crime scene
: True-Crime-Trip durch Europa

Ein Kriminalroman ist immer auch eine Jagd nach Informationen, ehemals Indizien genannt. Die goldenen Zeiten von Lupe, Fingerabdruckpulver und Eiltelegramm sind noch gar nicht so lange vorbei; doch längst leben wir in der Ära der DNA-Spuren, Videobeweise und Social Media. Die schottische Autorin Denise Mina, die sich ihren guten Namen in der Genrewelt – als „Queen of Tartan Noir“ – vor allem mit Krimis aus dem Glasgower Umfeld gemacht hat, begibt sich mit ihrem neuen Thriller nun auf ganz neues Terrain: in die Welt der Podcasts (was allerdings auch diesmal nicht ohne einen Abstecher in die schottischen Highlands abgeht).

Im Zentrum des Romans steht eine junge Frau, Anna, oder Sophie, wie sie eigentlich heißt, was aber niemand wissen darf. Nach einem schrecklichen Ereignis in ihrer Vergangenheit hat sie sich eine neue Identität zugelegt, geheiratet, Kinder bekommen und ist Hausfrau geworden. Es ist eine Scheinwelt, die auf Dauer nicht funktioniert und die zusammenbricht, als ihr Mann sie wegen ihrer besten Freundin verlässt. Auch deren Mann Fin, ein prominenter Popmusiker, bleibt mit einer Psychomacke allein zurück: Er ist magersüchtig. Sophie/Anna und Fin, zwei innerlich Versehrte, tun sich als Geschwister im Unglück zusammen. Sophie hat sich angewöhnt, vor der realen Welt in die Welt von True-Crime-Podcasts abzutauchen, und ist besessen von einem Hörstück, das vom mysteriösen Tod eines Mannes handelt, den sie vor Jahren persönlich gekannt hat. Etwas zufällig, etwas widerwillig, aber dennoch gemeinsam begeben Sophie und Fin sich hinaus in die Welt, um ihrem elenden Dasein zu entfliehen und dem Tod von jenem Leon und dessen erwachsenen Kindern auf die Spur zu kommen, besuchen ein mondänes Schloss im Norden Schottlands, eine pittoreske Hafenstadt in Frankreich und das morbide Venedig.

Dabei werden sie auf Schritt und Tritt von eigentlich todbringenden Bösewichten verfolgt, was daran liegt, dass der publikumssüchtige Fin bereits zu Beginn der wilden Recherchereise einen eigenen Podcast begonnen hat, der immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Ebenen bewegen sich aufeinander zu: Fins fast in real time produzierter und geposteter Podcast generiert im virtuellen Raum viel Aufruhr, bringt eine große True-Crime-Gemeinde zum Tüfteln und verschafft Sophie den nötigen Rückhalt, sich endlich zu ihrer wahren Identität zu bekennen. Gleichzeitig werden die Bösewichte jedoch von demselben Podcast aufgescheucht, ihr Verderben bringendes Treiben zu erfolgreichem Abschluss zu bringen – was wiederum Fin neuen Stoff für den Podcast liefert und so weiter.

Denise Mina: „Klare Sache“. Aus dem Englischen von Zoë Beck. Argument Verlag, Ariadne, Hamburg 2019, 352 S., 21 Euro

Eine ziemlich konstruierte Sache natürlich. Auch auf die eigentliche Kriminalhandlung trifft das zu, bei der einige Plot-Twists etwas sehr kurz festgezurrt erscheinen. Denise Mina ist Expertin für Atmosphäre und Lokalkolorit, nicht für raffiniertes Whodunit; und hier, wo die Autorin sich ungewöhnlich weit von ihrem angestammten geografischen Terrain entfernt, geraten manche Figuren ihr zu chargenhaft, wirken Szenerien klischeebeladen. Die Idee an sich aber ist erfrischend innovativ und auf jeden Fall wert, sich dafür etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen. Die Real-time-Komponente wirkt dabei wie ein Handlungsbeschleuniger. An Tempo mangelt es diesem Roman sicher nicht. Katharina Granzin