Abschaffung des Soli-Zuschlags: Vorsätzliche Verwirrung

Der „Soli-Zuschlag“ fließt nicht in den Osten, sondern in den allgemeinen Bundeshaushalt. Seine Abschaffung wird für leere Kassen sorgen.

Ein Passant geht an einer Wand vorbei auf der drauf steht "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost"

Anders als der Begriff nahelegt, fließt das Geld des Solizuschlags nicht in den Osten Foto: dpa

Demokratie ist sowieso kompliziert – und die Politik stiftet noch zusätzliche Verwirrung. Ein Paradebeispiel ist der „Soli“: Das Kabinett hat am Mittwoch beschlossen, ihn weitgehend abzuschaffen. Das klingt schlicht, doch beim „Soli“ ist nichts, wie es scheint.

Die Verwirrung beginnt schon mit dem Wort: Anders als der Begriff „Solidaritätszuschlag“ nahelegt, fließt das Geld mitnichten in den Osten – sondern in den allgemeinen Bundeshaushalt. Momentan bringt der „Soli“ 19 Milliarden Euro im Jahr ein, und dieses Geld wird auch dringend gebraucht. Im Haushalt gibt es keine großen Spielräume, doch Union und SPD erzeugen den Eindruck, der Staat habe Geld zu verschenken. In Wahrheit sind die Kassen so leer, dass sich die Große Koalition mit einem Trick behilft: Beim Soli wird erst ab 2021 gestrichen – im Wahljahr. Die nächste Regierung darf sich dann den Kopf zerbrechen, wie sie die Milliardenlücke wieder schließt, die die Teilabschaffung des Soli jährlich reißt.

Genauso erstaunlich sind die Aussagen, wer angeblich profitiert, wenn der Soli weitgehend entfällt. Laut Koalitionsvertrag wollen SPD und Union die „unteren und mittleren Einkommen“ entlasten. Einziges Problem: Die armen Haushalte zahlen schon bisher keinen Soli, weil sie viel zu wenig verdienen. Die Normalbürger werden nur wenig profitieren – umso mehr aber die Wohlhabenden .

Schon wieder werden die Wohlhabenden beschenkt

Die Dauerdiskussion um den Soli suggeriert, dass die Einkommensteuer in Deutschland unerträglich hoch sei. In Wahrheit liegt sie im internationalen Vergleich eher niedrig. Hoch sind hingegen die Lohnnebenkosten: Die „unteren und mittleren Einkommen“ werden vor allem durch die Sozialbeiträge belastet – hier hätte man streichen müssen, nicht beim Soli.

Doch über die Sozialabgaben wird nicht geredet. Dies ist kein Zufall: Die Reichen zahlen fast keine Sozialbeiträge – und die meisten Durchschnittsverdiener sind inzwischen so verwirrt durch den kreativen Politsprech, dass sie gar nicht bemerken, dass schon ­wieder die Wohlhabenden beschenkt werden.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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