Ausstellung im Rijksmuseum Amsterdam: Alte Meister, neues Gewand

Der niederländische Künstler Erwin Olaf wurde bekannt mit Aufnahmen aus der queeren Szene. Eine Ausstellung sucht nun nach frühen Einflüssen.

Ein aktuelles Frauenporträt und ein Porträt eines Mädchens aus dem 17. Jahrhundert

​Links: Erwin Olaf, „Porträt Nr. 5“ | rechts: Johannes C.Verspronck, „Mädchen in Blau“, 1641 Foto: Rijksmuseum Amsterdam

Das Jahr 2019 ist Erwin-Olaf-Jahr: Zum 60. Geburtstag des niederländischen Fotokünstlers und Modefotografen zeigt das Amsterdamer Rijksmuseum gegenwärtig die Ausstellung „12 x Erwin Olaf“.

Olaf hat dem Rijksmuseum 2018 eine Sammlung von insgesamt 500 Abzügen, Portfolios, Büchern, Postern und Videoarbeiten übereignet. Sein Werk gehört nun zum visuellen Erbgut der Niederlande. Im Frühjahr haben das Den Haager Gemeen­te­museum und Fotomuseum bereits eine Doppelausstellung gezeigt, eine große Retrospektive, die mit 328.000 Besuchern die bisher meistbesuchte Fotoausstellung des Landes war. 2021 wird die Retrospektive in München zu sehen sein.

In der Schau hängen nun elf Gemälde und eine Zeichnung alter Meister aus der Sammlung des Rijksmuseum Seite an Seite mit zwölf Arbeiten von Erwin Olaf – jeweils als Bildpaar im Philips-Flügel des Museums. Kuratiert haben die Ausstellung der Künstler selbst und Taco Dibbits, der Direktor des Hauses. Sie haben Analogien gesucht: in der Bildsprache, der Gestik, in Details.

Ein Selbstporträt Rembrands (vermutlich) aus dem Jahr 1628 hängt neben Olafs Porträt von „Hennie“ aus einer 1985 entstandenen Serie mit Damenhüten. Den schönen jungen Mann mit den nackten Schultern ziert ein extravaganter Frauenhut – eine Fotografie in Schwarz-Weiß. Die vollen Lippen betont, schaut Hennie den Fotografen interessiert an.

"12 x Erwin Olaf", bis 22. September, Rijks­museum, Amsterdam, Katalog: Buchhandlung Walther König, 45 Euro

Eine sinnliche Fotografie. Rembrandts Augenpartie dagegen liegt verborgen im Dunkeln, der Blick ist still, aber jede einzelne Locke seines braunen Schopfs lebt. Im Alter von ungefähr 12 Jahren sah Erwin Olaf während eines Schulausflugs Rembrandts Selbstporträt zum ersten Mal, so die Bildlegende. Nicht so sehr Rem­brandts „Nachtwache“, sondern dieses Selbstporträt berührte den Schüler.

Newton und Mapplethorpe

Viele Besuche im Rijksmuseum sollten folgen. Die alten Meister des Goldenen Zeitalters der Niederlande sowie Fotografien von Robert Mapplethorpe und Helmut Newton bilden die Inspirationsquellen von Olafs visueller Kunst.

Erwin Olaf stärkt mit seinen Beiträgen zivil­gesell­schaftliche Initiativen

Ein anderes Bildpaar: George Hendrik Breitners Ölgemälde „Mädchen in einem weißen Kimono“ von 1894 kommuniziert mit Olafs Farbaufnahme „Paris – Raum 1134“ aus seiner 2010 entstandenen „Hotel“-Serie. Halb auf einen Divan gebettet, die dünnen Arme hinter dem Kopf verschränkt, blickt das Kimonomädchen mit großen Augen im zarten Mädchengesicht ins Leere.

Auch Olafs Model, das mit einer dünnen weißen Wollstrickjacke bekleidet und im Slip viel makellos helle Haut zeigt, ruht auf einem (Hotel-)Bett. In der Pose, in den Gesichtern zeigt sich eine Verwandtschaft. Der Fotograf hat häufig mit Models gearbeitet in freien Arbeiten, in Modefotoshootings. Breitners Mädchen wäre ein gutes Fotomodell, sagte Olaf zu dem Bild – Models hätten oft einen leeren Blick.

Erwin Olaf Springveld – so sein bürgerlicher Name – wird 1959 in Hilversum geboren. Er studiert zunächst Journalismus in Utrecht, ist politisch interessiert, ein Rebell. Und als Fotograf ein Autodidakt. Olaf, selbst homosexuell, wird mit Aufnahmen in der queeren Szene bekannt. Er porträtiert das Nachtleben, nimmt freizügige Selbstporträts auf (wie das bekannte Bild mit der Ladung Sperma, die Olaf ins Gesicht fliegt).

Bizarren freie Arbeiten

Er fällt mit bizarren freien Arbeiten auf wie „Chessman“, mit dicken und starken Frauen, Kleinwüchsigen, Schwangeren, nackt, in einer entfesselten Bildsprache. Er ist sehr gefragt als internationaler Werbefotograf, arbeitet für Louis Vuitton, Vogue, Diesel, um nur einige Namen zu nennen. Er fotografiert „Fashion Victims“; beißend ist sein visueller Kommentar zu Konsum in pornografischer Pose.

Erwin Olaf wird 2011 mit dem hochdotierten Johannes-Vermeer-Preis ausgezeichnet. Er designt 2016 die Ausstellung „Catwalk“ für das Rijksmuseum über Mode im Lauf der Jahrhunderte. Er visualisiert Emotionen wie tiefe Trauer (die Arbeit „Grief“), Wut und Widerstand (nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo und auf das Bata­clan).

Und er bekommt den Auftrag, die 1-Euro-Münze der Niederlande mit dem Konterfei von König Willem-Alexander zu designen. Die königliche Familie fotografiert er in flotter Weise. Seine jüngste, 2018 vollendete Trilogie „Berlin – Shanghai – Palm Springs“ mit vielen Referenzen an die Geschichte und Gegenwart dieser Städte, ist eine verfeinerte Arbeit, auch sie zeugt von Olafs Kreativität, blühender Vorstellungskraft und handwerklichem Perfektionismus.

Wegen seiner Rolle als internationales Vorbild der niederländischen Kunst und vieler, die Zivilgesellschaft unterstützender Beiträge wurde er kürzlich an seinem 60. Geburtstag zum Ritter ernannt. Olaf hat ein Leben lang unbeirrt, unermüdlich und lautstark für Freiheit, Emanzipation und Gleichberechtigung der LGBTQ-Community gestritten.

Die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema, die zum festlichen Anlass überraschend im rosa Hosenanzug erschien, würdigte ihn in einer Rede, um den Orden dann an seinem Sweatshirt zu befestigen. Donnernder Applaus hallte durchs Rijksmuseum. Olaf leidet an einer fortschreitenden Lungenerkrankung, seine körperliche Erschöpfung war deutlich zu sehen. Er wusste nicht, wie ihm geschah – und strahlte übers ganze Gesicht. Ein besonderer Moment der Anerkennung, nicht nur für ihn.

Denkmal für die Mutter

Vergänglichkeit, auch das hat Erwin Olaf beschäftigt, künstlerisch und auch ganz persönlich. Neben Rembrandt, Breitner und Jan Steen ist auch ein Stillleben mit Blumen Hans Bollongiers von 1639 vertreten. Das Pendant des zeitgenössischen Meisters: die Videoinstallation „Life“, die Olaf 2018 in Erinnerung an seine jüngst verstorbene Mutter schuf.

In seinem Amsterdamer Studio baute er ein Zelt auf, setzte Licht, fotografierte eine Vase mit Tulpen jede Minute, ganze zehn Tage lang: ein Kunstwerk in Schwarz-Weiß. „Meine Mutter gab mir so viel Unterstützung und sie war mir eine Inspira­tionsquelle“, lautet sein Kommentar dazu. „Life“: die unzähligen Schattierungen von Grau und Weiß hervorgehoben durchs Dunkel des Hintergrunds, ein Tulpenstrauß in permanenter Bewegung.

Das Aufblühen, das vollkommen Zur-Blüte-Gelangen, das langsame Zur-Neige-Gehen. Werden, Vergehen. Der Kreislauf des Lebens. Liebevoll und reduziert im Kern, faszinierend dargestellt durch Erwin Olaf.

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