In der tropischen Hölle

Der US-amerikanische Singer-Songwriter Alex G spielte am Dienstag im Tennis Club ein Gratiskonzert – und musste vor allem gegen seine Fans anspielen

Von Jan Jekal

Unten in der Tennis Bar in Neukölln ist ein kleiner Keller, ein fensterloses Verlies, wo sie auf eine winzige Bühne ein Mikrofon und einen Hocker gestellt haben. Nur wer sich am Nachmittag rechtzeitig einen Stempel abgeholt hat, ist nun am Abend hier. Eine gute (und wahrscheinlich rechtlich verpflichtende) Entscheidung der ohnehin gut organisierten Tennis Bar, die Anzahl der Zuschauer von Beginn an zu begrenzen: So drängen sich nun nicht mehr als siebzig Leute in diesem Keller, und trotzdem ist die Luft schnell schlecht und die Temperatur teuflisch.

Überhaupt ist das Setting wie eine von Verhaltenspsychologen konstruierte konfrontationstherapeutische Übung für Soziophobiker: dicht gedrängte Körper, wenig Sauerstoff, ein langer Fluchtweg zum Nachthimmel. Auf meinem Rücken schwimmt der Schweiß. Dann trage ich auch noch Flipflops, die meine Bewegungsfähigkeit im Ernstfall also ziemlich einschränken.

Alex Giannascoli, der 26-jährige Songwriter aus Philadelphia, der unter dem Namen (Sandy) Alex G veröffentlicht, trägt hingegen einen Pullover und eine lange Hose; er ist für die tropische Hölle hier unten also maximal overdressed. Überhaupt scheint er über den Dingen zu schweben, lächelt ein selig-sediertes Lächeln, das – obwohl Alex G ein bärtiger, langhaariger, weißer Typ ist – total an das Lächeln von Kanye West erinnert: vorgeschobener Unterkiefer, Zähne zeigend, den Mund breit, nicht weit geöffnet. Ein entrücktes Lächeln, grundzufrieden, wohl ein wenig high.

Seine Lieder spielt er mit einer nachlässigen Unaufgeregtheit, die in ziemlichem Kontrast zu der Unruhe im Publikum steht. Das wird nämlich von einer Gruppe lärmender Briten dominiert, die zwar offenkundig Fans von Alex G sind, aber ebenso offenkundig noch größere Fans von sich selbst. „Was wollt ihr zuerst hören?“, fragt Alex G, als er auf dem Hocker Platz nimmt, es wird also ein Wunschkonzert, bereits das zweite an diesem Abend, denn weil der Andrang so groß war und der Platz begrenzt, hat er sich dazu bereit erklärt, zwei Shows zu spielen, und da schreien die britischen Bros den Titel des Songs „Nintendo 64“, den Alex G dann natürlich nicht spielt.

Meine Freundin fragt höflich, ob er „Brite Boy“ spielen würde, ein unheimliches, düsteres, kindliches Stück, und da sagt er „Okay, I’ll play that one“ und legt los, singt in brüchigem Falsett diese traurige Melodie, und es ist schon schön, selbstverständlich, aber so richtig viel kommt dann doch nicht an. Dafür ist sein Spielen zu improvisiert, zu wackelig, und das ist exemplarisch für den gesamten Abend.

Alex G, der die ersten Jahre seiner Karriere ungefähr ein Album pro Monat bei der Online-Plattform Bandcamp hochgeladen hat, verfügt über ein enormes Œuvre, und verständlicherweise kann er die meisten seiner Lieder nicht aus dem Stegreif spielen. Er sucht daher auf dem Griffbrett die richtigen Akkorde, unterbricht Songs, oder bricht sie gleich ganz ab, wechselt anscheinend willkürlich zwischen Kopf- und Bauchstimme.

Das hat natürlich alles seinen Charme – zumal Alex G ein charismatischer Kerl ist –, wodurch sich aber nichts Immersives einstellt, man kann in keine Stimmung eintauchen. Dafür ist sein Spielen zu sprunghaft und darüber hinaus die unruhige bis respektlose Energie des Publikums zu ablenkend.

Die eigentliche Qualität seiner Songs lässt sich also nur erahnen; die chaotischen Collagen und aberwitzigen Arrangements, die seine besten Tracks in der Studioversion auszeichnen, kann er alleine mit Akustikgitarre nicht nachbilden. Sein kostenloses Konzert sorgt also für einen coolen Abend, ist aber mehr Event als ästhetische Erfahrung; dafür hat die Musik zu wenig Priorität.