Historischer Roman über Bach-Bruder: Musik, Krieg, Glauben

Olaf Schmidt erzählt das Leben von Johann Jacob Bach und entfaltet dabei ein Panorama des kriegsgebeutelten Europas im 18. Jahrhundert.

Junger Mann mit Turban und blauem Gewand

Jacob Bach kam bis nach Konstantinopel. So könnte er gewirkt haben. Gemälde (Ausschnitt) von Fravray Foto: akg

Wer war Johann Jacob Bach? Der Mann vorn auf dem Buchdeckel ist es mit Sicherheit nicht. Zunächst einmal, weil das von Antoine de Favray gemalte Porträt eines Europäers im türkischen Gewand, das den Einband von Olaf Schmidts Roman „Der Oboist des Königs“ ziert, aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt. Da war der Bach-Bruder schon längst tot. Und dann ist ohnehin kein Porträt von Johann Jacob Bach bekannt. So ähnlich wie den Herrn mit Turban könnte man sich diesen Bach, in einer späteren Station seines Lebens zumindest, jedoch vorstellen.

Gesichert blieb auch kein Werk von ihm erhalten. Von einer Badinage in h-Moll ist im Buch die Rede, vermutlich wohl allein deshalb, weil es ein solches Charakterstück in der 2. Orchestersuite des Bruders Johann Sebastian gibt. Insgesamt beschränkt sich das Leben des Musikers Jacob Bach auf sehr dürre Daten. Die haben es aber in sich.

1682 wurde Jacob Bach, wie Sebastian drei Jahre später, in Eisenach geboren, ging dort zur Lateinschule, kam nach dem frühen Tod der Eltern mit Sebastian beim älteren Bruder Johann Christoph unter, machte mit 14 Jahren eine Ausbildung zum Stadtpfeifer. Im Jahr 1704 trat er als Oboist in die Hofkapelle Karls XII. von Schweden ein. In dieser Eigenschaft erlebte Jacob Bach den grausamen Russlandfeldzug Karls XII. gegen Peter den Großen. Nach der Niederlage der Schweden floh Jacob Bach im Gefolge des Königs ins Exil nach Konstantinopel. Gestorben ist er 1722 in Stockholm.

Jacob kam weit herum

Die wenigen biografischen Angaben hat der Schriftsteller Olaf Schmidt zur Grundlage eines historischen Romans von fast 600 Seiten gemacht. In dem es um Musik, Krieg, Glauben und eine gewisse Ironie im Verhältnis der zwei Bach-Brüder geht. Ist doch das Leben des großen Barockkomponisten gut erschlossen, dafür nicht sehr aufregend. Auch ist Sebastian, von einer frühen Bildungsreise nach Lübeck abgesehen, geografisch nicht eben weit herumgekommen. Der „unbekannte“ Jacob Bach hingegen umso mehr.

Olaf Schmidt: „Der Oboist des Königs“. Galiani Verlag, Berlin 2019, 544 Seiten, 25 Euro

Schmidt, der historisch wie religionswissenschaftlich kundig ist, weitet sein Buch, das wie eine klassische Biografie beginnt, schon bald zu einem politischen Panorama Europas im 18. Jahrhundert aus. So umschifft er elegant die Schwierigkeit, dass sein Protagonist als Figur, wenn man sich streng an den Fakten entlangbewegen will, wenig hergibt.

In „Der Oboist des Königs“ ist Jacob Bach denn auch in fast allen Kapiteln zugegen, spielt allerdings nicht unbedingt die Hauptrolle. Für die historisch einschneidenden Entwicklungen schiebt Schmidt gar „welthistorische Intermezzi“ ein, in denen zunächst Sachsens Kurfürst August der Starke im Großen Nordischen Krieg als Eroberer sein Glück versucht, um schon bald gegen Schwedens Karl XII. den Kürzeren zu ziehen.

Der unermüdlich Krieg führende Karl XII., der verbissen quer durch Russland zog, um das Heer Peters des Großen zu schlagen, entwickelt sich in der zweiten Hälfte des Buchs zur vorübergehenden Hauptfigur, an dessen Beispiel Schmidt deutlich macht, zu welch verheerenden strategischen Ex­tre­men ein asketischer protestantischer Lebenswandel beitragen kann und wie wörtlich der Ausdruck „Kadaver­gehorsam“ in der schwedischen Armee zu nehmen ist.

Plädoyer gegen militärische Gewalt

Jacob Bach liefert für all das oft bloß die formale Struktur, besonders eindrücklich in der im Halbstundentakt rhythmisierten Schlacht bei Poltawa, in der die schwedischen Soldaten, vernichtend vom russischen Heer geschlagen, in einem Blutbad untergingen. Mit einer goldenen Uhr ausgestattet, muss Bach dem König alle halbe Stunde die Zeit melden. Mit diesem Trick erzeugt Schmidt sehr effektiv die nötige Spannung für diesen tragischen Höhepunkt der Handlung.

Das Buch ist in seiner grafischen Ausführlichkeit der Darstellung ein Plädoyer gegen militärische Gewalt, insbesondere die protofaschistisch verbohrte Schlachtenwut Karls XII., der sich nicht im Geringsten um das Leben seiner Truppen scherte. Jacob Bach verliert darüber sogar seinen Glauben, was Schmidt in einer kurzen theologischen Debatte über die Möglichkeit des Bösen in einer von Gott geschaffenen Welt reflektiert. Sogar Engel tauchen im Buch auf, geträumte oder halluzinierte, wie zu vermuten ist.

Anders als beim berühmten Bruder verliert die Musik Johann Jacob Bachs die Verbindung zu Gott

Dass die Musik irgendwann bloß noch am Rand vorkommt, ist unvermeidlich. Schmidt markiert so zugleich den Gegensatz des Lebens von Jacob Bach im Vergleich mit Sebastian. Während Letzterer kontinuierlich und allein Gott zur Ehre komponierte, verliert die Musik bei Jacob irgendwann alle Verbindung zu Gott wie sein übriges Leben auch. Wenn er am Ende des Buchs vor dem Haus des Bruders in Weimar steht, wo dieser inzwischen Herzoglich-Weimarischer Hoforganist und Konzertmeister ist, hat sich das Leben der beiden maximal weit voneinander entfernt. Von dem einen bleibt die Musik. Von dem anderen, dank Schmidt, eine große Erzählung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.