Rebellenprovinz Idlib: Erdoğans Eiertanz in Syrien

Syrische Regierungstruppen rücken in Idlib vor. Die Offensive stellt das türkisch-russische Verhältnis vor eine Zerreißprobe.

Türkischer Militärkonvoi

Türkischer Militärkonvoi (r.) fährt in Richtung Chan Scheichun am Montag Foto: ap

ISTANBUL taz | Der türkische Präsident gerät mit seiner Syrienpolitik immer mehr in Bedrängnis. Nachdem Recep Tayyip Erdoğan bereits mit den USA wegen deren Zusammenarbeit mit der kurdischen YPG-Miliz heftig aneinander geraten ist, droht nun auch sein Syrien-Deal mit Russland zu platzen.

Der – mutmaßlich syrische – Luftangriff auf einen türkischen Militärkonvoi in der nordsyrischen Rebellenprovinz Idlib am Montag und die massive Unterstützung Russland für den Vormarsch der Assad-Truppen in Idlib haben das im vergangenen September von Erdoğan und Wladimir Putin ausgehandelte Idlib-Abkommen faktisch beendet.

Damals hatte der russische Präsident zugesagt, auf Assad einzuwirken, die Provinz Idlib erst einmal nicht anzugreifen. Im Gegenzug wollte Türkei dafür sorgen, dass sich die Rebellen aus einer Pufferzone rund um Idlib zurückziehen und aus Idlib heraus keine russischen oder syrischen Truppen mehr angegriffen werden.

Obwohl die türkischen Armee und ihre syrischen Hilfstruppen diese Zusagen nie umgesetzt haben, hielt Putin Assad monatelang zurück. In dieser Zeit eskalierte der Konflikt zwischen Ankara und Washington, weil Erdoğan trotz massiver Drohungen aus den USA am Kauf russischer Flugabwehrraketen vom Typ S-400 festhielt.

Außerdem drohte Erdoğan, die von den USA protegierte Kurdenmiliz YPG entlang der türkisch-syrischen Grenze östlich des Euphrats anzugreifen, wenn die USA nicht bereit wären, einer 30 Kilometer breiten Pufferzone auf syrischer Seite zuzustimmen, aus der die YPG sich zurückziehen sollte.

Assad-Offensive kommt nur langsam voran

Um Erdoğan in dieser Situation nicht in den Rücken zu fallen, tolerierte Putin zunächst, dass sowohl die Dschihadistenmiliz Hai'at Tahrir al-Scham (HTS) als auch von der Türkei unterstützte Kämpfer der syrischen Nationalen Befreiungsfront im Süden Idlibs weiter aktiv blieben. Selbst als Assad im April doch seinen Angriff auf Idlib startete, hielt Russland sich zunächst weitgehend zurück. Entsprechend erfolglos operierten auch die Assad–Einheiten. Von April bis Juli machten sie kaum Fortschritte. Dörfer die sie eroberten, wurden von den Rebellen teilweise wieder zurückerobert.

Grafik: infotext-berlin

Das änderte sich erst, als Erdoğan sich doch mit der Trump-Administration auf ein gemeinsames Vorgehen östlich des Euphrats einigte. Putin hatte darauf gesetzt, dass der Konflikt zwischen der Türkei und den USA weiter eskaliert und die Türkei womöglich sogar die Nato verlässt.

Diese Enttäuschung Putins über die Einigung zwischen Erdoğan und Trump war womöglich auch ausschlaggebend für die jüngste Eskalation in Idlib: Putin gab nun grünes Licht für eine massive Unterstützung der Assad-Truppen. Damit änderte sich das Bild in Idlib.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat mittlerweile sogar bestätigt, dass auch russische Bodentruppen im Einsatz sind. Der Vormarsch der Assad-Truppen gewann deshalb an Schwung: Am Dienstag gelang ihnen mit der Eroberung der Stadt Chan Scheichun ihr bislang größter Erfolg.

Erdoğan hofft auf eine Verständigung mit Putin

Chan Scheichun, durch die Kämpfe mittlerweile völlig zerstört und von allen Einwohnern verlassen, ist das südliche Tor zur Provinz Idlib. Mit der Eroberung der Stadt ist Assad einem ersten Ziel näher gekommen: die Autobahn M5, die Damaskus mit Aleppo verbindet und von Rebellen blockiert wird, wieder benutzen zu können.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben Kampfflugzeuge der syrischen Armee – einige Beobachter sprechen auch von russischen Kampfflugzeugen – am Montag einen türkischen Militärkonvoi angegriffen, der nach Angaben aus Ankara auf dem Weg zu einem türkischen Militärstützpunkt in Murak südlich von Chan Scheichunwar, um die dortige Besatzung zu verstärken.

Dieser – wie der Kolumnist Sedat Ergin der türkischen Tageszeitung Hürriyet schrieb – „beispiellose Angriff“ hat die türkische Regierung empört. Doch Erdoğan hofft immer noch auf eine Verständigung mit Putin, weshalb sich die türkische Kritik bislang auf Assad konzentriert.

Am 16. September ist ein Gipfeltreffen von Erdoğan, Putin und dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani geplant. Sollte es bis dahin keinen Kompromiss für Idlib geben, wird die türkisch-russische Zusammenarbeit wohl zu Ende gehen, schreibt Ergin.

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, Erdoğan und Ruhani würden im September mit Assad zu einem Gipfeltreffen zusammenkommen. Der Fehler ist korrigiert.

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