Wütend, wild, wortgewaltig

Von laut zu leise, von chaotisch zu entspannt, von „ist das aber schön“ zu „what the fuck“: Beim A l’Arme! Festival treffen sich auch 2019 die angesagtesten Musiker*innen zwischen Freejazz, Noise und Avantgarde. Ein Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf der Wortkunst

Von Stephanie Grimm

Abstraktion und Sprache – kann das zusammengehen? Allein schon, weil man ja fast zwangsläufig konkreter wird, wenn man die Dinge in Worte fasst? Es ist ein interessantes Spannungsfeld, das diesmal beim A l’Arme! Festival aufgespannt wird. Schließlich ging es bei diesem Sommerfestival bislang eher um Abstraktion. Es ist musikalisch an der Schnittmenge zwischen Freejazz, Avantgarde und Noise angesiedelt, also Genres, die vor allem Instrumentalmusik hervorbringen. Und doch sind Worte in diesem Jahr präsent wie nie.

Festivalkurator Louis Rastig, der das Festival zusammen mit Karina Mertin zum siebten Mal auf die Beine stellt, lässt sich bei der jährlich wechselnden Ausrichtung gerne von Zahlen inspirieren – von der jeweiligen Jahreszahl ebenso wie von der Festivalnummer.

Weil das A l’Arme! im verflixten siebten Jahr angekommen ist, stehen für ihn die Zeichen auf Erneuerung. „Deshalb gibt es diesmal einen besonders extrovertierten Gestus in Form und Inhalt. Die Musik soll im wahrsten Sinne des Wortes für sich sprechen. Bei verschiedenen Acts geht es ganz zentral um Sprechgesang, und Worte ganz allgemein. Das Storytelling spielt eine große Rolle. Es wird auch eine große Bandbreite geben, was unterschiedliche Ausdrucksformen der menschlichen Stimme angeht.“

Zwei Künstlerinnen, bei denen die (Neu-)Erzählung ihrer eigenen Geschichte zentrales Motiv ihres Schaffens ist, sind die Saxofonistin und Spoken-Word-Künstlerin Matana Roberts sowie die Dichterin und Performerin Camae Ayewa alias Moor Mother. Letztere wird diesmal als Teil von Irreversible Entanglement auftreten. Ursprünglich wurde dieses Projekt für einen Auftritt bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Washington ins Leben geworden.

Daraus entwickelte sich ein regelmäßig auftretendes Free-Jazz-Quintett, neben Moor Mother sind der Saxofonist Keir Neuringer, der Trompeter Aquiles Navarro, Bassist Luke Stewart und Schlagzeuger Tcheser Holmes dabei. Neben dem politischen Sendungsbewusstsein besticht die Band durch eine klangliche Dichtheit, eine Mischung aus elaborierten Kompositionen und Improvisationen, bei der Ayewas Stimme zum weiteren Instrument wird.

Auch Matana Roberts, die aktuell als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ein Jahr in Berlin verbringt, hat neben einer eigenwilligen Soundästhetik eine explizit antirassistische Agenda, die sie über ihr Storytelling kommuniziert. Ihr im Herbst 2019 erscheinendes Album „Memphis“ ist eine Hommage an ihre Großmutter und der vierte Teil des multimedialen „Coin Coin“-Projekts. Insgesamt zwölf Kapitel soll es am Ende umfassen. In der Reihe beschäftigt sie sich mit den Frauen in ihrer Ahnengalerie; über die Texte versetzt sie sich in deren Leben hinein und geht dabei Jahrhunderte zurück. Memphis war die Heimat ihrer Großmutter, die durch das von ihr zusammengetragene Familienarchiv Roberts Projekt mit möglich machte.

Auch über den persönlichen Bezug hinaus interessieren Roberts die Geister und Konflikte der Vergangenheit. Schließlich wirken sie immer auch in die Gegenwart hinein, wie sich an der Auseinandersetzung um den Bau einer Pipeline durch die Standing Rock Reservation zeigte, die 2016 massive Proteste auslöste, nicht nur unter Native Americans. Roberts veröffentlichte zur – auch finanziellen – Unterstützung der Umweltbewegung verschiedene Performances in New Yorker Subway-Stationen unter dem Titel „For Standing Rock …“.

Beim Festival wird Roberts solo auftreten und den Freitagabend eröffnen. Das DJ-Set zum Abschluss des Abends kommt vom nicht minder erlebenswerten Raphael Kariuki aka DJ Raph. In seiner Heimatstadt Nairobi ist er eine Szenegröße, hierzulande vergleichsweise unbekannt.

Kariuki bringt zeitgenössische Elektronik mit traditionellen Rhythmen und Gesang in Form von Field Recordings, also Aufnahmen von nicht selbst erzeugten Klängen, zusammen; so hat auch seine Musik, wie etwa auf dem Debütalbum „Sacred Groves“ (2018), eine sehr konkrete Verankerung, auch wenn es keine Wortmusik im engeren Sinne ist. Anders als viele Künstler, die vergleichbare Aufzeichnungen nutzen, sie zerlegen und in neue Kontexte setzen, lässt DJ Raph dem Ausgangsmaterial, das er in Form von langen Samples einbaut, viel Raum und Luft zum Atmen.

Während das Festival größtenteils am idyllisch an der Spree gelegenen „Radialsystem“ stattfindet, lädt es zum Eröffnungsabend am Mittwoch ins „Säälchen“, den etwas clubmäßigeren, neuen Veranstaltungsraum in der Nachbarschaft.

Schließlich wird das Publikum dort mit dem norwegischen Trio Gurls – die Musikerinnen kommen aus dem klassischen Jazz, schaffen in dieser Konstellation aber eine sehr frische Mischung aus Rap, R&B, A-cappella-Gesang und Pop – und der hochkarätig besetzten Combo Anguish (mit Experimental-Rapper Dälek, Krautrocklegende Hans-Joachim Irmler und dem schwedischen Avantgarde-Jazz-Kollektiv Fire) auf Musiker*innen treffen, denen man auf jeden Fall als gediegenes Sitzpublikum begegnen will. Das diesjährige A l’Arme! Festival wird nicht nur wortgewaltiger, sondern sicher auch wesentlich wilder und jünger daherkommen.

Vier Tage radikale Musik

Kommen aus dem Jazz, vermischen ihn mit Soul und R&B und singen u. a. über weibliches Begehren: das Trio Gurls Foto: Foto:Solveig Selj

„A l’Arme!“ ist französisch und steht für „Ruf zu den Waffen“. Beim gleichnamigen Berliner Festival werden die Waffen durch Instrumente ersetzt. In der siebten Ausgabe stehen aber nicht nur Vertreter*innen nischiger Genres wie Freejazz, Freie Improvisation, Experimental HipHop und Noise im Vordergrund, sondern auch Gesangs­virtuos*innen und Spoken-Word-Künstler*innen wie Moor Mother oder Matana Roberts, aber auch der Saxofon-Virtuose Colin Stetson mit seiner Band Ex Eye.

A l’Arme! Festival, 31. 7.–3. 8., versch. Spielorte. Mehr Infos auf: www.alarmefestival.de