Prozess gegen Staatsanwältin in Kiel: Vorschnell verkaufte Tiere

In Kiel steht eine Staatsanwältin vor Gericht, die Tiere beschlagnahmen und umgehend verkaufen ließ. Ihr wird Rechtsbeugung vorgeworfen.

Medienvertreter filmen und fotografieren die Angeklagte im Kieler Landgericht.

Prozessauftakt: Die Angeklagte (2.v.r) sitzt zwischen ihrer Verteidigerin und ihrem Verteidiger Foto: dpa

KIEL taz | Der Zuschauerraum des Kieler Landgerichts ist voll, Kameras surren, als die Staatsanwältin Maya Sch. hereinkommt. Für sie ist es eine ungewohnte Rolle: Maya Sch. ist die Angeklagte. Ihr wird vorgeworfen, dass sie Tiere, die sie von Amts wegen beschlagnahmt hat, verkauft hat. Um sie zu retten, so vermutet die Staatsanwaltschaft. Laut der Angeklagten war es weit „banaler“: Sie habe aufgrund von Stress „fahrlässig“ gehandelt. Die Schuld schob sie auf Überarbeitung und ihre Vorgesetzten.

Maya Sch. griff hart durch, so erinnern es einige der Zuschauer*innen: „Morgens habe ich noch gemolken, abends waren die Kühe weg“, sagt ein Landwirt. Wie ihm erging es seinen Sitznachbarn: Die Staatsanwaltschaft rückte an, lud die Tiere ein und fuhr sie weg.

Für bäuerliche Betriebe ist das existenzgefährdend, für private Tierhalter*innen emotional belastend. „Die Zeugin umklammerte ihren Hund und machte klar, dass sie ihn behalten wollte“, heißt es in der trockenen Sprache der Anklage. Einmal „äußerte eine Zeugin Suizidabsichten“, als ihre Hunde weggebracht wurden. Staatsanwältin Sch. ließ die Frau daraufhin in eine psychiatrische Klinik einweisen.

Fast alle Betroffenen versuchten, ihre Tiere zurückzuerhalten, nahmen sich Anwält*innen, klagten. Doch in vielen Fällen, darunter den zehn, die zurzeit in Kiel verhandelt werden, waren die Tiere längst verkauft, oft zu Preisen, die die ehemaligen Besitzer viel zu niedrig fanden. Die Anklage nennt sieben Euro für zwei Schafe, zehn Euro für Rassehunde oder mehrere Rinder für einige Hundert Euro.

Beschwerden abgelehnt

In einem Fall sollte ein Landwirt seine Rinderherde verkleinern. Er bot an, die Tiere selbst zu veräußern. Das lehnte Sch. ab und verkaufte für eine Pauschalsumme an einen Händler. „Wer schützt uns vor den Behörden?“, fragt einer der betroffenen Landwirte, der seinen Namen nicht nennen will.

Maya Sch. habe mit der schnellen „Notveräußerung“ der beschlagnahmten Tiere das Recht gebeugt, lautet die Anklage. Denn die Besitzer*innen hatten keine Chance, sich zu wehren. Wenn sie im Vorfeld Beschwerde einlegten, wies die Staatsanwältin das als unbegründet zurück, nach dem Verkauf ließ sich nur noch feststellen, dass die Tiere weg waren.

Auch die geringen Erlöse sieht die Anklage kritisch. Als Motiv unterstellte die Staatsanwaltschaft den Wunsch, die Tiere „dem Rechtskreis ihrer Halter zu entziehen“, sprich: sie aus schlechten Ställen oder dreckigen Häusern zu holen. Aber um Tierschutz ging es offenbar nicht.

Sch., die während der Anklageverlesung ruhig zuhört, manchmal leicht lächelt, erklärt, der Verkauf der Tiere sei nur ein „Annex“ gewesen, „den ich manchmal gänzlich aus den Augen verlor“. Aber bereits als junge Staatsanwältin in Flensburg habe sie erlebt, dass Vorgesetzte „ungehalten über die Kosten“ für die Unterbringung beschlagnahmter Tiere gewesen seien. So habe sie sich angewöhnt, „schnell über die Notveräußerung nachzudenken“, wenn die Gefahr bestand, dass „die Kosten, die durch Verwahrung entstehen, den Wert der Sache übersteigen“.

Den Wert der „Sache“, also der Tiere, habe sie „grob geschätzt“, dabei ging sie „häufig von null aus“.

Die „Spekulation der Anklage, sie habe den Tieren ein besseres Zuhause verschaffen wollen“, wies sie zurück: „Mir war bewusst, dass viele direkt der Verwertung zugeführt wurden.“

Notverkäufe habe sie bereits in Flensburg gemacht, berichtete Sch. Da es nie Kritik der Vorgesetzten gegeben habe, sei sie davon ausgegangen, alles sei korrekt. „Den Rücken an der Wand halten“, werde in der Behörde die Methode genannt, über „Sachen, die das Potenzial haben, schwierig zu sein, jemand in der Hierarchie darüber zu informieren“ und damit die Verantwortung quasi abzugeben.

Dass Sch. verpflichtet war, Betroffene zu informieren, wenn ihre Tiere verkauft würden, habe sie nicht gewusst. „Ich habe das Gesetz nicht zu Ende gelesen“, gab die promovierte Juristin zu. Schreiben habe sie oft nur kopiert, Rechtsfragen nicht recherchiert. Wie das Gericht das bewertet, steht nach dem ersten Prozesstag noch nicht fest. Richter Stephan Worpenberg fragte zu vielen Details kritisch nach. Meist antwortete Sch. nur, sie erinnere sich nicht. Die 44-Jährige ist zurzeit freigestellt. Bei Rechtsbeugung drohen bis zu fünf Jahre Haft.

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