hörbuch
: Das Röcheln von Frankensteins Monster

Mary Godwin schrieb „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ 1816 während eines Sommerurlaubs am Genfer See. Weil das Wetter so schlecht war, beschloss ihre Reisegruppe, zu der auch Lord Byron und Shelleys Geliebter und Bald-Ehemann Percy Shelley gehörten, zum Zeitvertreib Schauergeschichten zu ­schreiben. Mary, durch ihren Vater, den namhaften Sozialphilosophen William Godwin (ihre Mutter, die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, starb kurz nach Marys Geburt), freigeistig erzogen, lebte in intellektuell anderen Sphären als damals für Frauen vorgesehen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Experimente faszinierten sie genauso wie die Idee, künstliches Leben zu schaffen.

In ihrer Schauergeschichte bastelt der Student Viktor Frankenstein aus Leichenteilen eine Kreatur, die er, ob ihrer erschreckenden Gestalt, verstößt. Leonard Koppelmann übernimmt in seiner vom WDR produzierten Hörspieladaption den Plot, lässt Mary Shelley zu Beginn die Entstehungsgeschichte erläutern, hat den Stoff aber gestrafft. Die Rahmenhandlung, in der Frankenstein seine Erlebnisse dem Kapitän, der ihn entkräftet aus dem Eismeer rettet, erzählt, hat er weggelassen. Ebenso wie die Figur des Henri, der im Roman seinen an Nervenfieber erkrankten Freund Viktor gesund pflegt. Viktors Ziehschwester und Verlobte Elisabeth – von Lou Zöllner mit intelligenter Hingabe ausgestattet – übernimmt das und muss bereits vor der berühmten Hochzeitsnacht ihr Leben lassen. Die Bauernfamilie, bei der das Monster durch Beobachtung sprechen und sogar schreiben lernt, gibt es nicht. Leider ist von dem bei Shelley fast schon eloquenten Monster nur ein Röcheln geblieben, seine Äußerungen werden von Frankenstein gehört und laut wiederholt.

Patrick Güldenberg macht in seiner Rolle als Viktor Frankenstein dessen fiebrigen Fortschrittsglauben mit Vehemenz anschaulich. Den in der Romanvorlage größeren Raum einnehmenden psychologisierenden Überlegungen zu Verantwortung des Schöpfers für sein Geschöpf und die mitschwingende Kritik Shelleys am Vater, der sein Kind vernachlässigt, trägt Koppelmann durchaus Rechnung, fokussiert aber mehr auf die Gruselgeschichte. Der Nervenkitzel wird durch die von Henrik Al­brecht eigens für das Hörspiel komponierte Orchestermusik punktgenau angetriggert.

Das WDR-Funkhausorchester lotet unter der Leitung von Vassilis Christopoulos feinste Gefühlsregungen aus und liefert so den psychologischen Kommentar. Das Hörspiel, in dem Stimmen und Musik miteinander harmonieren, hätte mit einer stärkeren Beschäftigung mit den Auswirkungen von Ablehnung und Missachtung auch noch einen Kommentar zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung abgeben können. Als Kriminalhörstück, in dem das Schicksal der Protagonisten, abweichend vom Roman, zudem nicht definitiv ist, ist es allemal spannend und ein musikalischer Genuss. Sylvia Prahl

Mary Shelley: „Frankenstein oder der moderne Prometheus“. Hörspiel von Leonard Koppelmann, Laufzeit ca. 1 h 25 min, WDR/DAV 2019