Was am Bauhaus innovativ war

Die Beharrungskräfte der Traditionalisten waren auch nach der Novemberrevolution groß. Walter Gropius aber folgte der modernen Bewegung und erfand den „KünstlerGestalter“

Gruppen­aufnahme der Bauhausmeister in Dessau im Jahr 1926: Josef Albers, Hinnerk Scheper, Georg Muche, László Moholy-Nagy, Herbert Bayer, Joost Schmidt, Walter Gropius, Marcel Breuer, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, Gunta Stölzl und Oskar Schlemmer (v. l. n. r.) Foto: akg-images

Von Wolfgang Ruppert

Der Mythos Bauhaus wirkt weiter. Doch auch 100 Jahre nach seiner Gründung stehen widersprüchliche Sichtweisen einander gegenüber. Einerseits werden die aus den neuen künstlerischen Arbeitsformen entstandenen Artefakte gefeiert. Andererseits ist der Gründungsdirektor Walter Gropius das Ziel von Angriffen: Er sei in zu starkem Maße mit einem auf ihn selbst konzentrierten Bild für sein Projekt eingetreten, sei aber mit den Architekturexperimenten gescheitert. Man hielt ihm vor, dass er zum Zeichnen einen Mitarbeiter benötigte und zudem keinen „ordentlichen Abschluss“ als Architekt vorweisen konnte.

Diese Einwände sind intellektuell schlicht. Sie gehen von einer Berufskonvention „des Architekten“ und von unreflektierten Vorstellungen „vom Künstler“ aus. So sind sie nicht in der Lage, den innovativen Anteil zu erfassen, der Walter Gropius an der Programmatik des Bauhauses als einer Kunst- und Gestaltungshochschule zukommt.

Demgegenüber muss eine kulturgeschichtliche Perspektive nach den strukturellen Gründen für die Produktivität des Bauhauses fragen. Das Konzept von Gropius beinhaltete eine neue Integrationsform von künstlerischen Kompetenzen durch Überwölbung der Spaltung in „hohe Kunst“ und „nützliche“ Künste, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden war. Der in seinem Studienprogramm angelegte Künstlerhabitus des „KünstlerGestalters“ war Ergebnis einer Synthese von modernistischer Kunst und handwerklich fundierter Gestaltungsarbeit.

Um die Bedeutung dieser Innovation zu verstehen, ist es notwendig, sich den historischen Ort der Bauhausgründung in der Geschichte der künstlerischen Arbeit zu verdeutlichen.

Bereits mit dem Beginn der „modernen Bewegung“ 1896 sollte ein neues, ganzheitliches Kunstverständnis angestrebt werden. Deren führende Protagonisten, Peter Behrens oder Richard Riemerschmid, hatten als Absolventen von Kunstakademien gleichermaßen in den Medien Architektur (zum Beispiel Behrens’AEG-Gebäude in Berlin, Riemerschmids Münchner Kammerspiele), in der Gestaltung von Alltagsdingen und Industrieprodukten oder der Grafik als „angewandte Künstler“ reüssiert. Hierzu war kein spezifischer Berufsabschluss „als Architekt“ erforderlich.

Hierarchien überwinden

Mit der Revolution im November 1918 und dem Zusammenbruch der symbolischen Ordnung des Kaiserreichs entstand eine günstige Konstellation für den kulturellen Aufbruch. Die Vision einer „Neuen Zeit“ war in der Arbeiterbewegung mit der Erfahrung der industriellen und gesellschaftlichen Modernisierungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie schloss die Bildungsutopie einer Teilhabe aller am ästhetischen Genuss ein.

In der Revolutionsbewegung bildeten sich schnell regionale Künstlerräte, in denen primär diskutiert wurde, was die demokratische Gleichheitsforderung für die Entfaltungschancen von Kreativität in den unterschiedlichen künstlerischen Professionen und die Hierarchie der Künstlerausbildung bedeuten könnte. Blicken wir zunächst auf Weimar.

Gropius agierte 1919 im Kontext linker und liberaler Teile der Öffentlichkeit, die auf ein emanzipatorisches Weltbild vertrauten. Dies ermöglichte es ihm, trotz aller Fliehkräfte der unterschiedlichen Personen, eine völlig neue Kunsthochschule einzurichten. Unter seiner Leitung entwickelte sich dieses Pionierprojekt zu einem der kreativsten Produktionsorte von ästhetischer Modernität.

Auf welches „geistige Rüstzeug“ konnte sich Gropius stützen? Er agierte mit dem Habitus einer selbstbewussten Bürgerlichkeit, die anders gerichtete Mitakteure einbezog. Erste Fähigkeiten in der praktischen Gestaltungsarbeit hatte er im Entwurfsbüro von Peter Behrens erworben. Die Verbindung von Kunst und Leben der „modernen Bewegung“ wirkte in ihm weiter und ging in das Bauhausprojekt ein. Gropius hatte sich zudem seit 1910 an den Theoriedebatten des Werkbunds beteiligt.

Er musste die akademischen Professoren der bisherigen Kunsthochschule übernehmen, die sich bereits im ersten Jahr wieder vom integrativen Konzept abwandten, als sie die Konsequenzen für ihren konventionellen Künstlerhabitus erkannten. Demgegenüber setzte der neue Direktor markante Zeichen für die Bedeutung der avantgardistischen Kunst für sein Konzept des zukünftigen Künstlergestalters: Er berief den Kubisten Lyonel Feininger sowie den in Wien bereits lehrenden Expressionisten Johannes Itten. 1920 folgte Paul Klee. Im Meisterrat wurde ein kollegiales Beratungsgremium der Lehrenden geschaffen. Die Zusammenarbeit von Handwerkern als Werkmeister und Künstlern als Formmeister, unter Aufgabe des Titels Professor für einige Jahre, symbolisierte die Abgrenzung von den Kunstakademien.

Mit Wassily Kandinsky hatte es während dessen Beteiligung an der Neueinrichtung von künstlerischen Institutionen für den Kunstsektor der frühen Sowjetunion Kontakte gegeben. Nach dessen Rückkehr nach Deutschland übernahm auch dieser Maler ab 1922 Theo­rieunterricht für die zukünftigen KünstlerGestalter. Der auf technische Experimente spezialisierte László Moholy-Nagy arbeitete bald an einer neuen Ästhetik von Licht und Schatten.

Kunst und Technik

Die Funktionalität des industriellen Modernisierungsschubs der 20er Jahre ging schließlich 1922/23 in die programmatische Formel der Verbindung von „Kunst und Technik“ ein. In den Kunstakademien galt Technik dagegen weiterhin als unvereinbar mit Kunst.

Walter Gropius agierte 1919 im Kontext von Linken und Liberalen

Eine eigene Architekturabteilung differenzierte Gropius bekanntlich erst 1927 aus. Der häufig zitierte Satz aus dem Bauhausmanifest, „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau“, muss daher auch ­metaphorisch verstanden werden. Mit dem Bild einer „Kathedrale“ wurde eine Gemeinschaft von künstlerischen Individuen unterschiedlicher Professionen assoziiert, die sich zum Aufbau „der Zukunft“ versammelten. Erprobt wurde diese Arbeitsweise für die erste Bauhausausstellung 1923 im Haus am Horn.

Gropius zog sich 1928 zurück. Hannes Meyer folgte ihm bis 1930 als Direktor, der die Institution mit dem Programm „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ neu an den Zielen der Arbeiterbewegung zur Verbesserung der materiellen Lebenswelt der Arbeiter ausrichtete.

Die Bedeutung des Konzepts von Gropius wird im Vergleich plastischer. Die große Mehrheit unter den Kunstprofessoren der deutschen Kunstakademien blieb am Akademismus der „hohen Kunst“ orientiert. In München entwickelte der bedeutende Jugendstilkünstler Riemerschmid aus den Debatten des Künstlerrats heraus ein Konzept für die Integration von Münchner Kunstakademie und Kunstgewerbeschule. Nach dem Sieg der Gegenrevolution im Mai 1919 war diese Reform vom Tisch. Während der ganzen 20er Jahre wurde vom kulturkonservativen Professorenkollegium kein einziger modernistischer Künstler an die Münchner Kunstakademie berufen, weshalb 1933 niemand zu entlassen war.

Gropius’Experimentierlust

In Berlin hatte der Arbeitsrat für Kunst einen Reformdiskurs begonnen. Auch hier waren die Beharrungskräfte des Traditionalismus stark. Erst 1924 gelang es im Zuge der sozialdemokratisch-liberalen Kulturpolitik in Preußen mit den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ eine Reformhochschule zu gründen, an der bis 1933 auch gemäßigt moderne Künstler wie Karl Hofer lehren konnten.

Ohne Gropius, dessen Denkhorizont, seine Verbindung der Experimentierlust von modernistischen Künstlern und qualifizierten Handwerkern im Künstlerhabitus, hätte es kein derartig wirkungsmächtiges Bauhaus gegeben. Dies ist der Hauptgrund für die gefeierte Produktivität des Bauhauses.

Dieser Text erschien in einer erweiterten Fassung in „Henselmann 2019 – 1. Zeitschrift für Stadtpolitik“