Comic-Journalismus: Die Kraft der sprechenden Bilder

Eine Reportage über Gemeinschaftswohnen in Wedding zeigt, wie gezeichneter Journalismus funktionieren kann.

Ausschnitt aus der Comic-Reportage „Ungewohnt!“ Foto: Hannah El-Hitami, Hannah Brinkmann

Comiczeichnungen erscheinen in deutschen Zeitungen meist als Karikaturen oder auf der Rätselseite neben dem Sudoku. Während es in Ländern wie Frankreich oder den USA eine lebendige und traditionsreiche Comicszene gibt, die den Kontakt zum Journalismus nicht scheut, ist dieses Genre in Deutschland noch sehr unbekannt. Dabei bietet der Comicjournalismus ganz besondere Möglichkeiten, ein Thema zu vermitteln.

Comics sind leicht zugänglich und schnell gelesen. Sie locken den Leser ästhetisch, auch wenn sich dieser nicht für das Thema interessiert. Sie können Ereignisse bildlich darstellen, zu denen es keine Fotos gibt – etwa weil Orte schwer zugänglich sind, Protagonistinnen nicht fotografiert werden wollen oder die Geschichte in der Vergangenheit spielt. Weil Comicfiguren abstrakter sind als Fotos, kann man sich leicht mit ihnen identifizieren. Und es gibt eine riesige Bandbreite an Zeichenstilen, die der journalistischen Geschichte eine passende – nicht in Worte fassbare – Stimmung verleihen können.

Ein Vorteil von Comicreportagen ist, dass die Recherchierenden oft selbst auftauchen. Hinter jeder journalistischen Arbeit stecken Menschen, die aus ihrem Blickwinkel auf ein Thema schauen. In den meisten Texten hört man diese subjektive Stimme nicht. Und als Fotograf auf dem eigenen Foto zu erscheinen, ist in der Pressefotografie keine Option. Autorinnen und Autoren bleiben zumeist unsichtbar. In Comicreportagen sieht man oft den Zeichner oder die Journalistin: wie sie am Flughafen ankommen, wer sie zu Gesprächspartnern bringt und wie sie während der Recherche ihre Ansichten hinterfragen müssen. Dieser Blick hinter die Kulissen kann die journalistische Arbeit nachvollziehbar und glaubwürdig machen.

Reisereportagen aus Krisengebieten oder schwer zugänglichen Regionen sind besonders verbreitet im Comicjournalismus. Auch NGOs wie Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen geben regelmäßig Arbeiten in Auftrag, um ihre komplexen Arbeitsbereiche allgemein zugänglich darzustellen. Kritikwürdig ist dabei, dass es in den bekannten Comicreportagen eher selten ist, dass eine Zeichnerin und ein Journalist als Team arbeiten. Denn das ist natürlich teurer.

Ausschnitt aus der Comic-Reportage „Ungewohnt!“ Foto: Hannah El-Hitami, Hannah Brinkmann

Für den Comicjournalismus wäre es allerdings wichtig, dass ausgebildete Journalistinnen mit Zeichnern gemeinsam unterwegs sind. Denn Comicjournalismus muss nicht einfach nur wahre Ereignisse nacherzählen, sondern auch journalistische Kriterien erfüllen: kritisches Nachfragen, unparteiische Recherche und den Faktencheck. Nur wenn comicjournalistische Teams diese Kriterien ernst nehmen, haben ihre Reportagen eine Chance, als gleichwertige Beiträge in deutschen Medien zu erscheinen.

Begegnungsorte für Journalisten und Zeichnerinnen bieten Workshops wie der des Deutschen Comicvereins und des Museums für Kommunikation im vergangenen Juli. Dort sind mehrere Comicreportagen zum Wohnungsmarkt und Mietenwahnsinn entstanden. Der zusammen mit Hannah Brinkmann entstandene Comic zeigt, wie Gemeinschaftswohnen in Wedding ist: ungewohnt!

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