Marseilles, Südafrika

Mit „Five Fingers for Marseilles“ hat Michael Matthews seinen Debütfilm radikal als einen afrikanischen Western inszeniert

Vuyo Dabula als Tau in „Five Fingers for Marseilles“ Foto: Drop-Out Cinema

Von Michael Meyns

Marseilles heißt ein kleines Nest, irgendwo im ländlichen Südafrika, ein abgelegener Ort, der so von seinen Gründern in Erinnerung an ihre europäische Heimat getauft wurde. Durch den Bau der Eisenbahn entstanden dieser und andere Orte, erbaut von der einheimischen schwarzen Bevölkerung, die oberhalb von Marseilles in baufälligen Hütten lebe. Die Zeit ist Anfang der 90er Jahre, die Apartheid steht kurz vor dem Ende, doch das wissen die fünf Jungs noch nicht, die zusammen die Bande Five Fingers formen: Tau, Zulu, Unathi, Bongani und Luyanda, dazu das Mädchen Lerato.

Viel ausrichten können sie gegen die Unterdrückung durch die weißen Herrscher nicht, doch ihre Wut kennt kaum Grenzen. Als eines Tages zwei Polizisten im Dorf auftauchen, eskaliert die Situation, Tau tötet die Ordnungshüter und flieht. 20 Jahre später kehrt er in seine Heimat zurück, inzwischen ein Berufskrimineller, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Und auch seine ehemaligen Freunde haben sich verändert: Vor allem Bongani, der inzwischen – im Post-Apartheid-Südafrika – Bürgermeister geworden ist, sich dafür aber mit den kriminellen Elementen der Gegend arrangiert hat.

Das ist vor allem eine sinistre Gestalt namens Sepoko, die immer wieder wie ein Rache­engel auftaucht und Tribut fordert. Gegenwehr hat sie kaum zu erwarten, denn die vorwiegend schwarze Bevölkerung ist nun zwar offiziell frei und unabhängig, doch in Wahrheit hat sich an den Machtstrukturen nur wenig geändert.

Im Südosten Südafrikas wurde „Five Fingers for Marseilles“ gedreht, in einer Landschaft, die Witteberg heißt und schon im Namen die europäische Herkunft ihrer Siedler verrät. Optisch wirkt sie wie ein Pendant zu klassisch amerikanischen Szenerien, insofern liegt nahe, hier einen Neo-Western anzusiedeln, der typische Western-Motive nimmt und sie mit Geschichte und Gegenwart ­Südafrikas in Bezug setzt. So wie im amerikanischen Westen war es auch in Südafrika die Eisenbahn, die fremde Menschen in die Region brachte und die wirtschaftliche Ausbeutung ermöglichte, die besonders in Südafrika nicht den Einheimischen zugutekam.

Wie Michael Matthews in seinem Debütfilm zeigt, für den er zusammen mit Sean Drummond auch das Drehbuch schrieb, hat sich bei diesen Strukturen auch Jahre nach Ende der Apartheid wenig getan, nur die Ausbeuter haben sich geändert. Doch „Five Fingers for Marseilles“ ist kein explizit politischer oder gesellschaftskritischer Film. Weder die Apartheid noch ein genaues Jahr werden erwähnt, stattdessen die mythologischen Momente der Geschichte betont. Besonders der Antagonist Sepoko agiert dabei so überlebensgroß und unwirklich, dass „Five Fingers for Marseilles“ weniger realistisch als surreal wirkt.

Man könnte die Geschichte also einfach als amüsantes Spiel mit Genre-Motiven genießen, sich an den atemberaubenden Aufnahmen der südafrikanischen Landschaft berauschen oder an den in ihrer Heimat sehr bekannten Darsteller erfreuen. Doch unter der glatten Oberfläche eines Genrefilms erzählt Matthews ganz unterschwellig, vor allem nie didaktisch, von den Strukturen des modernen Südafrikas. Vor allem auch von den Schwierigkeiten, eine Form der Unterdrückung abzustreifen, ohne einer anderen zum Opfer zu fallen. Die Apartheid ist hier zwar vorbei, doch nun herrscht der Kapitalismus über die Menschen.

„Five Fingers for Marseilles“. Regie: Michael Matthews. Mit Vuyo Dabula, Hamilton Dhlamini u. a. Südafrika 2017, 121 Min.