Debütalbum von Produzent Afriqua: Erntezeit in Charlottenburg

Und mit den Drums kommt der Funk ins House: US-Künstler Afriqua hat an seinem Album „Colored“ im alten Berliner Westen gewerkelt.

Dunkelhäutiger Mann mit schwarzen Locken in einer Wohnung

„Ursprünglich war ‚colored‘ kein beleidigender Begriff“, erklärt Produzent Afriqua Foto: André Wunstorf

„Ich habe einen immer wiederkehrenden Traum. Darin arbeite ich fieberhaft an einem Dancefloor-Track ohne jeden Beat: Kurz bevor ich verzweifelt aufgebe und doch wieder die Roland-808-Drum-Maschine anschmeiße, wache ich auf.“ Mit 27 hat man noch Träume! Adam Longman Parker verwirklicht nicht alle. Einen aber hat er wahr gemacht, eingeflüstert vom afro­amerikanischen Kulturkritiker Amiri Baraka (1934–2014) im Schlaf.

Afriqua, wie sich Longman Parker als Künstler nennt, hat dazu einen Breakbeat gemacht, der zickzack tanzt, um Barakas aus einem Interview gesampelte Stimme – der denkt dabei laut über das Ghetto seiner Heimatstadt Newark nach. Stimme und Rhythmus kommen sich immer wieder in die Quere und kollidieren. Ein Satz Barakas wiederholt Afriqua dabei mantraartig: „It’s called dope.“

Meinte Amiri Baraka damit, dass etwas richtig toll ist, oder sinnierte er über Dope als Slangbegriff? Das löst Afriquas Musik nicht auf, dafür suggeriert sie fast schon unheimlich coole Anspannung: Allmählich fächern sich Akkorde eines durch Vibrato verzerrten Fender-Rhodes-E-Pianos auf, und die Saiten eines Kontrabasses klingen schmatzend nach, weitere, undefinierbare Laute einer menschlichen Stimme werden hörbar. Dazwischen fällt immer wieder das Sample von Baraka: „It’s called dope.“

Broken-Beats und HipHop

„Dope“ heißt auch der Track, der sich weit vorne auf „Co­lored“ befindet, dem Debüt­album von Afriqua, das heute veröffentlicht wird. Longman Parker wohnt in Charlottenburg, was so ungefähr das Gegenteil vom Ghetto in Newark ist. Das Café Einstein, wo er die taz zum Gespräch trifft, ist sicher nicht der Ort, an dem seine deepen House-Tracks als Erstes in Berlin aufgelegt wurden.

Charlottenburg ist für Longman Parker der beste Ort, um konzentriert an Musik zu arbeiten. Hierher kam er 2012, um seine stilistische Palette zu erweitern. Jetzt erntet er die Früchte. Die 16 Tracks von „Colored“ nehmen die HörerInnen mit auf eine Reise durch verschiedene Sphären von Clubsound. Es gibt Interludes, kurze, souveräne Zwischenspiele.

Da sind zerklüftete Broken-Beat-Tracks, die einen bei der Stange halten, und ein HipHop-Stück, bei dem man nicht zugetextet wird, sondern vom Flow der Reime mitgerissen wird. „Colored“ hat richtige Peaktime-Smasher, die direkt auf Füße und Hüften zielen. Es ist keine Tracksammlung, in der einzelne Stücke lieblos aneinandergereiht sind, „Colored“ ist ein Album mit einer Dramaturgie, die nie langweilig wird. Sounds, deren Musikalität sich in jeder Sekunde überträgt.

„Wenn ich komponiere, begebe ich mich bewusst in den Zwischenraum von Rhythmus und Melodie, weil dann Fliehkräfte mich gleichzeitig in alle Richtungen schicken. Das muss so sein! Bei ‚Dope‘ habe ich mich zuerst von dem Baraka-Sample inspirieren lassen, er war ja ein Chronist seiner Heimatstadt und hat Blackness oft ironisch kommentiert. Dann entschied ich mich, seinen Worten ein E-Piano-Motiv an die Seite zu stellen. Und mit den Drums kommt bei mir meistens der Funk ins House.“

Longman Parker lässt sich auch von außermusikalischen Parametern beeinflussen: So wie bildende KünstlerInnen erst mal nach geeignetem Arbeitsmaterial suchen, so forscht er nach Klangstrukturen. „Ich versuche, synthetische Sounds immer neu zu kombinieren, Samples so zu bauen, dass sie mich beim Arrangieren weiterbringen. Erst dann entstehen meine Melodien. Ich muss sie dann nur noch einfangen.“

Der Oldschool der Ostküste

Longman Parkers Laufbahn verläuft mindestens so zickzack wie seine Tracks. Aufgewachsen ist er in Hampton Roads, Virginia, einem Knotenpunkt von Nuller-Jahre-HipHop: Pharrell, Timbaland und Missy Elliott, drei der prägenden Produzenten, kommen von dort. Virginia gehört faktisch zu den US-Südstaaten, aber die Hauptstadt Washington ist nicht weit.

Longman Parker ging mit seinem älteren Bruder schon als Steppke zu HipHop-Jams. Im Alter von 12 begann er zu deejayen und legte bald bei Mixbattles mit allen Oldschool-Legenden an der Ostküste auf. Parallel fing er an, Klavier zu spielen, besuchte eine Performing-Arts-Highschool und erhielt ein Stipendium, mit dem er sich klassisch ausbilden ließ.

Damit schaffte er es bis nach London und studierte an der Royal Academy of Music. In Berlin kommt Longman Parker all das zugute: seine Black-Music-Sozialisation, die Plattensammlung der Familie und das Interesse an allen Formen von Komposition. „Colored“ ist erst sein Debütalbum, aber es hat einen zündenden Masterplan: „Ich zelebriere damit Black Music in all ihren Facetten“, erklärt Adam Longman Parker, der jüdische und afroamerikanischen Wurzeln hat.

„Ich denke beim Musikmachen nicht daran, ob sich das kommerziell verwerten lässt. Das widerspricht dem, was mich am meisten inspiriert: Musik, die nicht leicht zu kategorisieren ist. Künstler, deren Werke selbst genrebildend sind. Mir fallen da Parliament und Funkadelic ein, genauso wie ein Claude Debussy.“

Aber zurück zu Amiri Baraka, der einst vom „changing same“ der afroamerikanischen Musik gesprochen hat und damit den „Impuls des Blues“ meinte, den er in der DNA aller afroamerikanischer Genres aufspürte: Longman Parker nimmt diesen Gedanken in seinem Sound mit auf. „Es geht mir nicht um Deephouse oder Techno, um Soul oder Disco, nennen wir es einfach Black Music. Das ist was anderes als ein Pastiche aus verschiedenen Elementen.“

Wie wirkmächtig das Erbe erscheint, hat Afriqua erst in Berlin kapiert, als er Flyer sah, die „Black Music Parties“ anpriesen. „Colored“ ist ein Album­titel, der einen aber auch zum Grübeln bringt: War das nicht eine abfällige Bezeichnung für Schwarze, zu Zeiten der Segregation?

„Ja, das ist absichtlich kontrovers. Ich finde das weit weniger spalterisch, wenn man ‚co­lored‘, also ‚farbig‘, aus dem alten Kontext reißt. Sicher kennen alle Fotos aus den sechziger Jahren, auf denen Schwarze zu sehen sind, die in abgesperrten Bereichen auf den Bus warten müssen. Das waren schreckliche Zeiten! Ursprünglich aber war ‚­colored‘ kein beleidigender Begriff. Ich persönlich finde ‚farbig‘ viel zutreffender als ‚schwarz‘. Außer den Weißen sind doch alle Menschen farbig. Irgendwie ahnte ich, dass das der Titel meines Albums werden würde. Die Musik habe ich erst komponiert, als der Titel für mich feststand.“

Afriqua: „Colored“ (R&S/!K7/Indigo)

Longman Parkers Eltern stammen aus dem ländlichen Louisiana, wo es außerhalb von New Orleans zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung besonders segregiert war. Heute ist Afriqua froh darüber, dass das Berliner Nachtleben die Musik afroamerikanischen KünstlerInnen als originär akzeptiert. Da hier die schwarzen Ursprünge des Dancefloor anerkannt seien, Werke von Produzenten aus Detroit und Chicago geschätzt würden, konnten in den USA Karrieren überhaupt nur fortgeführt werden. Was die Situation in seiner Heimat anbelangt, bleibt er trotz allem optimistisch.

Für Adam Longman Parker macht es keinen Sinn, dass Schwarze in der Opferrolle verharren. „Meine Generation steht doppelt in der Verantwortung. Einmal, weil wir nie vergessen dürfen, wie mies wir in der Vergangenheit behandelt wurden. Wie krass die Benachteiligung war. So eine Form von Rassismus dürfen wir nie wieder zulassen. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass uns heute viel größere Möglichkeiten offenstehen. Deshalb haben wir die Verantwortung, dass wir daraus etwas Positives gestalten. Auch dafür steht meine Musik.“

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