Die Waffe der Erinnerung

Flüchtige Graffiti als Basis: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt den südafrikanischen Künstler Robin Rhode mit seiner Werkschau „Memory Is the Weapon“

Robin Rhode, Classic Bike, 2002, aus einer Serie von 12 Diasecs Foto: Kunstmuseum Wolfsburg

Von Bettina Maria Brosowsky

Schwarz oder weiß: So simpel ist die Welt nicht gestrickt. Auch manch Bild der politischen Kultur Südafrikas ist, vielleicht durch das lange Apartheid-Regime und seine blutig niedergeschlagenen Proteste der Schwarzen, dieser Klassifikation geschuldet. Da wird die große Coloured Community, die sich vorwiegend in der Provinz Westkap, also um Kapstadt, gebildet hat, leicht übersehen. In ihr sind während der niederländischen Kolonialherrschaft ethnische Gruppen, darunter Sklaven aus Indien, Südostasien und afrikanischen Ländern, mit Europäern verschmolzen.

Der Schriftsteller Don Mattera, 1935 als Nachfahre eines italienischen Immigranten geboren, ist literarisches Sprachrohr dieser Bevölkerungsgruppe, die er als „Twilight People“ bezeichnet: Menschen, die in einer multiethnischen Grauzone leben und gleichermaßen Schwarz wie Weiß den Spiegel vorhalten. 1987 veröffentlichte Mattera seine Autobiografie, erzählte von seiner Zeit in einer kriminellen Street Gang und der Läuterung zum politischen Aktivisten. Die Erinnerung wurde moralische Instanz seiner Selbststärkung: „Memory Is the Weapon“, so der Buchtitel.

Als Hommage an Mattera versteht der südafrikanische Künstler Robin Rhode seine gleichnamige Werkschau im Kunstmuseum Wolfsburg, die als chronologisches Exzerpt etwa 45 Arbeiten aus 19 Jahren versammelt. Auch Rhode ist Coloured, wurde 1976 in Kapstadt geboren und wuchs in Johannesburg auf. Seine Kindheit war behütet und abgeschirmt von rassistischen Konflikten, die er erst als älterer Schüler erlebte. So, wenn er zum Cricket-Match in den luxuriösen Sportanlagen der Weißen antreten musste: Hier waren auch nach dem offiziellen Ende der Apartheid abwertende, verächtliche Kommentare an der Tagesordnung. Sie haben ihn aber zu dem Künstler werden lassen, der er heute ist, sagt Rhode.

Doch seine Kunst wurde und ist nicht vordergründig politisch oder aktivistisch, selbst wenn er die formalen Mittel subkultureller Street Art verwendet: Schnell gezeichnete, in seinem Fall figurative Graffiti im öffentlichen Raum, aufs Straßenpflaster oder an die Wand. Sie dienen ihm immer nur als Basis performativer Dynamisierung, die in Fotosequenzen oder kurzen Animationen festgehalten wird. Die Graffiti sind deshalb flüchtig: Meist aus Kreide oder Zeichenkohle, erodieren sie schnell unter Wind und Regen.

Das Zusammenspiel aus einer skizzenhaften, imaginativen Bühne mit der körperlich pointierten Belebung durch ein oder mehrere Akteure sowie die strenge fotografische Dokumentation hat Rhode zu einer eigenständigen, komplexen Kunstform perfektioniert. Sie gewährt Einblick in die Verfasstheit seiner Community, wenn Rhode auf Entbehrung oder Wünsche anspielt: Ein Fahrrad, eine E-Gitarre, gar ein Piano gehören wohl selten zum persönlichen Besitz, akrobatisch Basketball spielen kann sicherlich auch nicht jeder.

Rhode entfaltet mit subtilem Humor alltägliche Bildgeschichten, die in der Körperkunst ihrer Akteure an den Slapstick eines Buster Keaton erinnern. Sozial unmittelbar hat Rhode über lange Jahre eine „Art Army“ aus etwa achtzehn Jugendlichen in seine Arbeiten eingebunden, ihnen so Perspektiven jenseits von Arbeitslosigkeit, Straße, Gewalt und Drogen gegeben.

Robin Rhodes originelle, ästhetische Kunstform wurde schnell salonfähig, internationale Ausstellungen und Kunstpreise ließen nicht auf sich warten, zuletzt 2018 der 11. Zurich Art Prize mit einer Präsentation im Haus Konstruktiv. Man kann einwenden, dass Rhode seit einem Stipendium im Jahr 2001 in Berlin lebt, ein authentischer Kontakt zu seiner südafrikanischen Community also nicht mehr recht glaubwürdig ist. Jüngere Arbeiten beschäftigten sich vielleicht auch deshalb mit Phänomenen der Kunstgeschichte: Farbe, Geometrie, konkrete Komposition. Dass Südafrika immer mehr in den Hintergrund rückt, gibt Rhode unumwunden zu, sein soziales Engagement hat er dort stark eingeschränkt.

Das Wolfsburger Kunstmuseum ermöglichte Robin Rhode, in Jericho, Palästina, zu arbeiten. Die Stadt hatte ihn schon lange fasziniert, er fand dort aber auch eine vertraute Rauheit, die eine Spontaneität jenseits seiner in Berlin erdachten Konzepte freisetzte. Wohl erstmals dienen nun komplexere Architekturen und landschaftliche wie soziale Kontexte als Bühne seiner performativen, artifiziell ausgetüftelten Kunst, Sujets kommen neuerlich aus der Kunstgeschichte.

Rhode entfaltet mit subtilem Humor alltägliche Bildgeschichten,die an Slapstick erinnern

In seiner Arbeit „Tree of Life“, die ein lokales Mosaik aus dem Badehaus des Kalifen Hischam paraphrasiert, scheint er sich aber auch an seine alte intuitive Leichtigkeit zu erinnern: Ein wachsender Baum in lichter Kreidezeichnung, gebauschte weiße Plastikbeutel bilden seine Blüten oder Früchte.

Eigentlich sollte die Ausstellung Robin Rhodes am Jahresende das Programm des Wolfsburger Hauses zu seinem 25-jährigen Jubiläum beschließen, parallel zur großen Themenschau „Oil: Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“. Eine zivilisationskritische Reflexion wollte Ralf Beil, im Februar 2015 als Direktor in Wolfsburg bestellt, als Institutionskritik erweitert wissen: Was kann ein Kunstmuseum heute überhaupt bewirken?

Aber es kam dann alles anders: Der Vorsitzende des Museumskuratoriums, Hans-Dieter Pötsch, im Hauptberuf Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG, die 30 bis 40 Prozent des frei disponiblen Jahresetats beisteuert, setzte Beil zu Weihnachten 2018 fristlos vor die Tür. Schon lange missfiel im Autokonzern Beils kuratorische Kritik, etwa am Abgasbetrug.

Der bereits zum April 2019 installierte Nachfolger, Andreas Beitin, kann nun auf gute Vorarbeiten zurückgreifen, sie reichen weit ins kommende Jahr, und Robin Rhode zog seine Ausstellung vor. In seiner ersten eigenen Kuratierung widmet sich Beitin ab Dezember dann Licht- und Klanginstallationen des japanischen Künstlers Ryoji Ikeda. Sicherlich, ein Schwarz-Weiß-Urteil verbietet sich auch hier, Direktor wie Institution sei ein Neuanfang zugestanden. Andererseits bleibt niemandem die Waffe der Erinnerung erspart: an kuratorische Freiheiten nämlich und relevante Ausstellungen im Hause.

Bis 9. Februar, Kunstmuseum Wolfsburg, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 34 Euro