Motorik vom Teekessel

Das Label Grönland Records feierte sein 20. Jubiläum im Festsaal Kreuzberg mit Krautrock-Legenden wie Michael Rother und Hans Joachim Roedelius

Freundliche Gitarrenlegende: Michael Rother Foto: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Von Robert Mießner

Das Tolle an Deutschland ist: Es gibt es mehrmals. Eine seiner schöneren Ausgaben war am Donnerstag, dem Nationalfeiertag, und am Folgetag im Festsaal Kreuzberg auf zwei abendfüllenden und ausverkauften Matineen zu erleben: Das in Berlin ansässige, von Herbert Grönemeyer in London gegründete Plattenlabel Grönland Records hatte zu seinem 20. Geburtstag geladen und spielte zu Beginn des Abends vom Band eine fast schon fünf Jahrzehnte alte Musik: „Hallogallo“ von dem Krautrock-Duo Neu!, zehn Minuten pulsierende Mechanik und minimalistische Harmonie.

Dazu später, jedenfalls sollte das eigentümliche Blubbern des Neu!-Sounds an beiden Abenden in diversen Echos zu vernehmen sein. Fast jede/r der elf KünstlerInnen der Grönland-Sause hatte einen Synthesizer auf der Bühne zu stehen, so auch die beiden Eröffnungs-Acts Das Paradies und Philipp Dittberner: Popmusik deutscher Zunge, charmant, dabei eine Spur zu freundlich.

Freundlich und keck

Freundlich und faszinierend hingegen Christoph H. Müller und Hans-Joachim Roedelius: Das zwei Generationen umfassende Duo spielte zum größten Teil Instrumentalstücke, so ausladend wie genauestens austariert. Müller, bekannt von der Electrotango-Gruppe Gotan Project, stieg ein mit den Klängen eines zwitterhaften Instruments: der Melodica, dem Blasinstrument mit schwarz-weißer Klaviatur, bekannt aus Reggae, Dub und Jazz. Roedelius, der Mitbegründer der Krautrock-Bands Harmonia und Cluster, der in wenigen Wochen seinen 85. Geburtstag feiern können wird, antwortete mit Keyboardflächen und -pochen. Eine zeitlose halbe Stunde.

Freundlich, aber keck wiederum der Auftritt, der den Donnerstagabend beschließen sollte: das Duo Boy, die Zürcher Sängerin Valeska Steiner und die Hamburger Musikerin Sonja Glass, auf der Bühne zu einer richtigen Band erweitert. Steiner und Glass haben sicher mehr als eine Fleetwood-Mac-Platte zu Hause. Und in einem ihrer Songs antworten sie auf die dämliche Anmache „Dein Boyfriend hat sich wohl vom Acker gemacht“ mit „Zeit, dass du hinterhergehst.“

Vorher hatte sich Herbert Grönemeyer in einem Interview-Intermezzo auf der Bühne daran erinnert, wie es 1999 überhaupt zu Grönland Records gekommen war. Grönemeyer hatte die zwölfteilige Fernsehdokumentation „Pop 2000“ mitgestaltet, aus der eine gleichnamige 8-CD-Box entstehen sollte. In diesem Zusammenhang wurde Grönland, das Plattenlabel aus der Taufe gehoben. Und Grönemeyer wollte die Musik wieder veröffentlichen, die am Anfang des Abends zu hören gewesen war, nämlich die von Neu!

Das Problem dabei: Die beiden Gründungsmitglieder Michael Rother und Klaus Dinger hatten sich dermaßen zerstritten, dass Grönemeyer gesagt wurde: „Die kriegst du nie mehr an einen Tisch. Ich habe das schon zigmal versucht.“ Der ihm das sagte, war Daniel Miller. Grönemeyer sollte hinkriegen, was Miller, Gründer von Mute Records und Entdecker von Depeche Mode, nicht gelingen wollte. 2010 erschien auf Grönland eine opulente Vinyl-Box mit den Neu!-Alben.

Und Michael Rother, ihr Gitarrist und Keyboarder, bestritt eines der Sets des Freitagabends mit einem Trio, zu dem der junge Gitarrist Franz Bargmann und mit Hans Lampe am Schlagzeug ein alter Bekannter gehörten. Lampe ist einer, der sowohl für Achim Reichel als auch für La Düsseldorf getrommelt hat, Rother sagte ihn als „Mr. Motorik“ an. Was der sachdienlichen Umschreibung dessen, was die drei da spielten, sehr nahe kam. Eine Motorik , die freilich von irren Störgeräuschen eingeleitet wurde, fabriziert von Rother an seinem Instrumententisch, einem Trumm von einer Werkbank.

Einer dieser Sounds gemahnte an einen Teekessel, dem anstelle von Dampf ein Dutzend Nägel entwichen. Die Grönland-Party war also ein Kontrastprogramm für Freunde dezenter Popmusik und für Noiseniks gleichermaßen. Und wem nicht nach Feiern war: Der Songwriter William Fitzsimmons gab in seinem Set eine Definition dessen, was er für eine gute Zeit halte, nämlich traurige Songs zu spielen.