Bestrafung oder Vergeltung hinzu. Kochend heißes Wasser, ein Bügeleisen, Vergewaltigung. „Die Kontrolle geht von der einen auf die andere Person über, vor allem dann, wenn die Hauseigentümer weiß sind“, sagt Burger. „Und das ist genau der Punkt, von dem nun manche behaupten, es gehe um Rassismus oder ein politisches Motiv.“

Eine Organisation, die bei den Tätern und selbst bei der Regierung von politischen Motiven ausgeht, nennt sich AfriForum, eine Art Lobbyverein für weiße Afrikaner. Die NGO, die von sich behauptet, Afrikas größte Bürgerrechtsorganisation zu sein, kämpft gegen das Vorhaben der Regierung, Land ohne Entschädigung zu enteignen. Zwar ist das entsprechende Gesetz noch nicht beschlossen. AfriForum bietet aber schon jetzt rechtliche Beratung für Grundbesitzer an, deren Land besetzt wurde, stellt Anwälte und übernimmt Gerichtskosten.

Keine seriösen Zahlen

„Töte den Buren. Die Mitschuld der Regierung an Südafrikas brutalen Farmmorden“ lautet der Titel eines Buchs, das AfriForums stellvertretender Geschäftsführer Ernst Roets veröffentlicht hat und gern bewirbt – in Südafrika selbst, aber auch in den USA. Zwei Wochen war Roets im April in Washington und New York auf Tour, erzählt er am Telefon. „Wir wollten mit so vielen Menschen über die Gewalt auf südafrikanischen Farmen sprechen, wie möglich.“ Beim State Department habe er vorgesprochen, verschiedene Senatoren und Thinktanks besucht.

Bereits 2018 trat Roets in den USA als Gast in der Sendung „Tonight“ bei Fox News auf. Im August schaltete sich Trump mit einem Tweet in die Diskussion ein, der den Mythos vom „White Genocide“ endgültig in den Mainstream katapultierte. „Ich habe Staatssekretär Mike Pompeo gebeten, sich die Beschlagnahmung von Land und Farmen in Südafrika und die Tötung von Farmern im großen Maßstab genau anzusehen“, schrieb Trump damals.

Es gehe darum, Druck auf die südafrikanische Regierung auszuüben, sagt Roets. „Wir haben die Erfahrung gemacht: Erst wenn sie vom Ausland kritisiert werden, nehmen sie uns ernst.“

AfriForum berechnet immer wieder eine sogenannte Farmmordrate. Eine Zahl, die seriöse Fact-Checker mit den vorhandenen Daten schlicht nicht für berechenbar halten. AfriForum sagt zwar, man sei sich der Ungenauigkeit bewusst, macht es aber dennoch und heizt damit Gerüchte an, dass weiße Farmer die gefährdetste Gruppe in Südafrika seien.

220.000 Mitglieder hat AfriForum nach eigenen Angaben. Der durchschnittliche Mitgliedsbeitrag liege bei 85 südafrikanischen Rand, so die Organisation. 18.700.000 Rand nimmt AfriForum so monatlich ein. Etwas mehr als 1 Millionen Euro. Die vermeintliche Bürgerrechtsorganisation kann sich so ein ansehnliches Konsortium leisten, zu dem eine Filmproduktionsfirma ebenso gehört wie private Strafverfolger, die Fälle aufgreifen, die von staatlichen Behörden abgewiesen wurden.

Swaar Gevaar, jetzt mit Internet

Aktuell baut AfriForum eine private Sicherheitsfirma auf. Das Büro ist in einem Vorort von Pretoria. Wer es betreten will, muss sich ausweisen. Ein Wachmann notiert die Nummer des Ausweises.

Guido Urlings, ein junger Mann aus Holland, der als Manager of Crime Intelligence für AfriForum arbeitet, führt in einen Kellerraum des gesicherten Gebäudes. Dort sitzt in einem fensterlosen Raum ein Mann am Notfalltelefon. Vor ihm vier Bildschirme, auf denen er eingehende Informationen notiert und Kontakt zu Rettungsbehörden herstellen kann. Mitglieder, die im Notfall AfriForum kontaktieren, landen hier. Der Vorteil: Sie müssen sich nicht direkt an Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst wenden. „Viele können nicht so gut Englisch und sprechen nur Afrikaans. Deshalb werden sie am Telefon oft nicht verstanden“, erklärt Urlings. „Bei uns spricht jemand Afrikaans mit ihnen. Da fühlen sie sich gleich besser aufgehoben.“ Die Kontakte zu den Rettungsbehörden seien gut, führt er aus. Man kümmere sich darum, dass auch private Kliniken einen Rettungswagen oder einen Helikopter schickten, sollte das nötig sein. Habe ein Mitglied kein Geld, komme AfriForum zum Teil für die Kosten auf. Seit Neuestem gebe es eine App mit einem Panikbutton, der sofort die GPS-Daten des Standorts übermittelt, sagt Urling nicht ohne Stolz. 30.000 Mitglieder hätten sich diese bereits installiert.

Der Subtext von alldem: Auf die Behörden der immer wieder der Korruption überführten ANC-Regierung ist kein Verlass. Also organisiert man sich selbst – und erhält so aufrecht, was mit dem Ende der Apartheid eigentlich hätte vorbei sein sollen: dass die weiße Bevölkerung eine Extrabehandlung erfährt. Die Erzählung von den bedrohten weißen Farmern ist also auch eine Erzählung, die Angst schürt und AfriForum Mitglieder verschafft.

Nach AfriForum gefragt, lacht Chantalle Van Zyl, als hätte man ihr einen geschmacklosen Witz erzählt. „Erst präsentieren sie dir eine Bedrohung, und dann bieten sie dir eine Lösung an“, sagt sie. Als Treffpunkt hat die 33-Jährige eine Donutkette in einem Einkaufszentrum in Johannesburg gewählt. Gemeinsam mit sechs anderen betreibt sie die Facebook-Seite „Busting the Myth of White Genocide in SA“. Die mehr als 13.000 Follower bekommen dort Memes auf Kosten der Rechten zu sehen und Posts, die Verschwörungstheorien entlarven.

Wegen der hohen Kriminalitätsrate seien alle Menschen potenziell bedroht, Opfer eines Verbrechens zu werden, sagt Van Zyl, die aus Angst vor Rechten ihren richtigen Namen nicht nennen will. „De facto sind Weiße aber besser geschützt, weil sie sich im Gegensatz zu vielen Schwarzen hohe Mauern, Alarmsysteme und private Sicherheitsfirmen leisten können.“

Die Tatortreiniger

Was hinter alldem stecke, sei die Internalisierung der Schuld der Weißen. „Wenn du in Südafrika weiß bist, dann hast du im Lotto gewonnen. Du wohnst in einer guten Gegend, deine Kinder gehen auf gute Schulen, du bist einigermaßen bis sehr wohlhabend. Aber tief in Unbewussten weißt du, dass das nur deshalb so ist, weil deine Vorfahren hier einmarschiert sind, anderen Menschen das Land weggenommen und sie dann jahrhundertelang unterdrückt haben.“ Statt sich dieser Schuld zu stellen, würden viele Weiße diese externalisieren. „Die Weißen wissen, dass ihr Besitz nicht rechtmäßig erworben ist. Deshalb fürchten sie, dass sich Schwarze eines Tages zurückholen, was eigentlich diesen gehört.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Neu sei an dieser Angst im Grunde nichts. Weiße Nationalisten schürten bereits in den 1940ern die Angst vor einer swart gevaar, einer schwarzen Gefahr. Der große Unterschied: Damals gab es noch kein Internet.

Thabo Brewer sind diese Debatten einerlei. Allerdings ist auch er Mitglied bei AfriForum. Nach dem Mord an seiner Familie schickte die Lobbygruppe die Tatortreiniger vorbei und half bei den Ermittlungen. Zurück ins Leben bringt das Brewers Familie nicht.

„All die Jahre haben wir uns nicht geschützt“, sagt er, nie sei etwas passiert. Erst vor wenigen Jahren hätten sein Vater und seine Stiefmutter die Gitter an den Fenstern des Bungalows installiert. „Vermutlich hat das erst zu diesem Überfall geführt“, sagt Brewer. „Denn das bedeutet ja, dass es drinnen etwas zu holen gibt.“ Auch einen Panikbutton hätten die beiden besessen, sagt Brewer und winkt ab: „Aber die lagen tagein, tagaus auf der Fensterbank. Mit sich getragen haben sie die Dinger nie.“

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