Joshua Wong über Proteste in Hongkong: „Deutschland sollte Druck ausüben“

Hongkongs Demokratie-Ikone Joshua Wong hat bei einem Deutschlandbesuch um Hilfe gebeten. Der Bürgerrechtler zieht Parallelen zu Berlin im Kalten Krieg.

Hongkongs Demokratie-Aktivist Joshua Wong wird fotografiert

Hongkongs Demokratie-Aktivist Joshua Wong bei seinem Besuch in Berlin Foto: reuters/Hannibal Hanschke

taz: Herr Wong, die chinesische Führung nennt Sie einen Separatisten. Wie fühlt sich das an?

Joshua Wong: Unser Anliegen ist klar: Wir fordern einen Stopp der Polizeigewalt und wirklich freie Wahlen. Letzteres wurde bei der Rückgabe Hongkongs an China im Jahr 1997 völkerrechtlich zugesichert. Aber dieses Versprechen wird von Peking nicht erfüllt. Sie setzen auf unnachgiebige Unterdrückung.

Ihr Ziel ist also nicht Hongkongs Unabhängigkeit?

Das habe ich nie gefordert. Peking versucht sämtliche Aktivisten und Politiker, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen, als Separatisten zu brandmarken.

Fühlen Sie sich nicht bedroht, von einem so mächtigen Staat wie China kriminalisiert zu werden?

Mich überrascht nicht, dass der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Stellungnahmen dieser Art formuliert. Das zeigt bloß, wie sehr die Führung in Peking internationale Unterstützung für Hongkongs Aktivisten fürchten.

Joshua Wong, 22, ist Aktivist seit seinem 14. Lebensjahr und seit den Regenschirmprotesten vor fünf Jahren prominentes Gesicht von Hongkongs Demokratiebewegung.

Aber würden Sie sich nicht von mehr Ländern mehr Unterstützung wünschen?

Uns ist bewusst: Der 1. Oktober wird für uns ein sehr kritischer Tag. Chinas Führung begeht an diesem Tag den 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik. Nachdem ich in diesen Tagen in Taiwan war und jetzt in Deutschland, werde ich weiter in die USA reisen. Was ich hoffe, ist, dass der Welt klar wird: Hongkong steht an vorderster Front im Kampf gegen autoritäre Unterdrückung. Als eine globale Stadt haben wir das Recht auf Freiheit und Demokratie.

Warum haben Sie für Ihr Anliegen Deutschland gewählt?

Nach dem Brexit und dem Chaos im Zuge des Handelsstreits zwischen China und den USA hat Peking ein Interesse daran, sich mit Deutschland zu befreunden. Peking gibt sich nicht mehr damit zufrieden, seinen Einfluss auf Hongkong, Taiwan, Tibet, Xinjiang oder den pazifischen Raum auszudehnen, sondern will ihn auch auf Europa ausweiten.

Wie lief es für Sie in Berlin bisher?

Ich hatte zwar durchaus gehofft, mit dem Kanzleramt in Kontakt treten zu können. Das hat nicht geklappt. Daher habe ich mich darauf konzentriert, bei den Parteien um Unterstützung zu werben. Das hat geklappt.

Sie haben Außenminister Heiko Maas getroffen.

Ja, es war gut, sich auszutauschen. Er teilt meine Sorge, sollte Hongkongs Regierung eine Notverordnung verhängen und Peking um militärische Hilfe bitten. Wir wissen, dass bereits Truppen an der Grenze stehen. Notverordnungen sind ein Relikt der Kolonialzeit; dieses Instrument zu nutzen, wäre wie die Ausrufung des Kriegsrechts. Die Regierung könnte das Internet abschalten, den öffentlichen Nahverkehr und alle Flüge stilllegen. Die Regierung hofft, auf diese Weise den Protest kleinkriegen zu können. Deutschland und der Rest der Welt sollten nicht die Augen verschließen vor den Ereignissen in Hongkong

Waren Sie enttäuscht, dass Merkel in Peking die Proteste nur erwähnt hat? War das ausreichend?

Sie hat ihre Sorge ausgedrückt. Das ist besser als nichts. Deutschland sollte aber mehr Druck ausüben und Gespräche über die Handelsbeziehungen mit China und Hongkong aussetzen, bis Menschenrechtsthemen auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Sie vergleichen die Situation mit Berlin vor dem Mauerfall. Halten Sie diesen Vergleich für angemessen?

Beide Städte stehen an der Front eines Kampfs um Freiheit. Bei allen Unterschieden handelt es sich um Brennpunkte eines Konflikts entlang ähnlicher Linien. In beiden Fällen geht es um Unterdrückung oder Demokratie. Vor einem Jahr hätte ich das so noch nicht gesagt. Doch die Spannungen zwischen China und den USA sind Zeichen eines neuen Kalten Kriegs. Hongkong ist das neue Berlin.

Wo sehen Sie die richtige Balance zwischen den streng friedlichen Märschen und den gewalttätigen Protesten, bei denen Demonstranten auch Regierungsgebäude demoliert haben?

Keiner von uns freut sich über Zusammenstöße und Gewalt. Auch wir nicht. Es steht die Anschuldigung im Raum, dass Demonstranten Gewalt angewendet haben. Doch wir wissen alle, wer angefangen hat. Anders als noch bei den Protesten vor fünf Jahren setzt die Polizei lebensbedrohliche Waffen ein. Das führt zu Gegenreaktionen, etwa wenn Demonstranten die Tränengasgranaten mit einem Tennisschläger zurückschleudern. Statt alles auf die Demonstranten zu schieben, sollte sich Hongkongs Regierungsschefin Carrie Lam und Chinas Präsident Xi Jinping fragen, ob sie die Situation nicht auch durch politische Reformen hätten entschärfen können.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Wir werden weiter demonstrieren, jedes Wochenende. Am 1. Oktober wird es eine Großdemonstration geben. Im November finden Bezirksratswahlen statt. Der Stimmenanteil des prodemokratischen Lagers wird zeigen, wie viel Unterstützung wir genießen. Ich spiele mit dem Gedanken, zu kandidieren. Es wird sich zeigen, ob Peking meine Teilnahme gestattet oder uns unter Vorwänden ausschließt.

(Mitarbeit: Lin Hierse, Stefan Schaaf, Finn Mayer-Kuckuk)

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