Neuer Roman von Jan Peter Bremer: Ist das Gulasch versalzen?

Panoptikum einer Ehehölle: Jan Peter Bremer erzählt in „Der junge Doktorand“ von Schlachten der Verachtung – mit Anteilnahme am Schicksal seiner Protagonisten.

Ein Mann mit wuseligen Haaren und blauen Augen vor einem schwarzen Hintergrung

Spezialist für das Abgründige: Jan Peter Bremer Foto: Andreas Hornoff/Piper Verlag

Wir müssen uns den jungen Doktoranden als Pechvogel vorstellen: Beim Reitturnier in Andalusien stürzt er vom Pferd und verletzt sich schwer. Im Krankenhaus lernt er eine hübsche Krankenschwester kennen, die er heiratet, sie erleidet aber eine Fehlgeburt und bringt sich schließlich um.

Doch trotz aller Rückschläge, die das Leben für ihn bereithält, schreibt dieser außerordentliche junge Mann unverdrossen weiter an seiner Arbeit über den Maler Günter Greilach. Dessen Werke, insbesondere die frühen, hält er für so bedeutend, dass der junge Mann schließlich doch noch den Weg hinaus zur alten Mühle macht, um sein Arbeitsstipendium bei den Greilachs anzutreten.

Der junge Doktorand: Jan Peter Bremer, „Der junge Doktorand“. Berlin Verlag, Berlin 2019, 175 Seiten, 20 Euro

Wie in einem Groschenroman malt sich die Künstlergattin Natascha Greilach die Ankunft des jungen Doktoranden aus. Sonst passiert ja auch wenig in ihrem Alltag „am Arsch der Welt“, in dem sie gefangen ist: zwischen Eisdielenschwatz im Städtchen und dem freudlosen Zusammenleben mit ihrem Mann, dessen Erfolglosigkeit sie verachtet und dessen Lieblosigkeit sie fertigmacht. Ihr Mann Günter wiederum hält sich schlicht für ein Genie, das die Banausen (und besonders die Banausinnen!) in seiner Umgebung nicht zu würdigen wissen. Zeit, dass endlich dieser begabte Akademiker erscheint, um ihm den gebührenden Platz in der Kunstgeschichte zu bereiten.

Ja, dieser junge Doktorand kann einem leidtun, als er sich im Wohnzimmer der Greilachs zum Gulasch niedersetzt – nicht ahnend, dass er bereits mit dem Verzehr des ersten Bissens Teil eines toxischen Be­ziehungsgeflechts wird. Allerdings hat dieser Mensch, der so jung auch wieder nicht ist (geschweige denn gutaussehend), selbst seine ganz ­eigenen und nicht sehr edlen Motive.

Der auf psychische Abgründe spezialisierte Schriftsteller Jan Peter Bremer hat in seinem bisher größten Erfolg, „Der amerikanische Investor“, einen Mann irre werden lassen ­ über einem nie abgeschickten Brief an den Immobilienhai, der sein Haus gekauft hat. Die Eskalation im Gehirn des Mieters war von einer solchen Rasanz, dass Bremer nicht viele Seiten brauchte. Auch „Der junge Doktorand“ ist wieder ein schmaler Band geworden – und wieder ein grandios böses Lesevergnügen.

Vordergründig passiert nicht viel: Der „Doktorand“ kommt an, isst und trinkt, plaudert, schläft im Gästezimmer unterm Dach und hat am nächsten Morgen wenig Appetit. Doch was dazwischen liegt, ist eine ganze Welt aus Kränkungen, Geltungssucht und lange genährtem Hass. Fast fühlt man sich an die desolate Familie aus Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“ erinnert – doch in ganz so tragischen Dimensionen geht es bei Bremer nicht zu.

Fieses kleines Kammerspiel

Es bleibt bei einem fiesen kleinen Kammerspiel, dieses ist dafür präzise ausgearbeitet. Und sehr, sehr bundesdeutsch: Von der Frage, ob das Gulasch nun versalzen ist oder nicht, bis zum Zwetschgenbrand, der im Wohnzimmer gekippt wird, hat das Ehedrama der Greilachs oft etwas Loriothaftes: „‚… oder gehört es vielleicht zu deinen geheimen Beschäftigungen, die Zeit zu messen, die ich sonst am Morgen im Badezimmer verbringe?‘ Er warf einen lächelnden Blick zu dem jungen Doktoranden hin. ‚Ich glaube, da gibt es wirklich wichtigere Dinge.‘ ‚Natürlich!‘, rief sie und lachte auf. ‚Wichtigere Dinge gibt es immer. Was ist denn eigentlich hier los?‘, fuhr sie mit plötzlich versteinertem Gesicht fort und fächelte sich mit der Hand frische Luft zu. ‚Kein Wunder, dass ihr hier in diesem Qualm eure gute Laune verliert. Man kann euch beide ja gar nicht allein lassen. Ihr müsstet selbst mal sehen, wie ungemütlich es wirkt, wie ihr hier im Raum herumsteht.‘“

Immer tiefere Schichten der gegenseitigen Verachtung tun sich auf und immer mehr offenbart sich die Erbärmlichkeit, in die der junge Besucher hineingezogen wird, die aber auch in ihm selbst zutage tritt – bis zum furiosen Ende. Bemerkenswert, wie es Jan Peter Bremer gelingt, seine Charaktere trotz allem mit einer Zugeneigtheit und Wärme zu betrachten, die ihre Menschlichkeit in den Vordergrund rückt.

Schade, dass es dieses Kammerspiel aus der Provinz, das nebenbei auch die Wichtigtuerei der Kunstwelt auf die Schippe nimmt, nicht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. „Der junge Doktorand“ entfaltet vielleicht nicht das ganz große Weltenpanorama – doch offenbart dieses Buch viel über die Grundverfasstheit unserer Gegenwartsgesellschaft. Gott sei Dank ist es auch ein bisschen komisch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.